Zwangsarbeiter in Uetersen

Parkstraße 1, Uetersen

In Uetersen hielten sich von 1939 bis zum Kriegsende bis zu 1.700 Fremdarbeiter[1] (Zivilarbeiter und Kriegsgefangene) auf. Ausländische Zivilarbeiter, die unter Zwang und Gewaltanwendung im Deutschen Reich zur Arbeit eingesetzt wurden, also keinen Einfluss auf die Beendigung oder die Umstände des Arbeitseinsatzes hatten oder durch mangelhafte Versorgung einer erhöhten Sterblichkeitsrate unterlagen, werden als Zwangsarbeiter[2] bezeichnet. Von den Fremdarbeitern sind die Namen von bisher etwa 760 Zwangsarbeitern und 60 Kriegsgefangenen bekannt. Sie kamen im Wesentlichen aus Russland (rd. 340), Frankreich (rd. 260), Polen (rd. 110) und der Rest aus verschiedenen weiteren Ländern.

Unter den namentlich bekannten Zwangsarbeitern befanden sich auch 79 Jugendliche, die bei ihrer Ankunft in Uetersen erst 16 bis 18 Jahre alt waren.

Die Männer, Frauen und Jugendlichen waren in Betrieben, der Landwirtschaft und Privathaushalten in Uetersen sowie teilweise in umliegenden Gemeinden beschäftigt. Es handelte sich hierbei sowohl um große Firmen wie die Nordmark Werke GmbH oder die Maschinenfabrik HATLAPA als auch um kleine Betriebe wie die Gastwirtschaft Deutsches Haus oder die Bäckerei Lexow. Bisher sind 97 Arbeitgeber namentlich bekannt.

Die Zwangsarbeiter waren in verschiedenen, meist nach Nationalitäten getrennten Lagern in Uetersen untergebracht. Das war zum Beispiel in der Jugendherberge in der Parkstraße, der Gastwirtschaft Heydorn im Großen Sand oder im Tornescher Weg. Einige lebten auch in Privathaushalten oder bei den Landwirten, für die sie arbeiteten. Bekannt sind bisher 12 Lager in Uetersen.

Allein im Uetersener Krankenhaus Bleekerstift wurden mindestens 328 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus Uetersen und der Umgebung behandelt. Die häufigsten Diagnosen waren Fleckfieber, Lungentuberkulose und Diphtherie. Diese Erkrankungen wurden durch bakterielle Infektionen und schlechte hygienische Bedingungen ausgelöst und übertragen durch Flöhe und Läuse bzw. auf dem Luftweg oder in Form von Tröpfchen. Des Weiteren wurden Methylalkoholvergiftungen, Verbrennungen, Brüche und auch Folgen von Suizidversuchen dort behandelt.

Mindestens 34 erwachsene Zwangsarbeiter verstarben in Uetersen auf Grund der oben genannten Erkrankungen, durch Arbeitsunfälle oder Selbstmord.

15 Kinder, die von Zwangsarbeiterinnen geboren wurden, verstarben noch vor der Geburt oder kurz danach. Als Ursache wurde häufig „Lebensschwäche“ angegeben.

Bis Ende 1942 wurden mindestens 97 Zwangsarbeiter in Polizeigewahrsam genommen. Unterlagen für die Jahre 1943 bis Kriegsende sind verbrannt. Die meisten Zwangsarbeiter waren jedoch um 1944 in Deutschland und in Uetersen. Es dürften sich also insgesamt noch erheblich mehr Personen als bekannt in Polizeigewahrsam befunden haben. Gründe hierfür waren u.a. Schutzhaft, Trunkenheit, Arbeitssabotage, Verweigerung der Arbeit, Diebstahl, Hehlerei, Schlägereien, unzüchtige Handlungen, auf Anordnung der Gestapo sowie vorliegende Haftbefehle.

Im Amtsgericht Uetersen wurden allein in den Jahren 1942 bis 1943 in 19 Verfahren Zwangsarbeiter zu Straflager, Gefängnis oder zu Geldstrafen wegen Diebstahls, Hehlerei und Beleidigung verurteilt. Unter ihnen war der Zwangsarbeiter Thaddäus Ploszynski, der eine Geldstrafe wegen Diebstahls erhielt.

Nach dem Krieg versuchte der vorgenannte Ploszynski seinen Freund Tadeusz Mazurek über das DRK ausfindig zu machen. Sie waren 1940 gemeinsam aus Posen (Polen) zur Zwangsarbeit verschleppt worden. Mazurek war damals 25 Jahre alt und musste in einer Uetersener Autowerkstatt arbeiten. Er lernte eine verheiratete deutsche Frau kennen und begann ein Liebesverhältnis mit ihr. Ein gemeinsames Kind wurde im Dezember 1942 geboren. Mazurek kam deshalb in das SS-Sonderlager KZ Hinzert bei Trier zur Prüfung der „Eindeutschungsfähigkeit“. Die Frau wurde ins KZ Ravensbrück gebracht. Beide überlebten die Haft, heirateten nach dem Krieg in Neumünster und wanderten 1950 gemeinsam nach Australien aus. Dort lebte Mazurek noch 50 Jahre und verstarb 5 Tage vor seinem 85. Geburtstag. Er liegt in einem gemeinsamen Grab mit seiner bereits 1984 verstorbenen Ehefrau auf dem Friedhof Cheltenham in Adelaide / Süd-Australien. Seinen Freund Ploszynski hat er nicht getroffen.

Zusammenfassung:

Im Jahr 1939 hatte Uetersen 7.788 Einwohner[3]. Ein Anstieg der Bevölkerungszahl durch den Zuzug der Fremdarbeiter in dieser Größenordnung hatte einen erheblichen Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Die schlechten Lebensbedingungen führten zu Krankheiten, Rechtsverstößen und Konflikten untereinander. Die Anwesenheit der Fremdarbeiter und deren schwierige Lebensumstände kann der Uetersener Bevölkerung nicht unbemerkt geblieben sein.

 

[1]Vgl. http://www.uetersen-geschichte.de/index.php?id=35 , Abruf am 07.06.2017

[2]Vgl. https://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/geschichte/auslaendisch/begriffe/index.html , Abruf am 07.06.2017

[3]Vgl. Dr. Michael Rademacher, M.A., Promotion; http://www.verwaltungsgeschichte.de/pinneberg.html#ew39auet , Abruf am 07.06.2017

 

Sabine Niklas, Juni 2017

 

Veröffentlicht von Erhard Vogt am

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