Gegen das Vergessen – Stadtrundgang zur NS-Ortsgeschichte in Uetersen

10 Haltepunkte | ca. 4,5 Kilometer

»Ausgangspunkt ist der "Buttermarkt". Erste Station ist das alte Rathaus in der Rathausstraße; letzte Station ist die Heisterkampstraße.«

Die Stadtrundgang ist eine Idee und ein Projekt der Geschichtswerkstatt des SPD-Ortsvereins. An 10 verschiedenen Stationen im westlichen Stadtgebiet erfahren die Teilnehmer wissenswertes aus der Zeit des Nationalsozialismus: über Orte, an denen Macht ausgeübt wurde; über das Unrecht und die Gleichschaltung in der Bildung; über Zwangsarbeit und über zivilen Ungehorsam und Widerstand.

Vom „Buttermarkt“ geht es westlich in die Rathausstraße; auf der Ecke Rathausstraße/Kirchenstraße stand das alte Rathaus der Stadt (Station A). Die Kirchenstraße überqueren und dann in die Moltkestraße einbiegen. Die heutige Hausnummer 4a war das „Parteihaus“ der NSDAP-Ortsgruppe (Station B). Der Moltkestraße weiter folgen bis zur Hausnummer 22 auf der rechten Seite (Station C). Danach von der Moltkestraße rechts in die Kuhlenstraße abbiegen; über Kreuzstraße und Marktstraße links in die Bleekerstraße abbiegen und danach rechts in die Parkstraße. Zwischen den heutigen Turnhallen ist Station D. An der Mensa vorbei und westlich am Bleeker-Park vorbei geht es zur Ludwig-Meyn-Schule. Station E ist vor dem Haupteingang der Schule in der Seminarstraße Nr. 10. Die Seminarstraße bis zur Mühlenstraße durchgehen; auf der rechten Seite liegt das Lokal „Zur Erholung“ (Station F). Die Mühlenstraße geht über in die heutige Straße „Lohe“. Auf der linken Seite liegt die Hausnummer 33 (Station G). Dann geht weiter zur Kreuzung Lohe/Reuterstraße. Hier auf der Ecke stand einmal das Haus „Lohe 44“ mit dem STOLPERSTEIN für Hans Britten (Station H). Von der Reuterstraße links in den Eichenweg bis zur Nr. 20 auf der rechten Seite gehen; hier ist Station I. Vom Eichenweg zurück auf die Reuterstraße gehen und dann stadteinwärts gehen und später rechts in die Heisterkampstraße biegen. Sie wurde als „Straße im Widerstand“ bezeichnet (Station J); dies ist die letzte Station des Stadtrundgangs.

Von hier die Heisterkampstraße ganz durchgehen bis zur Feldstraße; dann nach links abbiegen und gleich wieder links zwischen den Häusern zur Seminarstraße durchgehen und diese überqueren. Zwischen ehem. Roggenfeldschule und Rosenstadtschule über das Schulgelände bis zur Parkstraße gehen. Nach rechts in die Bleekerstraße gehen und von dort nach links abbiegen und bis zur Marktstraße (B 431) durchgehen. Diese überqueren und zurück zum „Buttermarkt“ gehen.

Unterrichtmaterialien stehen auf der Webseite „www.uetersen-geschichte.de“ zu vier Themen zur Verfügung.

 

Erhard Vogt, Juni 2018

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A. Rathaus Uetersen

Bis zur Kommunalwahl am 12.03.1933 war an diesem Ort das „Machtzentrum“ der Stadt: Mit einer gewählten Stadtvertretung und einem Magistrat mit dem Bürgermeister als Vorsitzendem. Der demokratisch, direkt gewählte sozialdemokratische Bürgermeister Wellenbrink wurde hier seines Amtes enthoben.

Danach gab es keine Wahlen zur Stadtvertretung mehr; die Stadtvertreter wurden von der Partei ernannt. Der Nazi-Bürgermeister Dölling agierte nach dem „Führerprinzip“.

Das alte Rathaus der Stadt stand auf der Ecke Kirchenstraße/Rathausstraße. Der Anbau ist noch vorhanden. Bis 1977 war hier der Sitz der Stadtverwaltung Uetersen, seitdem ist das Rathaus in der Wassermühlenstraße.

Anzusprechen sind hier die „Städtischen Kollegien“:

  • Das Stadtverordnetenkollegium (= Stadtvertretung) mit 18 gewählten Mitgliedern (Letzte Kommunalwahl am 12.03.1933)[1]; ein Stadtvertreter wird zum Vorsitzenden gewählt (= Stadtverordnetenvorsteher). Dieses Gremium fasst Beschlüsse im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung.
  • Der Magistrat mit dem Bürgermeister als Vorsitzendem und mehreren Beigeordneten (= Stadträte). Die Wahl der Stadträte erfolgt durch die Stadtvertretung. Der Bürgermeister wurde (nur einmal) direkt gewählt am 16.03.1930. Der Magistrat führt die Beschlüsse der Stadtvertretung aus und ist damit verwaltungsleitendes Organ.

Das Gemeindeverfassungsgesetz vom 15.12.1933 beseitigt in Preußen dieses Zweikörpersystem und jegliche Form der kollegialen Zusammenarbeit. Anstelle er „Städtischen Kollegien“ tritt der Gemeinderat.

Seine Mitglieder werden nicht mehr gewählt, sondern ernannt bzw. berufen (= Ratsherren; die Zahl ist lt. Hauptsatzung auf 10 festgesetzt). Vorsitzender des Gemeinderates ist der Bürgermeister als Gemeindeleiter. Dieses Gremium fasst auch keine Beschlüsse mehr, sondern dient nur noch der Beratung. Die Entscheidungen trifft und verantwortet der Leiter = Vorsitzender = Bürgermeister.

Das Gemeindeverfassungsgesetz vom 15.12.1933 dehnt das Führerprinzip auf die Gemeindeverwaltung aus.

Bereits vor der Kommunalwahl am 12.03.1933 wurden am 07.03. am Rathaus die Hakenkreuzfahne und die Fahne Schwarz-weiß-rot gehisst. Ortgruppenleiter Pein hielt eine markige Ansprache: „… so tun wir das … aus dem Gefühl ehrlicher Freude über den Sieg der nationalen Kräfte und aus diesem tiefsten Verantwortungsbewusstsein über die Aufgaben, die vor uns liegen …[2]

Am 25.03.1933 wurde der 1930 direkt gewählte Bürgermeister Heinrich Wellenbrink (SPD) von den Nazis zunächst beurlaubt und später entlassen.

Kommissarischer Bürgermeister wurde der bisherige Stadtrat Ferdinand Bauth. Am 09.10.1933 wurde Hermann Dölling (NSDAP) als Bürgermeister eingesetzt und blieb es bis zum 05.06.1945.

Zusammenfassung:

Wer hatte nun das Sagen in der Stadt?

  • Der Bürgermeister als „Führer“ der Gemeinde lt. Gemeindeverfassungsgesetz vom 15.12.1933 oder
  • der Ortsgruppenleiter als „Führer“ der Partei; BUBBE bezeichnet ihn als „Hoheitsträger“.

Diese Thematik ist noch nicht abschließend erforscht.

 

Erhard Vogt, Juni 2018

 

[1] Die NSDAP kandidierte bei den Stadtverordnetenwahlen im Nov. 1929 als Wahlvorschlag “Gerechtigkeit und Wahrheit” und im März 1933 als Wahlvorschlag “Nationaler Zusammenschluss”. 1929 stellte sie vier und 1933 elf von 18 Stadtvertretern.

[2] Uetersener Nachrichten vom 11.03.1933.

B. „Parteihaus“ als Sitz der NSDAP-Ortsgruppe Uetersen

Seit Ende 1934 stand dieses Haus der NSDAP-Ortsgruppe als „Parteihaus“ zur Verfügung. Die Namen der Ortsgruppenleiter zwischen 1933 bis 1945 sind bekannt. Im Gebäude waren auch Dienststellen der Partei untergebracht. Die Ortsgruppenleiter Gramkow und Schröter haben hier auch gewohnt.

Der Ortsgruppenleiter wird bei BUBBE als „Hoheitsträger“ bezeichnet. Wer hatte nun das Sagen in der Stadt?

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts existierte hier für 41 Jahre eine Privatschule, die von Lehrer Schultz begründet wurde.

Das Haus wurde Ende 1934 der NSDAP-Ortsgruppe als „Parteihaus“ durch die Stadt zur Verfügung gestellt. „… Das Gebäude des ehemaligen Rammschen Institus und des späteren Sanatoriums, das auch in städtischen Besitz gelangt war, wurde der NSDAP als Parteihaus zur Verfügung gestellt und am 15. Dezember des Jahres (1934 – d. Verf.) feierlich eingeweiht. …“[1]

Die Ortsgruppe wurde im Sept. 1930 von 9 Mitgliedern (= Parteigenossen) gegründet[2]; 1939 hatte sie 570 Mitglieder, davon waren 60 Politische Leiter.[3]

Ortsgruppenleiter waren:

  • 1930-33       N.N.
  • 1933            Bernhard Pein, Studiendirektor;
  • 1933-35       Willy Gramkow, Schmied; er war nach eigenen Angaben 1929-32 Ortsgruppenleiter von Tornesch;
  • 1935-39       Karl Schröter, Buchhalter;
  • 1939-45       Karl Voß, Oberpostmeister.

Neben der Ortsgruppenleitung waren hier auch andere Dienststellen der NSDAP untergebracht:[4]

Ortgruppenleitung Uetersen, Moltkestr. 4, Ruf 544.

Ortsamtsleitung der NS-Volkswohlfahrt, Moltkestr. 4, Ruf 342.

Ortsamtswaltung der DAF und KdF, Moltkestr. 4, Ruf 363.

Ortsbauernführer, Deichstr. 5.

Ortshandwerkerführer, Seminarstr. 30, Ruf 657.

Zusammenfassung:

Das Haus hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Der Name „Braunes Haus“ ist noch in der Bevölkerung präsent. Hinsichtlich der Ortsgruppenleiter besteht noch Forschungsinteresse und Forschungsbedarf.

 

Erhard Vogt, Juni 2018

 

[1] H.F. Bubbe, Heimatbuch Uetersen Band II, Uetersen 1939, S. 144

[2] „Zur Gründung der Ortsgruppe der NSDAP kam es im September 1930 durch den organisatorischen Zusammenschluss von 9 Mitgliedern.“ (Führer durch die Stadt der Rosen, Uetersen 1939, S. 8)

[3] Vgl. Führer durch die Stadt der Rosen, Uetersen 1939, S. 8

[4] 1939 „.. gehören der Ortsgruppe Uetersen etwa 570 Parteigenossen an; der Ortsgruppenstab setzt sich aus etwa 60 Politischen Leitern zusammen.“ ( Führer durch die Stadt der Rosen, Uetersen 1939, S. 26)

 

C. Von der NS-„Euthanasie“ zum Facharzt in Uetersen: der Mediziner Dr. Kurt Borm (1909-2001)

An diesem Ort erfährt man etwas über das Unrecht, das in der Nazi-Zeit geschah.

Hier wohnte nach dem Krieg ein Arzt, der in der Nazi-Zeit an der Tötung von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen beteiligt war. Er war von 1945 bis 1962 im (städtischen) Krankenhaus beschäftigt.

In den Beerdigungsregistern der Kirchengemeinde finden sich sechs Todesfälle mit Sterbeort „Bernburg“.

Dr. Kurt Borm (1909-2001) hatte im Rahmen der sog. „Euthanasiemaßnahmen“ des NS-Regimes an der Tötung von 6.652 Menschen, die als „Geisteskranke“ bezeichnet wurden, mitgewirkt. 1940/41 hat er als Assistenzarzt in den Tötungsanstalten Sonnenstein/Pirna und in Bernburg/Saale Beihilfe zum Mord geleistet.

Nach 1945 tauchte er in Uetersen unter bzw. siedelte er von Berlin nach Uetersen über. Hier war er als Arzt im Städtischen Krankenhaus (Bleekerstift) tätig. 1962 wurde er im Rahmen der Aufklärung der NS-„Euthanasieverbrechen“ verhaftet. Borm wurde von der Stadt Uetersen entlassen. Borm wurde angeklagt und 1972 freigesprochen, weil ihm das Unrechtsbewusstsein für sein Tun fehlte. Die Verantwortung für die „T 4-Aktion“ wurde hohen NS-Funktionären zugeschoben.

Dr. Borm war nach seiner Entlassung als niedergelassener Arzt in Uetersen tätig. Er soll bei vielen Uetersenern beliebt gewesen sein. – Der Freispruch wurde 1974 vom Bundesgerichtshof bestätigt, was für öffentliche Kritik an der Justiz führte. – Borm war jedoch z.B. im Jahr 1986 immer noch nicht kritikfähig.

Zusammenfassung:

Dr. Borm ist ein Beispiel für Personen, die mit ihrer gespaltenen Persönlichkeit nach dem Krieg klarkommen mussten. Alle Patienten, die Dr. Borm in Uetersen als Arzt kennengelernt haben, haben nur die eine Seite von Dr. Borm gesehen. Wie er die andere Seite mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, das bleibt sein Geheimnis.

Literatur:

Wagma Hayatie: Von der NS-„Euthanasie“ zum Facharzt in Uetersen: der Mediziner Dr. Kurt Borm, in: S. Zankel (Hg.), Uetersen und die Nationalsozialisten – Von Weimar bis in die Bundesrepublik …, Kiel 2010, S. 97 ff.

Erhard Vogt, Okt. 2018

 

D. Zwangsarbeiter in Uetersen

In Uetersen hielten sich von 1939 bis zum Kriegsende bis zu 1.700 Fremdarbeiter[1] (Zivilarbeiter und Kriegsgefangene) auf. Ausländische Zivilarbeiter, die unter Zwang und Gewaltanwendung im Deutschen Reich zur Arbeit eingesetzt wurden, also keinen Einfluss auf die Beendigung oder die Umstände des Arbeitseinsatzes hatten oder durch mangelhafte Versorgung einer erhöhten Sterblichkeitsrate unterlagen, werden als Zwangsarbeiter[2] bezeichnet. Von den Fremdarbeitern sind die Namen von bisher etwa 760 Zwangsarbeitern und 60 Kriegsgefangenen bekannt. Sie kamen im Wesentlichen aus Russland (rd. 340), Frankreich (rd. 260), Polen (rd. 110) und der Rest aus verschiedenen weiteren Ländern.

Unter den namentlich bekannten Zwangsarbeitern befanden sich auch 79 Jugendliche, die bei ihrer Ankunft in Uetersen erst 16 bis 18 Jahre alt waren.

Die Männer, Frauen und Jugendlichen waren in Betrieben, der Landwirtschaft und Privathaushalten in Uetersen sowie teilweise in umliegenden Gemeinden beschäftigt. Es handelte sich hierbei sowohl um große Firmen wie die Nordmark Werke GmbH oder die Maschinenfabrik HATLAPA als auch um kleine Betriebe wie die Gastwirtschaft Deutsches Haus oder die Bäckerei Lexow. Bisher sind 97 Arbeitgeber namentlich bekannt.

Die Zwangsarbeiter waren in verschiedenen, meist nach Nationalitäten getrennten Lagern in Uetersen untergebracht. Das war zum Beispiel in der Jugendherberge in der Parkstraße, der Gastwirtschaft Heydorn im Großen Sand oder im Tornescher Weg. Einige lebten auch in Privathaushalten oder bei den Landwirten, für die sie arbeiteten. Bekannt sind bisher 12 Lager in Uetersen.

Allein im Uetersener Krankenhaus Bleekerstift wurden mindestens 328 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus Uetersen und der Umgebung behandelt. Die häufigsten Diagnosen waren Fleckfieber, Lungentuberkulose und Diphtherie. Diese Erkrankungen wurden durch bakterielle Infektionen und schlechte hygienische Bedingungen ausgelöst und übertragen durch Flöhe und Läuse bzw. auf dem Luftweg oder in Form von Tröpfchen. Des Weiteren wurden Methylalkoholvergiftungen, Verbrennungen, Brüche und auch Folgen von Suizidversuchen dort behandelt.

Mindestens 34 erwachsene Zwangsarbeiter verstarben in Uetersen auf Grund der oben genannten Erkrankungen, durch Arbeitsunfälle oder Selbstmord.

15 Kinder, die von Zwangsarbeiterinnen geboren wurden, verstarben noch vor der Geburt oder kurz danach. Als Ursache wurde häufig „Lebensschwäche“ angegeben.

Bis Ende 1942 wurden mindestens 97 Zwangsarbeiter in Polizeigewahrsam genommen. Unterlagen für die Jahre 1943 bis Kriegsende sind verbrannt. Die meisten Zwangsarbeiter waren jedoch um 1944 in Deutschland und in Uetersen. Es dürften sich also insgesamt noch erheblich mehr Personen als bekannt in Polizeigewahrsam befunden haben. Gründe hierfür waren u.a. Schutzhaft, Trunkenheit, Arbeitssabotage, Verweigerung der Arbeit, Diebstahl, Hehlerei, Schlägereien, unzüchtige Handlungen, auf Anordnung der Gestapo sowie vorliegende Haftbefehle.

Im Amtsgericht Uetersen wurden allein in den Jahren 1942 bis 1943 in 19 Verfahren Zwangsarbeiter zu Straflager, Gefängnis oder zu Geldstrafen wegen Diebstahls, Hehlerei und Beleidigung verurteilt. Unter ihnen war der Zwangsarbeiter Thaddäus Ploszynski, der eine Geldstrafe wegen Diebstahls erhielt.

Nach dem Krieg versuchte der vorgenannte Ploszynski seinen Freund Tadeusz Mazurek über das DRK ausfindig zu machen. Sie waren 1940 gemeinsam aus Posen (Polen) zur Zwangsarbeit verschleppt worden. Mazurek war damals 25 Jahre alt und musste in einer Uetersener Autowerkstatt arbeiten. Er lernte eine verheiratete deutsche Frau kennen und begann ein Liebesverhältnis mit ihr. Ein gemeinsames Kind wurde im Dezember 1942 geboren. Mazurek kam deshalb in das SS-Sonderlager KZ Hinzert bei Trier zur Prüfung der „Eindeutschungsfähigkeit“. Die Frau wurde ins KZ Ravensbrück gebracht. Beide überlebten die Haft, heirateten nach dem Krieg in Neumünster und wanderten 1950 gemeinsam nach Australien aus. Dort lebte Mazurek noch 50 Jahre und verstarb 5 Tage vor seinem 85. Geburtstag. Er liegt in einem gemeinsamen Grab mit seiner bereits 1984 verstorbenen Ehefrau auf dem Friedhof Cheltenham in Adelaide / Süd-Australien. Seinen Freund Ploszynski hat er nicht getroffen.

Zusammenfassung:

Im Jahr 1939 hatte Uetersen 7.788 Einwohner[3]. Ein Anstieg der Bevölkerungszahl durch den Zuzug der Fremdarbeiter in dieser Größenordnung hatte einen erheblichen Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Die schlechten Lebensbedingungen führten zu Krankheiten, Rechtsverstößen und Konflikten untereinander. Die Anwesenheit der Fremdarbeiter und deren schwierige Lebensumstände kann der Uetersener Bevölkerung nicht unbemerkt geblieben sein.

 

[1]Vgl. http://www.uetersen-geschichte.de/index.php?id=35 , Abruf am 07.06.2017

[2]Vgl. https://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/geschichte/auslaendisch/begriffe/index.html , Abruf am 07.06.2017

[3]Vgl. Dr. Michael Rademacher, M.A., Promotion; http://www.verwaltungsgeschichte.de/pinneberg.html#ew39auet , Abruf am 07.06.2017

 

Sabine Niklas, Juni 2017

 

E. Ludwig-Meyn-Schule

Bis September 1933 war Bernhard Pein Direktor der Ludwig-Meyn-Schule (LMS). Er übernahm 1934 die kommissarische Leitung der Napola in Berlin-Spandau und war Mitglied in verschiedenen NS-Organisationen wie der SA oder dem Nationalsozialistischen Lehrerbund. Zudem war er der Ansicht, der Heimleiter des Internats müsse der SA angehören.

Peins Nachfolger Hinrich Apfeld übernahm selbst die Heimleitung und schaffte die Schülerselbstverwaltung ab. Hierdurch konnte er das „Führerprinzip“ im Kleinen durchsetzen, da er mehrere Ämter in seiner Person vereinigte. Außerdem konnte so eine enge Verbundenheit mit den Zöglingen hergestellt werden.

Unter Apfeld wurden AGs mit deutlicher ideologischer Ausrichtung wie z.B. die AG Rassenkunde, Geschichte als Rassenschicksal etabliert. Des Weiteren fanden sich ideologietreue Bücher in der Schulbücherei und die Schüler durchliefen eine militärische Ausbildung. Zeitzeugenberichten zufolge forderte Apfeld die Schüler noch kurz vor Kriegsende, im März oder April 1945, auf, sich für das Vaterland zu opfern.

Auch die Lehrkräfte und die Schüler waren überwiegend nationalsozialistisch eingestellt. Fast alle Lehrer waren Mitglied in einer NS-Organisation, die meisten hatten sogar eine Führungsrolle inne. Laut einem Bericht Apfelds waren fast alle Schüler Mitglied der Hitlerjugend, die übrigen waren in SA und SS organisiert. Apfeld bezeichnete die LMS außerdem als Ausgangspunkt der Hitlerjugend in Uetersen.

Zusammenfassung:

Beide Schulleiter der LMS waren Nationalsozialisten, sowohl die Schüler als auch die Lehrer waren in NS-Organisationen tätig. Schulleiter Apfeld sorgte dafür, dass im Kleinen die NS-Ideologie vermittelt und gelebt wurde.

 

Hannah Kristen, Juli 2017

 

Literatur:

M. Rixen / K.-S. Schneider: „Erziehung und Bildung im nationalsozialistischem Geist“ Bernhard Pein – der erste NS-Rektor der Ludwig-Meyn-Schule, in: S. Zankel (Hg.), Uetersen im Nationalsozialismus, Kiel 2009, S. 9 – 22

O. Conrad u.a.: „Unsere Schüler sind alle in der Hitlerjugend“ Der Rektor der Ludwig-Meyn-Schule Hinrich Apfeld, in: S. Zankel (Hg.), Uetersen im Nationalsozialismus, Kiel 2009, S. 23 – 42

 

F. Parteilokal der NSDAP 1930-1945 – Gaststätte „Zur Erholung“

Im Anschluss an eine öffentliche Versammlung am 27.09.1930 wurde in der Gaststätte „Zur Erholung“ die Ortsgruppe der NSDAP von neun Mitgliedern gegründet. [1] Redner war der damalige Halstenbeker Kreistagsabgeordnete und spätere NSDAP-Kreisleiter Ferdinand Schramm (Mitgl. 61010). [2] Die von Karl Berg betriebene Gaststätte wurde zum Parteilokal der NSDAP in Uetersen. [3]

NSDAP Ortsgruppe Uetersen war 1939 eine von 26138 Ortsgruppen. Der Ortsgruppenleiter Studiendirektor Bernhard Pein [4] [5] (1933) bzw. der Schmied Willy Gramkow (1933-1935) und dessen Nachfolger unterstanden in machtabsteigender Reihenfolge Adolf Hitler als „Führer“, dem Reichsleiter Robert Ley, dem Gauleiter Hinrich Lohse und dem Kreisleiter Ferdinand Schramm (ab 1937 Emil Paulsen). Ihm half ein stellvertretender Adjutant und es unterstanden ihm Zellenleiter, diese waren für vier bis acht Blockleiter oder Blockwarte (jeweils bis 50 Haushalte) verantwortlich. 1939 gab es in Uetersen 570 Parteimitglieder (auch kurz PG für Parteigenosse) sowie ca. 60 Zellenleiter und Blockwarte.[6]

Die heutigen Betreiber distanzieren sich in Kenntnis dieses dunklen Teils der Geschichte des Lokals ausdrücklich von jeglichem rechten Gedankengut!

 

 

[1] Versammlung der Nationalsozialisten am Sonnabend, dem 27. September 1930, in Uetersen. Uetersener Nachrichten. 01.10.1930.

[2] WILL, Frank: RECHTS-zwo-drei. Pinneberg 1993, S. 68, 154.

[3] Führer durch die Stadt der Rosen, Uetersen 1939, S. 8.

[4] http://www.uetersen-geschichte.de/index.php?id=6, Stand 28.04.2015.

[5] BUBBE, H.F.: Versuch einer Chronik der Stadt und des Klosters Uetesem. Uetersen 1934, S.447.

[6] Führer durch die Stadt der Rosen, Uetersen 1939, S. 8.

 

 

 

 

G. Wilhelmine Nickel – eine verfolgte Zeugin Jehovas

Die Zeugen Jehovas – damals nannten sie sich „internationale Bibelforscher-Vereinigung“ (IBV) – wurden bereits in der Weimarer Republik ausgegrenzt. Ab 1933 wurden sie dann vom NS-Regime verfolgt. Die IBV sah sich selbst als unpolitisch an, sie verweigerten den Wehrdienst, lehnten den Hitlergruß ab und enthielten sich von jeglicher Art von Wahlen. Durch die internationale Ausrichtung kam es auch zu ideologischen Differenzen mit den Nationalsozialisten, die behaupteten, die IBV sei projüdisch, ausländisch und pazifistisch.

In Uetersen wurden 1935 sieben Menschen verhaftet und angeklagt, von diesen war jedoch nur Wilhelmine Nickel getauftes Mitglied der IBV, bei den Übrigen handelte es sich um sogenannte „interessierte Freunde“. Wilhelmine Nickel wurde insgesamt drei Mal angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt, da sie wiederholt beim Verteilen von Schriften verhaftet wurde. Die anderen Verhafteten wurden zu einer Geldstrafe verurteilt bzw. freigesprochen.

Nickel verriet in den Verhören nicht einen Namen anderer Mitglieder der IBV, sie sagte, sie versuchte allen politischen Angelegenheiten aus dem Weg zu gehen und wollte den Menschen lediglich die „frohe Botschaft“ bringen. Geleitet sei sie hierbei von einem „Pflichtgefühl gegenüber Gottes Geboten“. Auf die Frage, aus welcher Quelle sie die beschlagnahmten Bücher erhalten habe, antwortete Nickel, sie könne auf diese Frage keine Antwort geben. Sie begründete dies wie folgt: „Wenn ich Nächstenliebe ausüben will, darf ich meinen Mitmenschen nicht schaden.“

Zusammenfassung:

In Uetersen gab es lediglich eine getaufte Zeugin Jehovas, die verhaftet wurde. Wilhelmine Nickel verriet nach ihren Verhaftungen keine weiteren Mitglieder der IBV und sagte aus, sie habe nur gottesfürchtig gehandelt.

 

Hannah Kristen, Jan. 2018

 

Literatur:

L. Büscher, „Wenn ich Nächstenliebe ausüben will, darf ich meinen Mitmenschen nicht schaden.“ Die Zeugen Jehovas in Uetersen zur Zeit des Nationalsozialismus, in: S. Zankel (Hg.), Uetersen im Nationalsozialismus, Schüler der Ludwig-Meyn-Schule erforschen die Geschichte ihrer Stadt, Kiel 2009, S. 43 ff.

H. Johann Peter Britten (1904-1945) – von den Nazis verfolgt und in der Haft umgekommen

Letzte Meldeadresse von Hans Britten bei seiner Verhaftung am 22.08.1944 und Einweisung in das KZ Neuengamme; wahrscheinlich beim Untergang der Transportschiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ am 03.05.1945 in der Neustädter Bucht ums Leben gekommen. Verlegung des 1. Stolpersteines in Uetersen am 02.03.2012.

 

JOHANN PETER BRITTEN (1904-1945)

Er war gewählter Uetersener Stadtvertreter, Kommunist, Widerstandskämpfer und wurde Opfer der Verfolgung Andersdenkender durch die Nationalsozialisten: Hans Britten, inhaftiert bis zum 28. März 1945 im KZ Neuengamme, starb wenige Tage vor Kriegsende nach einer Deportation durch die Nazis auf einem Flüchtlingsschiff in der kalten Ostsee. In einem seiner letzten Briefe aus dem KZ im Dezember 1944 äußert Britten die Hoffnung, vielleicht schon bald wieder zu Hause sein zu können: „Wenn nicht, dann „fröhliche Weihnachten“.“1

Johann Peter (Hans) Britten wurde am 21. Februar 1904 in Onsdorf, Kreis Saarburg, geboren als Sohn von Peter Britten und Susanna Britten, geb. Wagner; der Vater war Schreinermeister.2

Britten hat die Volksschule in Onsdorf besucht. Nach der Schulentlassung 1918 war er zwei Jahre seinem Vater in der Landwirtschaft behilflich. Im Januar 1920 hat er eine Lehre beim Bürgermeisteramt (Rathaus) Konz begonnen; dort war er bis Oktober 1926 als Büroangestellter tätig. Anschließend besuchte er ein halbes Jahr die kaufmännische Handelsschule in Ilmenau. Danach war er ein Jahr stellenlos, bevor er von April 1928 bis September 1929 in Unterlüss als Fabrikarbeiter Beschäftigung fand. Anschließend war er ein Jahr auf Wanderschaft und kam Anfang Oktober 1930 nach Uetersen, wo er zunächst in der Schanzenstraße 1 wohnte. Auch hier war er mit kurzen Unterbrechungen stellenlos.3

Seit Oktober 1930 bis Ende März 1931 war Britten Mitglied der „Roten Hilfe“ in Uetersen ohne Funktion, seit Anfang 1931 war er Mitglied der KPD; nach eigenen Angaben von Juni bis Oktober 1932 Organisations-Leiter in Uetersen4. Im Oktober 1932 meldet er das Gewerbe eines „Zeitungsverlages“ an; er zeichnet als „Verantwortlicher der Antifaschistischen Wochenzeitung“5.Bei der Stadtverordneten-Wahl am 12. März 1933 kandidierte er als Spitzenkandidat auf Platz 1 der Bewerberliste der KPD6 und wurde als Stadtverordneter gewählt7 – er konnte sein Mandat jedoch nicht antreten, weil er bereits eine Woche vor der konstituierenden Sitzung am 30. März eine Ausladung erhielt8 – die Gleichschaltung aller Gremien durch den NS-Staat hatte begonnen.

Wegen seiner politischen Betätigung wurde Johann Britten am 24. April 1933 verhaftet und bis zum 24. Mai 1933 in das Konzentrationslager (KZ) Glückstadt als Schutzhäftling eingewiesen.9

Danach hat er an mehreren geheimen Treffen der KPD auf der Elbinsel Pagensand, im Heidgrabener Moor und im Liether Gehölz teilgenommen.10

Die Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten in Uetersen erstreckte sich von der Herstellung von illegalen Flugblättern bis hin zu ihrer Verteilung innerhalb der eigenen Reihen und an Sympathisanten. Beispiel: Zeitungsherstellung. Im Sommer 1933 erhielt Hans Britten (KPD-Uetersen) von Heinrich Rostock (KPD-Leitung Elmshorn) den Auftrag, mehrere illegale Schriften, die über Johann Löker nach Elmshorn kamen, zu vervielfältigen. Hans Britten setzte sich mit Viktor Andersen, dem ehemaligen Schufo-Führer, in Verbindung. Beide trafen sich in der Scheune von Peter Christiansen, in der die Schreibmaschine der KPD versteckt war – übrigens aufgrund einer Vermittlung durch das Reichsbannermitglied Hermann Schubert aus Oberglinde. Viktor Andersen und Hans Britten wechselten sich bei der Beschriftung der Wachsbögen ab, die später von einem Elmshorner Kurier abgeholt wurden – hergestellt wurden die Schriften in der Scheune von Emil Buchner (KPD) in Reisiek. …“11

Wegen dieser Betätigung für die inzwischen verbotene KPD wurde Britten am 19. Dezember 1934 wieder verhaftet und zunächst in die KZ Fuhlsbüttel und Esterwegen und dann Ende August 1935 in das Untersuchungsgefängnis in Hamburg eingeliefert. Am 13. Dezember 1935 verurteilte ihn das Kammergericht Berlin wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 6 Jahren Zuchthaus, 6 Jahren Ehrverlust und Zulässigkeit der Polizeiaufsicht. Auf die Strafe wurden 11 Monate der erlittenen Schutz- und Untersuchungshaft angerechnet. Die Strafhaft hat er in der Zeit vom 13. Dezember 1935 bis zum 13. Dezember 1940 in den Zuchthäusern Rendsburg und Fuhlsbüttel sowie im Strafgefangenenlager Aschendorfermoor verbüßt. Die Reststrafe wurde erlassen.12

Nach der Strafverbüßung war er bei der Uetersener Firma Nordmark Werke GmbH als Arbeiter beschäftigt13. Am 21. November 1942 hat Hans Britten die Textilarbeiterin Käthe Kaufmann geheiratet, die 1911 in Horst geboren wurde. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er im Ossenpadd 79; anschließend wohnten sie gemeinsam in der Lohe 44. Der einzige Sohn Helmut wurde am 22. Februar 1944 geboren.14

Im Verlaufe der sog. „Gewitteraktion“ nach dem Attentat auf Hitler wurde Britten am 22. August 1944 abermals verhaftet und in das KZ Neuengamme eingewiesen15. Zwischen September 1944 und März 1945 datieren insgesamt elf Briefe von ihm an seine Ehefrau. Im vorletzten Brief schätzt er seine Entlassungsaussichten als gering ein. Er hofft drauf, dass Andersen bald kommen möge. Für ihn würde niemand etwas tun16.

Bis zum 28. März 1945 befand sich Britten im KZ Neuengamme17; von dort ist er nicht zurückgekehrt. Es ist wahrscheinlich, dass er bei dem Untergang der Transportschiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ am 3. Mai 1945 in der Neustädter Bucht ums Leben gekommen ist18. Seine Witwe hat ihn 1952 für tot erklären lassen19. Erst 1978 ist der Tag, an dem Hans Britten starb, beim Standesamt Arolsen beurkundet worden20.

Aufgeschrieben von Erhard Vogt mit Unterstützung der Geschichtswerkstatt im Februar 2012.

 

1 Brief von Johann Peter Britten (JPB) vom 04.12.1944 aus dem KZ Neuengamme an Käthe Britten (KB)

2 Vgl. Heiratseintrag Nr. 75/1942 beim Standesamt Uetersen

3 Vgl. Gestapo-Protokoll vom 27.12.1934, Blatt 55 im Bundesarchiv

4 Vgl. ebda.

5 Vgl. Gewerbe An- und Abmeldungsbuch 1924-1976; mitgeteilt von Dr. Ute Harms an den Verf. in einer eMail vom 15.10.2011

6 Vgl. „Akten betr. die Neuwahl des Provinziallandtages, des Kreistages und der städtischen Kollegien am 12.03.1933“ im Museum Langes Tannen

7 Vgl. Uetersener Nachrichten vom 14.03.1933

8 Vgl. F. Bringmann/H. Diercks, Die Freiheit lebt, Frankfurt a.M. 1983, S. 39

9 Vgl. Teilbescheid des Landesentschädigungsamtes S-H (W 1c – B 195 – B 1183 -) vom 09.10.1956 und Bescheid des Finanzministers des Landes S-H – Entschädigungsamt – vom 05.09.1969 (B 195/1183-I-SG 195 –4)

10 Vgl. F. Bringmann/H. Diercks, Die Freiheit lebt, Frankfurt a.M. 1983, S. 134

11 Ebda., S. 61 f

12 Vgl. o.a. Teilbescheid vom 09.10.1956 und o.a. Bescheid vom 05.09.1969

13 Vgl. o.a. Bescheid vom 05.09.1969

14 Vgl. Heiratseintrag Nr. 75/1942 beim Standesamt Uetersen

15 Vgl. o.a. Teilbescheid vom 09.10.1956 und o.a. Bescheid vom 05.09.1969

16 Vgl. Brief von JPB vom 25.02.1945 aus dem KZ Neuengamme an KB

17 Vgl. Beschluss des Sonderhilfsausschusses des Landes S-H vom 19.10.1951 in der Haftentschädigungssache KB, ausgefertigt am 30.11.1951

18 Vgl. o.a. Teilbescheid vom 09.10.1956 und o.a. Bescheid vom 05.09.1969

19 Vgl. Urkunde des Standesamtes I in Berlin Nr. 17304 vom 19.04.1952 (Toterklärung zum 31.12.1945)

20 Vgl. Randbemerkung zum Heiratseintrag Nr. 75/1942 beim Standesamt Uetersen

I. Marie Lorenz – verfolgt wegen Abhörens von „Feindsendern“

An diesem Ort erfährt man etwas über den zivilen Ungehorsam:

Hier wohnte seit 1937 eine Frau, die 1944 verhaftet wurde „wegen Abhörens ausländischer Sender.“ Am 01.02.1945 wurde Marie Lorenz zu 2 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt; am 16.05.1945 wurde sie aus der Haft entlassen.

 

Literatur:

W. Hayatie: 1944 wegen Abhörens von „Feindsendern“ verurteilt. Heute eine vergessene Widerstandskämpferin?, in: S. Zankel (Hg.), Uetersen im Nationalsozialismus, Schüler der Ludwig-Meyn-Schule erforschen die Geschichte ihrer Stadt, Kiel 2009, S. 97 ff.

J. Heisterkampstraße als eine „Straße im Widerstand“

Hier wohnten mehrere der in den „Offenborn-Prozessen“ Verurteilten ehem. KPD-Mitglieder: u.a. Karl Haase (Nr. 29), Franz Kristen (Nr. 36) und Hans Due (Nr. 38).

Alle Genannten wurden 1935/36 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.

Der Vorwurf: Sie hatten sich trotz Parteiverbots durch die Nazis weiterhin heimlich getroffen, weiter Partei-Beiträge kassiert und auch Flugblätter hergestellt und verbreitet.

Johannes Offenborn (*1902) war in Elmshorn Maschinenbauer. Nach ihm sind die Prozesse benannt, die ab dem 10. 12.1935 vor dem 3. Strafsenat des Kammergerichts Berlin im Hamburger Strafjustizgebäude „in der Strafsache gegen Offenborn und Andere wegen Vorbereitung zum Hochverrat“ stattfanden, insgesamt waren es 24 Prozesse.[1]

In Uetersen gab es eine Zusammenarbeit von KPD und SPD im Untergrund; dem dienten z.B. die „… Versammlungen auf der Elbinsel Pagensand mit Joh. Offenborn, .., Hans Britten, Viktor Andersen , Franz und Josef Kristen, Karl Haase, .. und Wilhelm Lüdemann. Thema: Zusammenarbeit von SPD und KPD.“[2] Das war im Juni 1933. Andersen und Lüdemann waren Sozialdemokraten.

Drei Verurteilte wurden in der Nazi-Zeit ermordet: Johann Britten (1904-1945), Arthur Sorg (1901-1937) und Wilhelm Vollstedt (1888-1942).

Sorg ist 1937 im Lager Aschendorfer Moor durch Nachlässigkeit des Lagerarztes verstorben. Vollstedt ist 1942 im KZ Neuengamme umgekommen und Britten ist 1945 in der Neustädter Bucht ertrunken (Evakuierung des KZ Neuengamme und Bombardierung durch die Briten). Britten war 1933 gewählter Stadtvertreter für die KPD, konnte sein Mandat jedoch nie wahrnehmen.

(Hinweis: Gedenkstein auf dem Neuen Friedhof)

(Hinweis: Für alle drei sind 2012 „Stolpersteine“ an ihrer letzten frei gewählten Wohnadresse verlegt worden.)

Zusammenfassung:

Die Heisterkampstraße in Uetersen gehört zu den Straßen im Kreis Pinneberg, die lt. Bringmann/Diercks zu den „Straßen im Widerstand“ zählt. Denn hier wohnten insgesamt 9 Angeklagte von insgesamt 261 Angeklagten der Offenborn-Prozesse.

 

Erhard Vogt, Juli 2017

 

[1] Vgl. F. Bringmann/H. Diercks, Die Freiheit lebt, Frankfurt a.M. 1983, S. 80

[2] Das., S. 134