Karl Lührs wurde 1891 in Gräpel, Kreis Stade, geboren. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er von 1909 bis 1912 den Militärdienst und nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil.[1] 1919 heiratete seine Frau Alma, aus der Ehe gingen vier Kinder hervor.[2] Wie sein in Bönningstedt ansässiger Vater, erlernte auch Karl Lührs das Schlachterhandwerk und legte hierfür 1920 die Meisterprüfung ab. In seinem Beruf als Schlachter war er u.a. auf dem Hamburger Schlachthof tätig, blieb jedoch in den Jahren 1928 und 1929 nicht von der Arbeitslosigkeit verschont.[3]
Nach einer kurzen Mitgliedschaft in der SPD schloss sich Karl Lührs den Nationalsozialisten an. Er wurde am 1. Juni 1930 mit der Mitglieds-Nr. 261.280 in die NSDAP aufgenommen, gründete im Juli 1930 in Friedrichsgabe eine Ortsgruppe der nationalsozialistischen Partei und wurde sogleich deren Ortsgruppenleiter.[4] Den Weg zur NSDAP fand Lührs vermutlich durch den persönlichen Kontakt zu dem Quickborner Tierarzt Ernst Albers,[5] der 1929 in Quickborn die NSDAP-Ortsgruppe mitgegründet hatte.[6]
Wenig später nach der Ortsgruppengründung der NSDAP in Friedrichsgabe, erlebten die Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen vor Ort ihren Durchbruch: Bei der Wahl im September 1930 stimmten 171 Wähler für die NSDAP, die damit in Friedrichsgabe 46,1 Prozent der Stimmen erhielt.[7] Bei den nächsten Reichstagswahlen im Juli 1932 konnte die NSDAP nochmals ihr Stimmenergebnis verbessern. Nun erhielt die rechtsradikale Partei mit 246 Stimmen 53,4 Prozent.[8] In dem in den 1940er Jahren ca. 1.200 Einwohner zählenden Ort konnte die NSDAP etwa 120 „Parteigenossen“ an sich binden.[9]
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war Lührs beteiligt an der Verhaftung und Misshandlung von politischen Gegnern. Auch soll er maßgeblich mitgewirkt haben, wenn es darum ging, als Machtdemonstration bei ortsbekannten Nazi-Gegnern die Fensterscheiben einschmeißen zu lassen.[10] Er ließ die 300 Bände umfassende Bibliothek der SPD-Ortsgruppe Friedrichsgabe verbrennen[11] und zeigte mehrmals den ehemaligen sozialdemokratischen Bürgermeister Helmut Klute an, mit dem er sich vor der Machtübernahme in politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen befand.[12] Als Ortsgruppenleiter besuchte er mehrmals „Führerschulen“ der NSDAP, wurde jedoch in internen Begutachtungsbögen der Kreisleiter zwar als treues Parteimitglied, jedoch von seiner politischen Begabung eher unterdurchschnittlich eingeschätzt.
Neben seiner Funktion als NSDAP-Ortsgruppenleiter wurde Lührs nach der Machtübernahme zunächst stellvertretender Bürgermeister und übernahm schließlich auch vollständig den Bürgermeisterposten, nachdem auf seinem Betreiben hin Willi Bahde aus dem Bürgermeisteramt der Gemeinde Friedrichsgabe gedrängt wurde.[13] In den letzten Kriegstagen befehligte er in Friedrichsgabe noch den Bau von Panzersperren, die jedoch den Zusammenbruch des Nationalsozialismus nicht mehr aufhielten. Am 23. Mai 1945 wurde er von der britischen Militärbehörde in Internierungshaft genommen, die er zunächst in Neumünster und dann in Eselheide bei Bielefeld verbrachte. Nach zwei Jahren entließen ihn die Briten aus gesundheitlichen Gründen Ende Juni 1947 wieder aus dem Internierungslager. Das Spruchgerichtsverfahren in Bielefeld verurteilte ihn am 22. Februar 1949 wegen der Zugehörigkeit zum politischen Führerkorps der NSDAP zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten, die mit der Internierungshaft abgegolten war.[14] Wegen der Misshandlung von politischen Gegnern am 12. August 1933 hatte er sich noch gegenüber dem Landgericht Itzehoe zu verantworten, das Lührs am 6. April 1948 wegen gefährlicher Körperverletzung zunächst zu vier Monaten Gefängnis, in einem Revisionsverfahren dann am 16. Mai 1949 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu neun Monaten Gefängnis verurteilte.[15]
Gegenüber den ermittelnden Behörden gab er 1947 verharmlosend an: „Bemerken möchte ich noch, daß ich mein Amt als Ortsgruppenleiter und Bürgermeister nur in der sozialen Betreuung der Bevölkerung gesehen habe.“ [16] Der Entnazifizierungsausschuss der Schlachthof- und Viehmarktanlage Hamburg hegte hingegen Zweifel an seiner politischen Glaubwürdigkeit, wie aus einer Stellungnahme vom April 1949 hervorging: „Noch im Jahre 1948 hat er seinem Kopfschlachtermeister gegenüber geäussert, dass ‚das Arschlecken noch einmal umginge‘, und sie wieder an die Macht kämen. Unter ’sie‘ dürften wohl die ehemaligen Pgs. [Parteigenossen, d. Verf.] zu verstehen sein.“ [17]
1951 zog Karl Lührs von Friedrichsgabe in das Hamburger Schanzenviertel und arbeitete hier weiterhin in seinem Betrieb auf dem Schlachthof als Schlachtermeister.[18] Er starb im hohen Alter mit über 90 Jahren in Hamburg.[19]
Auch mir hat mein Großvater Richard John 1907 – 1993 erzählt, dass er noch kurz vor Kriegsende einen Einzugsbefehl zur Wehrmacht erhalten hat.
Als er diesen Ignorierte, soll Herr Lührs ihm sogar persönlich mit Konsequenzen gedroht haben.
Wäre der Krieg nicht kurze Zeit später beendet gewesen, hätte mein Großvater das unter Umständen ebenfalls nicht überlebt.
Mein Großvater war auch SPD Mitglied und wurde bereits nach der Machtergreifung durch die Nazis einmal von der Gestapo verhaftet.
Zu der Zeit lebte er allerdings noch in Hamburg wo er als Schweißer bei Kampnagel arbeitete. Als er nach den Bombenangriffen auf Hamburg seine Arbeit verlor,
zog er mit seiner Frau und seinem Sohn in die Glockenheide 31 in Friedrichsgabe, zu seinem Vater.
Dieser Mann hat dafür gesorgt, das mein Opa Willi Dörner, der SPD Vorsitzender in Friedrichsgabe war, mit 44 Jahren 1943 noch eingezogen wurde. Bis heute weiß niemand, was mit ihm geschah. Und dieser Nazi durfte 90 Jahre werden.
Unfassbar