„Man sollte Ihnen kräftig draufschlagen“ – Reaktionen auf einen Leserbrief von Otto Gobetz

ehemaliger Wohnsitz der Familien Gobetz und Last, Ulzburger Landstraße, Quickborn 2007 (Foto: Jörg Penning)
Schautafel nach dem 'Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre' (Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hg.): Organisationsbuch der NSDAP. 4. Auflage. München 1937, S. 530.)
Neue Hamburger Presse, 15.09.1945
Familie Gobetz, von links nach rechts: Otto, Arie, Martha (Mutter), Adriane, Werner, Anneliese (im Arm), ca. 1924 (Sammlung: C. Römer)
Das Paar Irmgard Fischer und Otto Gobetz, ca. 1941 (Sammlung: C. Römer)
Otto Gobetz, 1988 (Sammlung: C. Römer)
12. Februar 1946
Ulzburger Landstraße, Quickborn

Anfang des Jahres 1946 entfachte in der Neuen Hamburger Presse, die Wochenzeitung für Hamburg und Schleswig-Holstein der britischen Militärbehörden, eine Leserbriefauseinandesetzung, die der Autor Ralph Giordano in Gang setzte. Es ging um die begonnenen und die anstehenden Prozesse gegen Deutsche wegen nationalsozialistischer Gewalttaten und die Frage nach der Schuld: Waren die Deutschen kollektiv für die Verbrechen verantwortlich oder wurden sie nur verführt und von einer kleinen Führerclique hintergangen? Wie sollte das deutsche Volk mit ihrer Vergangenheit umgehen? Sich damit selbstkritisch auseinandersetzen oder nach vorne schauen und das Vergangene hinter sich lassen?

Ralph Giordano schrieb: „Wer als Deutscher auf den fast unübersehbaren Wust von Schandtaten und Verbrechen, die durch Deutsche begangen worden sind, hinweist, wird als ‚Vaterlandsverräter‘ und ’schlechter Deutscher‘ bezeichnet. Lächerlich darum, zwischen der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes und den ‚Nazis‘ gesinnungsmäßig einen Unterschied zu machen! Dieses Volk, das den Nationalsozialismus bis Stalingrad und El Alamein vorgetragen und bis zu den Trümmern Berlins und Magdeburgs verteidigt hat, ist heute selbstverständlich ‚völlig unschuldig‘ an allen Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945! Es ist zu feige, eine nähere Verbindung zwischen seinen fürchterlichen Gedankenfehlern und den Judenmorden zu definieren. (…) Es ist sehr erfreulich, daß nach den vielen Vertuschungsversuchen seit der endgültigen Niederringung des Naziregimes nun endlich in einem öffentlichen Organ auch d i e wenigen Stimmen zu Worte kommen, die in Deutschland so sehr in der Minderheit sind, weil es gilt, die für die Deutschen so schmähliche Wahrheit zu vertreten.[1]

Die Gegenposition hierzu, die sich letztlich in der Mehrheitsgesellschaft über viele Jahre in Westdeutschland durchsetzen sollte, vertrat Alida Weiß: „Meiner Ansicht nach kommt es nicht darauf an, nun in dem herumzustochern, was vergangen ist. Haß ist genug gesät in der Welt und in Deutschland. Wir sollten bedenken, daß es nicht darauf ankommt, neuen Haß zu schüren, sondern einen neuen Anfang zu machen. Wir sind alle von dem gegenwärtigen Schicksal Deutschlands in gleicher Weise betroffen. Es zu meistern, müssen wir zusammen wirken! Wir sollten soviel Haltung und Stolz besitzen, als Deutsche gerade heute ehrlich zusammenzustehen und uns nicht vor der Welt gegenseitig mit Schmutz zu bewerfen! Denn ein Volk, das in der Not nicht soviel Selbstachtung besitzt, kleinliche Streitigkeiten innerer Art zurückzustellen, – das muß allerdings von der Welt verachtet werden. Nicht, weil es falsche Wege ging, – das haben im Lauf der Geschichte auch andere Völker getan, – sondern weil es gegenwärtig haltungslos und ohne Ehrgefühl ist. Nicht in gegenseitigem Haß, sondern in einer Besinnung auf uns selbst und in einem Anspannen aller Kräfte für den inneren und äußeren Bau unserer Zukunft liegt unsere Aufgabe! Alles andere ist unfruchtbar und erniedrigt uns.[2]

In der darauf folgenden Ausgabe der Neuen Hamburger Presse erschien der Leserbrief von Otto Gobetz. Er erwiderte auf die Position von Alida Weiß: „Alida Weiß beweist in ihrem Artikel …, daß sie nichts aus der Vergangenheit gelernt hat. Das, was darin angeführt und gewünscht wird, haben wir ja bereits erlebt. Es würde nur eine Wiederholung von 1918 sein. Damals nannte man diejenigen, welche auf die Fehler, die gemacht wurden, hinwiesen, und die die Schuldigen brandmarkten, ganz einfach ‚Landesverräter‘. Anstatt, daß man das eigene Nest gründlich ausmistete, bedeckte man den Mist mit Rosenblättern, daß es zuletzt bis zum Himmel stank im Deutschen Reich. Der Kelch der Wahrheit schmeckt zwar bitter, ist aber eine heilsame Medizin. Hätten wir damals Reaktion und Faschismus rücksichtslos bekämpft, ein Adolf Hitler wäre überhaupt nicht erst in Erscheinung getreten. (…) Für mich ist ein Nazi-Verbrecher überhaupt kein Deutscher. Die Mehrheit des deutschen Volkes hat auch gar keine Lust, mit ihnen noch weiter zusammenzuarbeiten. Und wenn wir sie jetzt verurteilen, so ist das kein Haßsäen, sondern nur eine Gerechtigkeit. Jeder der ein Verbrechen begangen hat, wird logischerweise verurteilt, ob es sich nun um einen Dieb, Raubmörder oder Nazi handelt, ist ganz gleich. Würden wir noch einmal auf diesem Sumpf aufbauen, dies Gebäude würde genau so zusammenbrechen wie das von 1918.[3]

Welche heftigen Reaktionen die Forderung nach einer offenen Auseinandersetzung mit der Frage der Schuld und Verantwortung der Deutschen hervorriefen, zeigten die 32 Droh- und Schmähbriefe, die Otto Gobetz auf seinen für heutige Verhältnisse harmlosen Leserbrief erhielt. Geschrieben wurde ihm: „Schämen sollen Sie sich, Ihr ungewaschenes Maul aufzureissen, man sollte Ihnen kräftig draufschlagen“ oder „Ich könnte mir vorstellen, wenn Sie im dritten Reich auch solche Klappe hatten, dass Sie verdientermassen im KZ. gesessen haben, wie alle anderen auch, denn wer im KZ sass, hatte doch nur selber Schuld.“ Ein anderer „Volksgenosse“ verkündete: „Dass man solchen Schmierfinken, auch Sie sind damit gemeint, eines Tages das Handwerk legt, ist so gut wie sicher, wenn das Deutsche Volk erst einmal wieder Herr im eigenen Hause ist.“ Drastisch schrieb ein anderer Rechtsradikaler auf eine Postkarte an Gobetz: „Sie krummes Arschloch, man müsste sie von früh bis abends mit Scheisse beschmieren, damit auch Ihr äusserlicher Geruch Schritthalten kann mit dem Gestank, den Ihr verwestes Gehirn in Form des Artikels ‚Ein Deutscher über seine Landsleute‘ auslöste.[4]

Dass Otto Gobetz sich im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen um eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bemühte, hatte auch mit seinen eigenen Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus zu tun. Denn nach den „Nürnberger Rassegesetzen“ war er wegen seines jüdischen Vaters[5] ein sogenannter „Mischling I. Grades“.

Otto Gobetz wurde am 20. August 1918 als Sohn des holländischen Zigarrenarbeiters Levi Gobetz und der Hausangestellten Martha Puppel (später Jirka) in Hamburg-Eimsbüttel geboren. Er war das dritte von insgesamt fünf Kindern der Familie Gobetz, die zwar alle in Hamburg geboren wurden, wegen der Nationalität des Vaters jedoch die niederländische Staatszugehörigkeit zugewiesen bekamen.[6] Otto Gobetz erlernte den Beruf des Schlachters und verlobte sich ungefähr 1941 in Hamburg mit Irmgard Fischer. Wegen seiner „Rassenzugehörigkeit“ war es Otto Gobetz jedoch nicht möglich gewesen, seine Verlobte zu heiraten und mit ihr offiziell einen gemeinsamen Haushalt zu gründen. Trotzdem blieb die Partnerschaft des jungen Paares die ersten Jahre insgeheim bestehen und auch drei Kinder gingen aus dieser Beziehung hervor. Um die Abstammung des Nachwuchses zu verbergen, wurde in den amtlichen Geburtsunterlagen die tatsächliche Vaterschaft verschwiegen.[7]

Mit den Bombardements auf Hamburg im Sommer 1943 und der Zerstörung eines Großteils der Stadt zog Irmgard Fischer mit den Kindern zu ihren Großeltern nach Quickborn. Otto Gobetz folgte der Familie in die Landgemeinde und hielt weiterhin Kontakt, auch dann noch, als die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin bereits zerbrochen war.[8] Anfang April 1944 zog er zu seiner älteren Schwester Adriane.[9] Diese hatte 1939 in Quickborn den Kraftfahrer Johannes Last geheiratet und lebte mit ihrem Mann in den ehemaligen Kantinengebäuden der Norddeutschen Sprengstoffwerke an der Ulzburger Landstraße, Ecke Friedrichsgaber Straße. Der Vater des Bräutigams hatte das Gebäude aufgekauft und hier einen Kolonialwarenladen betrieben, nachdem er wegen finanzieller Schwierigkeiten die gegenüberliegende Gastwirtschaft „Weißer Hirsch“ verkaufen musste.[10] Die Heirat der „Halbjüdin“ Adriane Gobetz mit dem „Vollarier“ Johannes Last wurde vom Standesbeamten besonders geprüft.[11] Vermutlich wurde der Eheantrag, wie in solchen Fällen üblich, zur Prüfung dem Innenministerium vorgelegt. Die Ehe schien daraufhin bewilligt worden zu sein,[12] was dem Heiratsgesuch von Otto Gobetz und Irmgard Fischer anscheinend nicht vergönnt war.

Neben Adriane und Otto Gobetz zogen auch die jüngeren Geschwister Anneliese und Werner sowie die Mutter Martha Jirka von Hamburg aus in die Ulzburger Landstraße.[13] Während die Geschwister Adriane, Werner und Anneliese als „Mischlinge I. Grades“ nach bisherigen Kenntnissen von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen verschont blieben, geriet der Bruder Otto bald nach Ankunft in Quickborn in Konflikt mit den Repressionsorganen. Bereits vorher war Otto Gobetz in Hamburg ab 1939 insgesamt über ein Jahr inhaftiert gewesen,[14] wobei er auch im berüchtigten Stadthaus Hamburg, dem Gestapo-Hauptquartier, misshandelt wurde.[15] In Quickborn wurde er den Polizeibehörden „auffällig“, als er als Ausländer und „Halbjude“ unberechtigterweise ein von einer Nachbarin entliehenes Kraftrad fuhr. Das Amtsgericht Pinneberg verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe in Höhe von 400 RM. Der Amtsvorsteher Wilhelm Kolz entdeckte im Rahmen der Ermittlungen ein weiteres Vergehen: „Dieses Krad gehörte dem verstorbenen Maurer Emil Grodthoff. Im Verfolg der Angelegenheit stellte es sich heraus, daß Gobetz mit der Ehefrau des G. (späteren Witwe)[16] ein Verhältnis unterhalten und mit ihr auch geschlechtlich verkehrt hat. Er wurde deshalb in Haft genommen und der Geheimen Staatspolizei, Außendienststelle Itzehoe, überstellt. Diese hat Gobetz dann verwarnt und belehrt. Ausserdem wurde ihm eröffnet, dass er bei Nichtbefolgung dieser Anordnung mit den strengsten polizeilichen Massnahmen zu rechnen hat. Gobetz soll in Zukunft beobachtet werden (…) Ferner wurde die Ehefrau Grodthoff belehrt und verwarnt, fortan den Verkehr mit dem Halbjuden Otto Gobetz aufzugeben.[17] Wegen diesem verbotenen Umgang mit einer „deutschen Frau“ befand sich Otto Gobetz vom 6. bis zum 14. Dezember 1944 im Landgerichtsgefängnis Itzehoe in „Schutzhaft“.[18]

Anschließend musste er, wie alle bisher noch nicht deportierten männlichen Juden und „Mischlinge I. Grades“, für die Organisation Todt (OT) zu Räumungsarbeiten im bombenzerstörten Hamburg antreten und Leichen bergen.[19] Noch wenige Wochen vor Kriegsende hatte Otto Gobetz sich am 13. Februar 1945 mit Marschverpflegung für zwei Tage, festen Schuhzeug, Arbeitskleidung und Putzzeug auf einen längeren Arbeitseinsatz beim Arbeitsamt Elmshorn zu melden.[20] Von hier aus gerieten die im Arbeitsamtsbezirk verbliebenen männlichen „Mischlinge“ und „jüdisch Versippte“ aus „Mischehen“ über ein Durchgangslager in Neumünster in das Arbeitszwangslager der OT in Zerbst, wo sie für den Bau eines Militärflughafens eingesetzt wurden.[21] Ob Otto Gobetz dieser Aufforderung gefolgt war, ist jedoch fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass er sich in einem Kellerverschlag des Hauses von Emmi Grodthoff in der Ulzburger Landstraße versteckt und das absehbare Kriegsende abgewartet hatte.[22]

Otto Gobetz heiratete nach dem Krieg Emmi Grodthoff, die ihm Zuflucht gewährt und vor Schlimmeres bewahrt hatte. Das Paar verzog in den 1970er Jahren nach Barsbüttel und dann nach Mölln. Seine Erlebnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus werden sicherlich sein politisches Bewusstsein geprägt haben. Nach dem Krieg engagierte sich Otto Gobetz in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), in der Deutschen Friedensunion (DFU), der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und im Kreisvorstand Lauenburg der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Wie seine 1957 verstorbene Mutter Martha Jirka wandte sich Gobetz gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und war Mitbegründer der Möllner Friedensinitiative. Er verstarb 1988 in Mölln mit 69 Jahren.[23]

Veröffentlicht von Jörg Penning am

Ein Hinweis zu “„Man sollte Ihnen kräftig draufschlagen“ – Reaktionen auf einen Leserbrief von Otto Gobetz”

  1. H. Hageman sagt:

    Liebe Leserin/Leser,

    Mit Interesse habe ich den Artikel gelesen: „Man sollte Ihnen kräftig draufschlagen“ – Reaktionen auf einen Leserbrief von Otto Gobetz.
    Bei meinen Recherchen über die Juden in der niederländischen Provinz Friesland stieß ich auf einige Wohnkarten in der Stadt Leeuwarden von Aaron Gobitz (geb. 25.6.1910 in Hamburg) und Werner Gobetz (geb. Hamburg, 31.01.1920) .
    Aaron kam lange vor Kriegsbeginn als Pflegekind nach Leeuwarden. Beruf: Schriftsetzer. Er hat an mehreren Adressen gewohnt und war laut meinen Aufzeichnungen unverheiratet. Ich habe eigentlich keine Hauskarten von Werner gefunden. Ich vermute, dass er auch viel später in die friesische Hauptstadt kam. 1939 wechselten die Niederlande zu einer anderen Registrierung im Standesamt. Die beiden Männer blieben von der Verfolgung verschont, weil sie keine Volljuden waren.
    Ich kann Ihnen eine Kopie der Urkunden der Herren schicken. Im Gegenzug möchte ich die Ihnen vorliegenden Informationen erhalten.
    Es versteht sich von selbst, dass alle privaten Informationen als solche behandelt werden. Als Forscher ist es mein Ziel, Klarheit über eine Gruppe von Juden zu gewinnen, die (oft als Flüchtlinge) hierher gekommen sind, und keine personenbezogenen Daten zu veröffentlichen.

    Mit freundlichen Grüße
    H. Hagemann
    Forscher im Stadtarchiv in Leeuwarden.

  2. Adriana Gobetz sagt:

    Otto Gobetz war unsere Onkel. Meine Vater war seiner aldest Brüder Aäron.
    Wenn Sie noch mehr Bilder oder Information haben, können wir das bekomen? ZBS die Fussnoten.
    Herzlich Dank.
    Ich spur nach alles von der Familie Gobetz.

    Grüsse,

    Adriana Gobetz aus Holland

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