Das Versteck der „Halbjüdin“ Eva Hirche

Eva Hirche, ca. 1938 in Jever (Sammlung: Gröschler-Haus)
Eva Hirche (Mitte) mit ihrem Vater Adolf Hirche und ihrer Mutter Erna Hirche, ca. 1938 (Sammlung: Gröschler-Haus)
Eva Hirche mit ca. fünf Jahren, Jever 1938 (Sammlung: Gröschler-Haus)
Ellerauer Straße 55, Quickborn

In der Ellerauer Straße, direkt an der Gronau, befand sich der landwirtschaftliche Hof von Hans Micheelsen.[1] Micheelsen gehörte zu dem rechtsbürgerlichen Milieu der Landgemeinde Quickborn. Er war im Vorstand des örtlichen Landwirtschaftlichen Vereins[2] und zählte zu den langjährigen Mitgliedern des Kriegervereins.[3] In der Zeit des Nationalsozialismus gehörte sein Hof zu den 72 Erbhöfen in Quickborn, die die Nationalsozialisten entsprechend ihrer Blut- und Boden-Ideologie mit einer rechtlichen Sonderstellung hervorhebten.[4] Vor diesem Hintergrund erscheint es widersprüchlich, warum ausgerechnet auf diesem Hof die „Halbjüdin“ Eva Hirche heimlich unterkommen konnte.[5]

Eva Hirche wurde am 15. Juni 1933 in Jever geboren. Ihre Mutter, Erna Hirche geborene Schiff, stammte aus einem jüdischen Elternhaus. Ihr Vater, Adolf Hirche, hatte hingegen christliche Vorfahren. Die Familie lebte in dem niedersächsischen Ort Jever, wo der Vater als Elektromechaniker arbeitete.
Obwohl die Familie nicht religiös geprägt war, wurde die Mutter nach dem rassistischen Menschenbild der Nationalsozialisten als „Jüdin“ und die Tochter als „Halbjüdin“ stigmatisiert. Allein die Heirat mit dem „Arier“ Adolf Hirche und damit das Zusammenleben in einer „privilegierten Mischehe“ verschonte die Familie zunächst vor stärkeren Übergriffen des NS-Regimes. Dieses änderte sich nach einem Brand in dem Wohnhaus der Familie Hirche, den der Mutter mit einer fadenscheinigen Beweislage angelastet wurde und zu ihrer Verhaftung im März 1940 führte. Um die Tochter gut zu versorgen und zu schützen, gab der Vater seine Tochter in die Obhut von in Hamburg lebenden Familienangehörigen seiner Frau und deren Bekannten. Auch nach der achtmonatigen Haftzeit der Mutter nahm diese ihre Tochter Eva nicht wieder auf, sondern versteckte sich selbst anfangs in der Lüneburger Heide, dann in Hamburg, um sich einer weiteren Verfolgung zu entziehen.

Mehrmals musste Eva ihre Unterkunft in Hamburg wechseln, wenn es für sie zu gefährlich wurde. Nachdem sie bereits über ein Jahr in Hamburg in verschiedenen Verstecken lebte, kam das achtjährige Kind schließlich in Quickborn unter. In ihren Erinnerungen schrieb sie: „Ende 1941 kam ich auf einen großen Bauernhof in Quickborn bei Hamburg. Mit erfundenen Geschichten wurden die neugierigen Gemüter beruhigt, und ich konnte dort fast volle 18 Monate bleiben.“[6]

Im Sommer 1943 wurde Eva Hirche wieder von ihrer Mutter aufgenommen. Diese hatte angesichts der Bombenzerstörungen in Hamburg und der Deportation der Familienangehörigen keine unterstützende Helfer mehr. Über Oldenburg, wo sie vertrieben wurden, gingen sie im Oktober 1943 zu dem Vater nach Jever zurück. Unter schwierigen Verhältnissen, einer ständigen Gefahr vor Verhaftung und antisemitischen Anfeindungen überlebten die Familie hier die Zeit des Nationalsozialismus.

Eva Hirche trat in der Nachkriegszeit der jüdischen Gemeinde Oldenburg bei und besuchte das Gymnasium in Jever. 1957 heiratete sie in Brüssel Georg Basnizki, der ebenfalls in der NS-Zeit verfolgt wurde und in einem katholischen Kinderheim versteckt wurde. Das Ehepaar zog nach Israel in den Ort Beit Nakofa nahe Jerusalem. Hier arbeitete Eva Basnizki geborene Hirche als Sekretärin in einem Sanatorium für Holocaust-Überlebende, als freie Journalistin und als Übersetzerin. Sie starb am 5. Januar 2016.

 

 

Veröffentlicht von Jörg Penning am

Ein Hinweis zu “Das Versteck der „Halbjüdin“ Eva Hirche”

  1. Jochen Haritz sagt:

    Ein eindrucksvoller Beitrag der es wert ist nicht in Vergessenheit zu geraten !
    In meiner Kindheit und Jugendzeit lebte ich bei meinen Eltern in Quickborn , ging in die dortige Volksschule und später bis zum Abitur auf das Gymnasium in Bad Bramstedt. Zwei Kontakte zu Mitschülerinnen aus Hasloh bestehen heute noch !Unser Milchmann in Quickborn hieß Glückmann und stammte ursprünglich aus Jugoslowien. In Hasloh lebte noch eine Familie Berlin mit jüdischem Hintergrund.
    Dr.Ross züchtete nicht nur Hühner, sondern Scotch Terrier !
    Die Jacobssohns hatten einen Lebensmittelladen in Quickborn, Ortsteil Heidei n der Ulzburger Straße.
    J.H.

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