Erna und Kurt Jacobsohn – eine „privilegierte Mischehe“

2. Februar 2014
Ulzburger Landstraße, Quickborn

Zu den Personen, die trotz jüdischer „Rassenzugehörigkeit“ in der Zeit des Nationalsozialismus zunächst unter einem gewissen rechtlichen Schutz vor Verfolgung standen, zählten Juden in sogenannten „Mischehen“, die mit einem „arischen“ Partner verehelicht waren.[1] Hierzu gehörte der „Volljude“ Kurt Jacobsohn, der mit der „arischen“ Erna Jacobsohn, geborene Feyerabend, verheiratet war. Aus der Ehe gingen in der NS-Zeit zwei Kinder hervor, die laut nationalsozialistischer Rassendefinition als „Mischlinge 1. Grades“ galten.[2]

Kurt Jacobsohn wurde am 29.08.1906 in Hamburg als Sohn des Kaufmanns Ludwig Jacobsohn geboren. Er besuchte die Talmud Tora Realschule im Hamburger Grindelviertel und erlernte anschließend den Kaufmannsberuf. 1930 heiratete Kurt Jacobsohn Erna Feyerabend und eröffnete in Hamburg ein Geschäft mit Parfümerien, Toiletten-Artikel, Seifen und anderen Waschmitteln. Ein Jahr später wurde der Sohn Horst geboren. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde es Kurt Jacobsohn wegen seiner „Rassenzugehörigkeit“ schwer gemacht,  sein Geschäft weiter zu betreiben und so übernahm das Ehepaar im August 1933 ein Kolonialwarengeschäft in Blankenese, das diesmal die Ehefrau anmeldete. Aber auch dieses Geschäft mussten sie 1934 aufgeben, da es boykottiert wurde.[3]

Die kleine Familie entschloss sich daraufhin nach Berlin umzuziehen, in der Hoffnung, an einem anderen Ort eine neue Existenz aufbauen zu können. Kurt Jacobsohn führte hier eine Handelsgärtnerei, in der er Obstbäume und Ziersträucher verkaufte. Als Jude hatte er in Geschäftsbeziehungen gegenüber den Kunden seine „jüdische Abstammung“ offenzulegen. Um dieser gesetzlichen Vorgabe zu entgehen, gab er sich mit einer anderen Identität aus, was nicht lange unentdeckt blieb. Am 22.10.1938 wurde er in Berlin festgenommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor: „Um als Jude Käufer für seine Waren zu finden, ging er auf folgende Weise vor. Kam er zu den Siedlern, die als Hauptabnehmer für ihn in Frage kamen, so stellte er sich unter den Namen seines Schwagers, des Ariers F e y e r a b e n d,  vor und bejahte die regelmässig gestellte Frage, dass das von ihm vertretene Unternehmen arisch sei. Auch grüsste er in solchen Fällen mit Heil Hitler.“ Das Gericht urteilte: „Durch diese Vorspiegelungen irregeführt und hierin noch durch das Auftreten des den Deutschen Gruß erweisenden Angeklagten, durch seine Aufmachung und Kleidung und durch sein nicht jüdisches Aussehen bestärkt, haben in der Zeit von Ende 1937 bis zum Frühjahr 1938 insgesamt etwa 20 Siedler … dem Angeklagten Jacobsohn Aufträge erteilt. (…) Der Angeklagte Jacobsohn ist hiernach des Betrugs gem. § 263 StGB. schuldig. Er hat durch seine eingestandenen und erwiesenen Tarnungs- und Täuschungsmanipulationen vorgespiegelt, er sei der arische Gärtnereibesitzer ‚Richard Feyerabend‘ und hat durch diese Irreführung die Auftragserteilung erwirkt, die sonst bei Kenntnis seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse und des jüdischen Charakters seines Unternehmens nicht erfolgt wäre.“ Das Urteil lautete auf ein Jahr Gefängnis für Kurt Jacobsohn und auf vier Monate Gefängnis für den Schwager Richard Feyerabend, mit dessen Wissen der Identitätswechsel geschah.[4]

Nach der Verhaftung von Kurt Jacobsohn verzog die Ehefrau mit dem siebenjährigen Sohn Horst und der Tochter Vera, die gerade erst fünf Monate alt war, nach Quickborn-Heide zu ihren Eltern Martha und Richard Feyerabend in ein entlegenes Haus am nördlichen Ende der Ulzburger Landstraße bei Tanneneck.[5] Nach Auskünften von Erna Jacobsohn in der Nachkriegszeit wurde ihr Sohn in der Quickborner Volksschule aus rassischen Gründen benachteiligt. Wenige Tage nach der Schulanmeldung musste er die Schule verlassen und konnte erst ein dreiviertel Jahr später wieder die Volksschule besuchen. Hier war es insbesondere der Klassenlehrer Laesch, der den Jungen vor den Mitschülern aufforderte, seine Zugehörigkeit zum Judentum anzugeben, und der auch nicht vor Schlägen zurückschreckte. Rückblickend erinnerte er sich über seine Schulzeit: „Ich bin damals von anderen Schülern gemieden worden. Teilweise bin ich auch mit den Klassenkameraden verfeindet gewesen, weil sie mir auflauerten und mich verprügelten.“ Um diesen Drangsalierungen zu entgehen, übergab die Mutter ihre Tochter Vera an eine Bekannte in Ulzburg, die das Kind hier unter falschen Angaben einschulte.[6]

Nach der Haftzeit kam auch Kurt Jacobsohn nach Quickborn-Heide und wurde von der Familie aufgenommen. Als „Volljude“ hatte er den zweiten gesetzlichen Vornamen „Israel“ anzunehmen, der ihn im Schriftverkehr als Juden kenntlich machte. Einen Judenstern hatte Kurt Jacobsohn gemäß der Polizeiverordnung zur Kennzeichnung der Juden vom 1. September 1941 (siehe Quelle) nicht zu tragen, da er in einer „Mischehe“ lebte und seine Kinder nichtjüdisch erzogen wurden.[7] Nach dem Umzug nach Norddeutschland hatte er mehrere kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse: So arbeitete er nach seiner Ankunft in Schnelsen in einer Papierverwertungsfabrik, aus der er wieder entlassen wurde. Auch seine anschließende Arbeit als Beifahrer eines Wäschetransporters verlor er, da er aufgrund „gesetzlicher Bestimmungen“ dort nicht arbeiten durfte.[8] Zeitweise war er im Levantehaus in der Hamburger Mönckebergstraße als Lagerarbeiter beschäftigt und versuchte durch landwirtschaftlichen Anbau zum Lebensunterhalt beizutragen.[9]

Nachdem noch die Familien zweier Brüder von Erna Jacobsohn in das elterliche Haus mit einzogen, war die Familie Jacobsohn auf der Suche nach einer anderen Bleibe. Sehr entgegen kam ihr das Angebot des Ehepaares Tietje, ihr im Kampmoor gelegenes Wochenendgrundstück mit einer Wohnlaube ab Anfang des Jahres 1943 pachten zu können. Dieses wiederum stieß auf Widerwillen des Ortsgruppenleiters der NSDAP, Willi Bendorf, der am 19. März 1943 die Ortspolizeibehörde über das Umzugsvorhaben der Jacobsohns informierte und um Abhilfe bat. Der Amtsvorsteher der Ortspolizeibehörde, Willi Kolz, versuchte das „Problem“ zunächst auf administrativem Wege zu lösen und verwies auf eine Bestimmung, wonach Wohnlauben in der Zeit vom 15. Oktober bis zum 15. April nicht bewohnt werden dürften. Er wies des Weiteren den Grundeigentümer Johannes Tietje an, dafür Sorge zu tragen, dass dessen Wohnlaube nur bestimmungsgemäß bewohnt werde. Dies wurde nachts von dem Gendameriehauptwachtmeister Hermann Gätgens von Zeit zu Zeit kontrolliert. Jacobsohn gab daraufhin an, erst ab dem 15. April 1943 vollständig die Laube bewohnen zu wollen. Missbilligend schrieb Kolz hierauf an den Landrat: „Obwohl eine ausreichende Menge von Bewerbern für das Grundstück vorhanden war, hat er [der Vermieter Tietje, d. Verf.] es ausgerechnet an den Juden verpachtet. (…) Mit gesetzlichen Mitteln ist es mir leider nicht möglich den Antrag des Ortsgruppenleiters der NSDAP zu entsprechen… Im übrigen würde ich es nur begrüssen, wenn J. seinen Wohnsitz ausserhalb des Bezirks verlegen würde.[10] Der Landrat entzog schließlich dem zwischen Tietje und Jacobsohn geschlossenen Pachtvertrag die Genehmigung und ließ die Familie Jacobsohn am 6. Januar 1944 polizeilich aus der Wohnlaube entfernen.[11] Die Familie Jacobsohn musste nach der Zwangsräumung aus der Wohnlaube unter äußerst beengten Verhältnissen in das elterliche Haus zurückkehren.
Die Wohnlaube hingegen beschlagnahmte Amtsvorsteher Kolz und brachte hier eine kriegsgeschädigte Familie unter. Der Besitzer ließ sich diese Mieterzuweisung nicht gefallen. Unter dem Vorwand, in der Laube noch einmal nach dem Rechten sehen zu wollen, ließ Tietje sich den Türschlüssel leihweise aushändigen und verweigerte anschließend die Rückgabe. Auch als daraufhin das Türschloss auf Veranlassung des Amtsvorstehers ausgetauscht wurde, konnte die ausgebombte Familie zunächst nicht einziehen, da Tietje das neue Schloss beschädigte und unbenutzbar machte.[12]

Ende 1944 wurde Kurt Jacobsohn, wie alle noch nicht deportierten männlichen Juden und „Mischlinge I. Grades“ aus Hamburg und Umgebung, dazu verpflichtet, im Rahmen der „Organisation Todt“ (OT) Räumungsarbeiten in der bombenzerstörten Großstadt durchzuführen. Wenige Monate vor Kriegsende sollte auch er noch der als „geschlossenen Arbeitseinsatz“ getarnten Deportation in das „Arbeitsghetto“ Theresienstadt überstellt werden. Einem vorherigen Termin für den 2. Februar 1945 zu einer amtsärztlichen Untersuchung beim Gesundheitsamt Pinneberg kam er nicht nach.[13] Er wird geahnt haben, dass dieser „Arbeitseinsatz“ eine Deportation in osteuropäsiche Lager bedeutete, die bereits 1941 seine Eltern und sein Bruder mitgemacht hatten, die nach Minsk verschleppt wurden und nicht mehr lebend zurückkehrten.[14] Darüber hinaus wird Jacobsohn bewusst gewesen sein, dass das Kriegsende bals bevorstand.

Da er auch von der Ortsgendarmerie nicht ausfindig gemacht wurde, konnte er nicht, wie vorgesehen, am 15. Februar 1945 in das Zwischensammellager in der früheren Talmundschule im Grindelhof in Hamburg überführt werden, von wo aus der Weitertransport der Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt organisiert wurde. Der Amtsvorsteher schrieb am 19. März 1945 an die Gestapo-Außenstelle Itzehoe: „Ich habe die Ehefrau in Verdacht, daß sie den Aufenthalt ihres Mannes genau kennt und ihm Lebensmittel bezw. Lebensmittelkarten heimlich zusteckt. Wie die Ehefrau an Amtsstelle zugab, war Jakobsohn über sein Verbringen vorher absolut im Bilde. Angebl. hätte er von einem jüdischen Transport, der für Theresienstadt bestimmt war, eine Postkarte mit allem Näheren aus Dresden erhalten.[15]Tatsächlich hatte Erna Jacobsohn ihren Mann trotz Gestapo-Vernehmungen und Überwachungen in seinem illegalen Versteck in Neumünster mit Lebensmitteln unterstützt, sodass er die letzten Wochen des Naziregimes überlebte und am 8. Mai 1945 wieder zurückkehren konnte.[16]

Nach der Kapitulation gehörte er zu denjenigen Antifaschisten und ehemals politischen und rassischen Verfolgten, die am 11. Mai 1945 das Quickborner Gemeindebüro besetzten, um die weiterhin auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht tätigen nationalsozialistischen Funktionsträger zu kontrollieren und sich deren Ämter übergeben zu lassen.[17] Zeitweise war er und Hermann Lichtenstein als jüdische Opfer des Nationalsozialismus im Gespräch, das Bürgermeisteramt zu übernehmen, das dann jedoch Erwin Salomon, der ebenfalls ehemals aus rassischen Gründen stigmatisiert wurde und das bürgerliche Lager vertrat, erhielt.[18]

Die Familie Jacobsohn zog nach dem Krieg in die Kampmoorstraße 31 in das Häuschen, aus dem sie einst vertrieben wurden. Hier eröffneten sie Ende Mai 1945 einen Gemischtwarenladen,[19] und zogen später mit diesen in die Ulzburger Landstraße, auf dem heutigen Grundstück des Seniorenheims „Haus Sonnenstein“, um.[20] Kurt Jacobsohn verstarb 1954 mit erst 48 Jahren. Seine Frau verstarb 1972.

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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