Vaterschaft unbekannt? Ungeklärte „Rassenabstammung“ einer Verlobten

Quickborn-Hasloher Tageblatt, 05.03.1941
Stempel der Reichsstelle für Sippenforschung
12. April 1941
Pinneberger Straße 8, Quickborn

Nach dem am 15. September 1935 erlassenen „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ waren Eheschließungen zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ verboten.[1] Um solche Ehen zu unterbinden, mussten heiratswillige Paare vor der Eheschließung bei den Standesämtern ihre „arische“ Abstammung nachweisen. Was passierte nun aber in den Fällen, in denen diese „Rassenabstammung“ sich nicht erbringen ließ, bsplw. weil die Vaterschaft unbekannt war? Über einen solchen Fall gibt eine Aufgebotsakte des Standesamt Quickborn Aufschluss.[2]

Anfang 1938 beabsichtigte die in Wandsbek geborene 24-jährige Verkäuferin Anna T. und der 37-jährige Arbeiter Johannes K. aus der Pinneberger Straße den Ehebund einzugehen. Im Rahmen des Aufgebotsverfahrens reichten beide die erforderlichen Unterlagen, darunter die Geburtsurkunden, ein. Bei den Angaben der Braut wurde der Gemeindevorsteher und zugleich Standesbeamte Philipp Spilger misstrauisch, da in den amtlichen Unterlagen die Vaterschaft der unehelich geborenen Anna T. als unbekannt angegeben wurde. Zudem wurde ihm zugetragen, dass die Mutter der Braut in Quickborn bei Bekannten geäußert habe, dass ihre Tochter einen jüdischen Vater habe.  Nach dem Empfinden des Standesbeamten habe auch das Äußere der Tochter dafür gesprochen, dass die Braut nicht „deutschen Blutes“ sei. Er veranlasste daraufhin weitere Untersuchungen und bat das Amtsgericht Hamburg, den Sachverhalt aufzuklären. Die folgenden Ermittlungen ergaben, dass die Mutter der Braut in früherer Zeit gegenüber dem Jugendamt Hamburg als Vater den Namen Iwan Theilheimer angegeben hatte, der jüdischer Abstammung sei.[3] Gegenüber dem Amtsgericht bestätigte die Mutter diese Angaben, gab aber – vielleicht um ihre Tochter zu schützen – zusätzlich an, dass sie in der infrage kommenden Empfängniszeit noch mit einem weiteren Mann geschlechtlich verkehrt habe, der kein Jude gewesen sei.

Da sich somit die Vaterschaft weiterhin nicht eindeutig zuschreiben ließ, erkundigte sich Spilger bei dem Landrat des Kreises Pinneberg, wie bzgl. der „Deutschblütigkeitsfeststellung“ weiter zu verfahren sei. Nach Erkundigungen des Landratsamtes beim Regierungspräsidenten in Schleswig erhielt der Standesbeamte die Rückmeldung, die Reichsstelle für Sippenforschung in Berlin einzuschalten, um die Abstammungsverhältnisse aufzuklären. Da sich die Angelegenheit nun zeitlich hinauszögerte, musste der am 5. Juni 1938 anvisierte Tag der Eheschließung zunächst aufgehoben werden.

Die Reichsstelle für Sippenforschung wiederum beauftragte ein „erb- und rassenkundliches Gutachten“ bei dem Anthropologischen Institut der Universität Kiel und bat um Zusendung von amtlich beglaubigten Lichtbildern der Mutter, des möglichen Vaters Iwan Theilheimers, der Eltern des vermuteten Vaters und der Braut sowie umfassende Nachkommenstafeln aller Personen. Die Kosten der Untersuchung in Höhe von 90 RM waren von Anna T. zu tragen.

Da, bis auf die Verlobte, die gesuchten Personen aus Hamburg stammten, bat der Standesbeamte in Quickborn das Hamburger Polizeipräsidium um Amtshilfe. Das Polizeiamt Wandsbek und das 60. Polizeirevier Hamburg forderte daraufhin die verlangten Bilder und Abstammungsdaten bei der in Wandsbek lebenden Mutter und dem in Hamburg-Uhlenhorst wohnenden Iwan Theimheimer an und übermittelte diese an den Standesbeamten in Quickborn, über dem wiederum die Unterlagen an die Reichsstelle für Sippenforschung und das Anthropologische Institut an der Universität Kiel weitergeleitet wurden.  Unterlagen für den zweiten von der Mutter genannten möglichen Vater konnten nicht beigebracht werden, da dessen Aufenthalt unbekannt war. Neben der Auswertung der Lichtbilder und Stammbäume hatten sich zudem Anna T. und Iwan Theilheimer vom Antropologischen Institut der Universität in Kiel persönlich begutachten zu lassen. Dieses betraf eigentlich auch die Mutter, die ihr Erscheinen jedoch verweigert hatte.

Die Untersuchung führte für Anna T. zu einem „Abstammungsbescheid“ des Reichssippenamtes, der sich positiv auf die Heirat mit dem „Vollarier“ Johannes K. auswirkte. Ihr wurde beschieden: „In dem abschließenden Gutachten des Instituts vom 31.1.1941 wird festgestellt, daß der Prüfling [Anna T., d. Verf.] in seinem Erscheinungsbild keine jüdischen Rassemerkmale aufweise. Aus erbkundlichen Gründen könne nicht angenommen werden, daß der Jude T h e i l h e i m e r der Erzeuger des Prüflings sei; die vielfachen Gegensätze, die in erbwichtigen Merkmalen festgestellt wurden, sprächen dafür. Auf Grund des Untersuchungsbefundes könne dagegen angenommen werden, daß der Prüfling von einem deutschblütigen Erzeuger abstamme.[4]

Damit war der Weg zur standesamtlichen Eheschließung frei, die am 12. April 1941 vollzogen wurde. Von der Erstbeantragung der Eheschließung bis zur tatsächlichen Heirat vergingen durch die Verzögerungen aufgrund der verschiedenen Ermittlungen und „gutachterlichen“ Tätigkeiten, bei denen neben dem Standesamt Quickborn das Amtsgericht Hamburg, das Standesamt Wandsbek, verschiedene Hamburger Polizeidienststellen, das Landratsamt Pinneberg, die Reichsstelle für Sippenforschung in Berlin und das Anthropologische Institut der Universität Kiel involviert waren, ganze drei Jahre. Ein gewöhnliches Heiratsaufgebotsverfahren dauerte in der Regel lediglich einen Monat. In der Zwischenzeit hatte die Verlobte ein Kind zur Welt gebracht.

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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