Einen Tag vor seinem 90. Geburtstag, am 20. Dezember 1999 starb mit dem Sozialdemokraten Erich Arp ein „streitbarer Wegbereiter“ der Selbstbefreiung Elmshorns, wie ihn Ernst Dieter Rossmann in seiner Würdigung in den Elmshorner Nachrichten beschreibt. Zum diesjährigen erstmaligen offiziellen Gedenk- und Feiertag zu Kriegsende und Befreiung in Schleswig-Holstein steht ein Beitrag zur Selbstbefreiung Elmshorns, der Gedanken, Meinungen und Wirken Erich Arps in den Mittelpunkt stellt.
Bild1: Erich Arp erzählt seine Erlebnisse. Bild und Text: http://schmidt-oldesloe.de/spd150/abwehr3.html
Siehe auch: 150 Jahre SPD Elmshorn Dokumentation der Sonderausstellung https://www.spd-elmshorn.de/wp-content/uploads/sites/434/2019/05/2019-05-01_150_jahre_spd-elmshorn_internet.pdf
Stadt an der Krückau – Zentrum des Widerstandes im Kreis Pinneberg
Hier im südwestholsteinischen Industriezentrum Elmshorn hatte sich in der Weimarer Republik ein weitverzweigtes Netz von Arbeiterorganisationen etabliert. Im Stadtparlament hielten sich Bürgerliche auf der einen und die Arbeiterparteien SPD und KPD auf der anderen Seite die Waage. Der zunehmende Terror der Nazis im Kreis Pinneberg provozierte verstärkte Abwehrmaßnahmen der sozialdemokratischen und kommunistischen Organisationen. In Elmshorn eskalierte der Konflikt, als kurz nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler der Gewerkschaftssekretär Karl Dreyer von einem NS-Kommando überfallen und brutal zusammengeschlagen wurde. Auf Initiative der Gewerkschaften wurde mit der SPD, der SAPD und der KPD eine Protestdemonstration beschlossen. Da diese Aktion während der Arbeitszeit stattfand, handelte es sich faktisch um einen lokalen Generalstreik. An dieser gemeinsamen Aktion nahmen etwa 3500 Menschen teil, also ein Fünftel der 17000 Einwohner dieser Stadt.
Unter der Diktatur wurde die Stadt an der Krückau das Zentrum des Widerstandes im Kreis Pinneberg. Ende 1934, Anfang 1935 kam es daher zu großangelegten Verhaftungswellen, bei denen annähernd 300 Personen, vor allem Mitglieder der KPD und nahestehender Organisationen festgenommen wurden. Im “Offenbornprozeß” wurden 261 Angeklagte zu insgesamt 661 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Sozialdemokratischer Widerstand: Das „Antifaschistische Kampfkomitee Hamburg“
Auch sozialdemokratische noch bestehende oder nach mehrmaligen Verhaftungen immer wieder mühevoll reorganisierte Organisationsstrukturen waren 1936/37 weitgehend zerschlagen worden. Dennoch wurden alliierte Sender abgehört und informelle Kontakte zu Gesinnungsgenossen in privaten Kreisen oder scheinbar unpolitischen Vereinigungen aufrecht erhalten. Aus solchen zunächst lockeren Zusammenhängen formierte sich im Jahre 1942 eine Widerstandsgruppe von Sozialdemokraten, die Neuordnungsvorstellungen für die Nachkriegszeit entwickelte und verschiedentlich Flugblätter in Umlauf brachte. Zu dieser Gruppe gehörten Erich Arp, der spätere Hamburger Sozialsenator Gerhard Neuenhirth, der spätere HEW-Betriebsrat Lorenz Borchers. Ebenso Dr. Gerhard Schenk, ein späterer Landesminister in Schleswig Holstein, der dann bis zum Tode Mitglied im SPD-Ortsverein Elmshorn war. Die Flugblätter stellten sie mit Hilfe eines in Elmshorn stationierten Umdruckers bei tatkräftiger Unterstützung durch den dortigen kommunistischen Gastwirt Arthur Geißler her. Unter abenteuerlichen Umständen wurden sie mit dem holzgasbetriebenen Fahrzeug Erich Arps nach Hamburg gebracht.
Erich Arp, der 1942 in Halstenbek eine Butterschmelze gekauft hatte, und um die Jahresmitte 1943 nach Elmshorn umgesiedelt war, stand in sporadischen Kontakt zum weitverzweigten Widerstandskreis um Julius Leber, zu Gesinnungsgenossen in Berlin und Schleswig-Holstein. Mit seiner Margarine aus der Butterschmelze konnte er fast alle norddeutschen Arbeitsdienstlager besuchen. Das galt auch für seine Vertretung für Schuhcreme und Bohnerwachs. In seiner Erinnerung erzählt Erich Arp, dass er hierdurch alle Möglichkeiten nutzte, im System zu überleben und gleichzeitig die nicht ungefährlichen Kontakte zu halten und zu pflegen. Nach seiner Erzählung bekam der Blockwart schon einmal 50 RM von ihm. Scherzhaft erinnerte er sich, daß er mit diesem Verhalten beinahe schon Parteianwärter bei der NSDAP geworden wäre.
Aus seiner Arbeit als Berliner Kreisleiter des Republikanischen Studentenverbandes unmittelbar vor Beginn der Diktatur war Arp die Szene der aktiven intellektuellen Linken in der Reichshauptstadt bestens vertraut. Ein weiterer Kreis, zu dem er Verbindung hielt, bestand unter anderem aus dem Maler und Grafiker A.Paul Weber.
Das Antifaschistische Kampfkomitee in Hamburg registrierte aufmerksam die Ergebnisse der Konferenzen von Teheran und Jalta und entwickelte auf solider Grundlage eigene Vorstellungen für die Nachkriegszeit. Welche Konzeptionen hier im einzelnen diskutiert wurden, läßt sich kaum mehr sagen. Überliefert ist allein eine aufschlußreiche Denkschrift von Erich Arp, die um die Jahreswende 1944/45 erstellt wurde, und in dem sich bemerkenswerte theoretische Vorgaben für die spätere Elmshorner Praxis finden.
Bild 2: Informationstafel zur Selbstbefreiung 11 Tage im Mai 1945 vor der Nikolaikirche, Elmshorn am Markt
Erich Arp: „Überwindung des Faschismus und Aufbau in Deutschland“ Analyse und Notprogramm 1944/1945
Unter dem Titel „Überwindung des Faschismus und Aufbau in Deutschland. Versuch einer Analyse und eines Notprogramms“ entwickelte Arp detaillierte Vorstellungen von den zu erwartenden Folgen der bevorstehenden Niederlage des NS-Systems und den programmatischen Optionen aus sozialdemokratischer Sicht. Nach einer kurzen Skizzierung der „Situation bei Kriegsende, einem totalen militärischen, wirtschaftlichen und moralischen Zusammenbruch“ stellt er die Frage: „Gibt es überhaupt Friedensziele und Aktionsmöglichkeiten deutscher Antifaschisten in einem befreiten Deutschland?“ In Erkenntnis der „eigenen Machtlosigkeit und Schwäche bei den deutschen Antifaschisten“ sieht er als einzig gangbaren Weg die „Zusammenarbeit mit der kommenden Besatzungsmacht und dadurch die internationale Zusammenarbeit mit allen Antifaschisten und untereinander in Deutschland“. Er beschreibt zwei Perioden: Erstens eine Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen zur Überwindung und Ausrottung des Faschismus in Deutschland. Keine allein verantwortliche Machtausübung durch Antifaschisten. Aber Reorganisierung, Zusammenschluß aller antifaschistischen Kräfte verschiedenster Richtungen. In einer zweiten Periode, dem Wiederaufbau sieht er die Übernahme der Macht und Verantwortung durch deutsche Demokraten und Sozialisten.
Erste Aufgaben nach Kriegsende versteht Erich Arp daher in einem Appell zur Sammlung aller Antifaschisten, sowie eine materielle und geistige Wiederherstellung der befreiten Kämpfer gegen den Faschismus. Er fordert die Vereinigung mit rückkehrenden Emigranten sowie die Formierung einer Volksfront unter sozialdemokratischer Führung. Dies sollte durch die „Betonung des Einenden, Vermeidung des Trennenden auch im Organisatorischen, also einer Gewerkschafts-Organisierung“ geschehen.
Arp fordert „am Ende dieses für die ganze Welt furchtbaren, aber für das deutsche Volk entsetzlichen Kriegsunglücks (Ihr hattet auch den Krieg aber wir hatten außerdem den Faschismus), daß die Christen in unseren Reihen einen internationalen Appell richten, daß die Freimaurer unter uns an die internationale Freimaurerei appellieren, daß die Sozialisten unter uns für die deutsche Arbeiterklasse einen internationalen Appell richten an die Solidarität aller Arbeiterbewegungen in aller Welt! Wir aber vom Antifaschistischen Kampfkomitee wollen in unsrem Unglück und unserer Schande für alle nicht winseln um Mitleid mit unserer Not, sondern aufrecht vor das Forum der Menschheit treten und unseren internationalen Appell richten an die Vernunft und an das allgemeine Verantwortungsbewusstsein und mutig kämpfen für Gerechtigkeit. Für uns selbst und für die Menschheit sind wir verpflichtet mit aller so lange jetzt erlernten Zähigkeit und Geduld dabei auch zu kämpfen gegen alles, was über dieses Ziel der Überwindung des Faschismus hinausgeht, und zu kämpfen für die größtmögliche Wohlfahrt unserer Bevölkerung, nicht einen Kampf im nationalsozialistischen Sinne, sondern einen Existenzkampf gegen Hunger und Seuchen, aber wenn erforderlich, auch gegen unfruchtbaren Haß, gegen Dummheit und Unverständnis… In solchem Falle haben wir immer wieder die Antifaschisten in aller Welt zu mahnen und zu fragen: Was ist euer Kriegsziel? Wofür werden die unerhörten Opfer gebracht, für Rache oder Oberwindung des Faschismus? Was wir jedoch von anderen Völkern gegen uns Antifaschisten verlangen, haben wir selbst zu üben, im Kampf gegen die Faschisten in praktischem Christentum (Oxfordbewegung). So schwer es uns fällt, wir haben die Abrechnung mit den einzelnen Nazis in würdigen Formen rechtsstaatlicher Ausschaltung, Verhaftung, Aburteilung, Strafe durch Tod oder Zwangsarbeit vorzunehmen, nicht aber durch die gleichen Methoden der Quälereien usw. die die Nazis gegen uns selbst anwandten. Dies ist eine conditio, sine qua non unter der ich mit keinem zusammenarbeiten will, der sie nicht anerkennt. „
Erich Arp hält eine umfassende Aufklärungsarbeit über die Ursachen und die Entwicklung des Faschismus für vordringlich:
„ …wir müssen hinarbeiten auf eine totale geistige und nicht nur militärische Kapitulation der Nazis… Wir haben uns darüber klar zu sein, dass der Reinigungsprozess eine zeitlich jahrelang dauernde Periode sein kann. „ Er stellt zehn Einzelforderungen (im Dokument fehlt eine Seite, daher unvollständig, der Verf.) unter anderem die Aufhebung der Rassegesetze: „Wir werden gerade den Fragen der Bekämpfung des Rassengeistes unsere größte Aufmerksamkeit in der ersten Periode unserer Arbeit zu widmen haben. So wie die Nazis alle Aufmerksamkeit auf Freimaurerlogen zu lenken suchten, werden wir auf studentische Organisationen und Altherrenschaften und andere reaktionäre Vereine hinweisen müssen. Bei einer Übernahme der Verantwortung durch uns nach Beendigung der Zwischenperiode müssen wir die Eingliederung in das zu schaffende Weltsicherheitssystem fordern. „
Und schließlich, so Erich Arp: „Eine grundlegende und endgültige Überwindung des Nationalsozialismus erfordert eine grundlegende Umformung der sozialen Struktur des ganzen Volkes… Wir halten für erforderlich eine sofortige Aufhebung des Erbhofgesetzes. Progressive Verkleinerung der großen Höfe, soweit das Inventar reicht. Gemeinsames Eigentumsrecht und gemeinsame Bewirtschaftung der Höfe durch Ansiedlung rückgeführter Bauern mit anderen Bauern und Arbeitslosen. Umstellung auf vegetarische Produktion… Dies ist nur ein Übergangsprogramm … Ein Fehler wäre die endgültige Schaffung eines technisch rückständigen Kartoffelbauern-Deutschland als Verewigung faschistischer Gesellschaftsvoraussetzungen“. Es folgen weitere Vorschläge wirtschaftlicher und sozialer Umstrukturierungen, die rein pragmatisch bei der gegebenen Notsituation ansetzten und mehr oder weniger vorläufige Lösungen anvisierten.
Die Maiereignisse 1945 in Elmshorn fußten also auf detaillierten Vorstellungen von einem demokratischen Neubeginn unter den Bedingungen vorläufiger Besatzungsherrschaft. Ausgehend von der Zielsetzung, den Neubau eines souveränen antifaschistisch-demokratischen Staatswesens mit veränderten wirtschaftlichen Strukturen angehen zu können, entwickelte Arp sehr pragmatische Konzepte für die ersten Wochen und Monate nach dem alliierten Sieg. Die Elmshorner Befreiungsaktion und die günstigen Bedingungen eines kurzfristigen machtpolitischen Vakkuums, wie auf der Hinweistafel vor der Nikolaikirche skizziert, legten die Erprobung der theoretischen Leitlinien nahe.
Bild 3 : NDR-Beitrag Zeitreise: Wie sich Elmshorn selbst befreite
„Elmshorner! Hamburg ist heute übergeben und besetzt, weil die örtliche Führung die Sinnlosigkeit von Kampfhandlungen einsah. Der Volkssturm im Kreise Pinneberg ist aufgelöst, die Wehrmacht hat auch unser Gebiet verlassen. Elmshorn liegt an der Abgrenzung der mit Hamburg zu übergebenden Zone. Damit nicht noch fünf Minuten nach Zwölf unsere schon so schwer mitgenommene Stadt, die mit Menschen überfüllt ist, weiteren Gefahren aus der Luft oder durch Kampfhandlungen ausgesetzt sei, ist in Ruhe, Ordnung und Disziplin die Stadt zu übergeben, jeder Widerstand zu unterlassen und notfalls energisch zu verhindern. Es sind aus jeder Wohnung und aus jedem Betrieb deutlich sichtbar weiße Fahnen zu zeigen um den Friedenswillen der Stadt zu bekunden. Übergabeausschuß.“ Ein Dokument, das die deutliche Handschrift Erich Arp´s trägt. Nachdem durchziehende SS-Verbände am 3. Mai ohne Warnung auf Fahnen und Fenster schoss, kletterten Arp und Arthur Geißler, die führenden Köpfe der Selbstbefreiung, abermals auf den Kirchturm und befestigten vier Bettlaken, die dann nicht mehr heruntergeholt wurden.
Kristallisationspunkt um die einzelnen hier genannten Ereignisse um das befreite Elmshorn war dann die Butterschmelze im Bauerweg. „Da ging ich am liebsten nicht raus“, so sein Statement. Entscheidende Persönlichkeiten für das Elmshorner Bündnis, an die sich Erich Arp erinnerte, waren weiter Peter Hasenberg, Heinrich Hausschild, Robert Friebe, Helmut Poessel und Arthur Geissler, der, so Erich Arp, der Bewegteste und Aktivste war. Die Mehrzahl des schließlich 150 Personen zählenden Aktivenstammes kam aus KPD und SPD und hatte als Opfer des Offenborn Prozesses zumeist mehrjährige Zuchthaus und KZ-Aufenthalte hinter sich. Die Elmshorner Bewegung entsprach in ihrer Zusammensetzung und Politik dem allgemeinen Profil der überall aus dem Boden schießenden Antifas, blieb aber in der praktischen Erprobung ihres alternativen Gesellschaftsmodells fast einzig in Deutschland.
Dienstag der 8. Mai 1945: Aufruf „An die Arbeiter fremder Nationalität“
Schon in den ersten Tagen der antifaschistischen Revolte hatten sich die Wachmannschaften der Zwangsarbeiterlager davon gemacht. Unter den kriegsbedingten Versorgungsmängeln hatten die zur Zwangsarbeit Verschleppten besonders zu leiden – ein Zustand, der sich nach der Befreiung in den ersten Maitagen keineswegs änderte, aber zu neuem berechtigtem Unmut Anlaß gab. Über die unglaublich materiellen Missstände hinaus war der Mißbrauch der Zwangsarbeiter in der Kriegsproduktion – die sich schließlich gegen ihre eigenen Völker richtete – dazu angetan, nach der Befreiung nachhaltige Unruhen erwarten zu lassen. Einen Tag nach der Ablösung des Bürgermeister Dr. Küster machte sich der Gewerkschaftsausschuß auf den Weg in die größeren Lager, um die Insassen zu beruhigen. Das war durchaus kein ungefährliches Unterfangen, konnten doch Deutsche, die mit dem Anspruch auf Autorität zu ihnen kamen, kaum auf Verständnis der jahrelang gedemütigten Menschen hoffen. Tatsächlich hatte sich ein Teil der NS-Größen mehr oder wenig freiwillig in die Schutzhaft des Antifaschistischen Ordnungsdienstes „aus schlechtem Gewissen und Angst vor Vergeltung durch misshandelte Zwangsarbeiter“ begeben, wie Betriebsleiter Neunert und der NSDAP-Ortsgruppenleiter Steinicke.
Bild 4: Einer der Aufrufe des Gewerkschaftsausschusses (Quelle: Stadtarchiv Elmshorn)
Die Gewerkschafter erreichten, wie es in einer Quelle heißt, „nur durch persönlichen Einsatz und moralische Appelle sowie durch materielle Fürsorgemaßnahmen“ eine allgemeine Beruhigung der Lage. Ein sowjetischer Zwangsarbeiter, ebenfalls mit einer roten Armbinde als „Antifaschist“ kenntlich gemacht, übernahm die Vermittlung. Nikolajewitsch, so sein Name, dürfte somit den Antifaschisten und der gesamten Elmshorner Bevölkerung einen großen Dienst erwiesen haben. Seine Dolmetscher- und Vermittlerdienste sollen großen Anteil daran gehabt haben, dass die Tage nach der Kapitulation relativ ruhig verliefen und größere Plünderungen und Racheakte ausblieben.
Am 8. Mai erließ man in Elmshorn also bereits einen „Aufruf an die Arbeiter fremder Nationalität!“ Der Antifaschistische Gewerkschaftsausschuß bekräftigte hierin seine Aufforderung, durch gewählte Vertrauensleute die eigenen Belange bestimmen zu können. Als gleichberechtigte Mitglieder sollten die Zwangsarbeiter in die Gewerkschaft aufgenommen werden. Auch für die Versorgung der einheimischen Bevölkerung hatte man sich gleich nach der Übernahme Gedanken gemacht. Die Gewerkschafter zogen in die umliegenden Dörfer, um mit den Bauern über die Lieferung von Nahrungsmitteln zu verhandeln. So wurde ein „Torfplan“ entwickelt, der die künftige Versorgung mit ausreichend Heizmaterial gewährleisten sollte. Erste Verbesserungen in der Gesundheitsfürsorge konnten dadurch erreicht werden, in dem man einen von den Nazis gemaßregelten Arzt rehabilitierte und als Leiter eines provisorisch eingerichteten Entbindungsheimes einsetzte. In Anlehnung an diese Erfahrungen in den wenigen Tagen der Machtergreifung entwickelte Erich Arp in seinem Dreijahresplan für Elmshorn ein Jahr später konkrete Vorschläge zur Bekämpfung der damaligen dringendsten Notprobleme: Hunger, Kälte, Kleidungsmangel, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Ernst Dieter Rossmann: “Sein besonderes Engagement galt der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung in den schweren Nachkriegsjahren. Die große Not der Menschen, aber auch manche hartnäckigen Widerstände und Interessengegensätze erfordern die ganze Kraft und Durchsetzungsvermögen des kantigen Sozialdemokraten.“
Mit 35 Jahren jüngster Landesminister in Deutschland
Erich Arp sollte noch einmal Gelegenheit erhalten, seine Vorstellungen, insbesondere die einer progressiven Landreform anzugehen: Mit 35 Jahren, als er in Kiel 1946/47 erstmals zum Minister für Aufbau und Arbeit und danach auch zum Minister für Landwirtschaft und Forsten des Landes Schleswig-Holstein berufen wurde. Harte Sachauseinandersetzungen führten dann auch dazu, daß der kämpferische Elmshorner Abgeordnete Ende 1947, einen Tag nach der erfolgreichen parlamentarischen Annahme der von ihm maßgeblich geprägten Agrargesetze, von dem damaligen Ministerpräsidenten Herrmann Lüdemann aus dem Landeskabinett entlassen wurde.
Bild 5: Die neue Regierung des Landes Schleswig-Holstein stellte sich dem am 02.12.1946 eröffneten gewählten Landtag vor. Von l-r sitzend: Wilhelm Kuklinski (Volksbildung), Hermann Lüdemann (Inneres), Ministerpräsident Theodor Stelzer, Heinz Bundtzen (Ernährung) und Dr. Friedrich Kuhnt (Justiz), Stehend l-r: Erich Arp (Landwirtschaft und Forsten), Dr. Franz Ryba (Volkswohlfahrt), Kurt Pohle (Gesundheit), Thomas Andresen (Finanzen), Bruno Diekmann (Industi), Karl Ratz (Quelle:dpa – Report) Bild: Konrad Adenauer-Stiftung: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/theodor-hans-friedrich-steltzer
Erich Arp beschreibt die Situation so: „Was ich 1945 bis 1948 mit meinen sozialdemokratischen Freunden, aber auch in guter Zusammenarbeit mit konservativen gesellschaftlichen Kräften in Schleswig Holstein einleiten und erreichen konnte, beruhte theoretisch auf dem, was ich in den zwanziger Jahren mir erarbeitet hatte aus dem Standardwerk von Dr. Eduard David „Sozialismus und Landwirtschaft“ . Seine fundierte Kritik an der kommunistischen Enteignung bäuerlichen Eigentums, der Zerstörung gewachsener dörflicher Strukturen und damit der darin enthaltenen genossenschaftlichen Kräfte und der Überführung in riesige Großbetriebe in der UDSSR trug dazu bei, daß wir für eine umfassende Agrarreform den Weg einer Boden- und Agrarreform mit persönlichem Eigentum und Eigenverantwortung suchten. Dass die Bodenreform in Schleswig-Holstein scheiterte und mit einer freiwilligen Landabgabe von jämmerlichen 30.000 Hektar ihr Ende fand, war begründet in der Politik des – trotz Labour-Regierung in Großbritannien – konservativen, ja offen reaktionären Offizierskorps der britischen Besatzungsmacht. Ich bin denn auch nicht wegen meiner Agrargesetze von Ministerpräsident Hermann Lüdemann aus der Regierung entlassen worden, sondern wegen des „Kartoffelkrieges “ mit der britischen Besatzungsmacht. Angesichts des Versorgungsmangels in Schleswig-Holstein mit seinen vielen Flüchtlingen habe ich mich – nach Rücksprache mit einem Kollegen in Berlin – einer Anordnung der Besatzungsmacht widersetzt und keine zusätzlichen Kartoffeln nach Berlin geliefert, sondern diese im Lande verteilen lassen. Dies wurde mir nicht nur von den Engländern als „Sabotage“ ausgelegt, sondern auch von Lüdemann, der mich am 8.12.1947 – einen Tag nach der parlamentarischen Annahme meiner Gesetze – praktisch feuerte.“
Ernst Dieter Rossmann schreibt am Abschluß seiner Würdigung in den Elmshorner Nachrichten: ,,Mit dem Elmshorner Erich Arp ist ein ausgesprochen mutiger, offener und streitbarer Demokrat gestorben, wie es wenige nach den Jahren von Krieg und Faschismus gegeben hat und wie sie so bitter nötig gewesen sind, um der jungen deutschen Demokratie den Weg zum Wohl der nachfolgenden Generationen zu bereiten. „
Zivilcourage heute – Folgerungen aus der damaligen Befreiungsaktion
Der Antifaschistische Trägerkreis, beteiligt am Engagement gegen die Neonaziaufmärsche vor gut 20 Jahren, stellte zum 8. Mai 2000 fest: Die Folgerungen aus der damaligen Befreiungsaktion und dem Wirken Erich Arps bedeutet aus heutiger Sicht, daß Antifaschismus nur Wirkung entfalten kann, wenn viele, d.h. politisch und weltanschaulich unterschiedlich geprägte Menschen sich engagieren. Das Elmshorner Bündnis gegen Neonazis, in dem Menschen verschiedener politischer Ansichten zusammenarbeiten, steht und fällt unserer Meinung auch mit dem von Erich Arp formulierten Grundsatz „Betonung des Einenden, Vermeidung des Trennenden auch im Organisatorischen“. Bisher konnte das Bündnis den Angriffen der Faschisten erfolgreich mit phantasievollen Gegenaktionen widerstehen, und es konnte die Beteiligung für die Plakataktion „Keine Toleranz für Neonazis – Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen. Für ein solidarisches Miteinander, statt rassistischer Ausgrenzung“ in Elmshorn sowie kreisweit ausweiten. Auch die Auseinandersetzung mit Meinungen, die den Neofaschisten verhalten gegenüberstehen, wie sie nach wie vor von Behörden gepflegt werden, zeigt langsam seine Wirkung. Das Hamburger Abendblatt meldete am Donnerstag, dass nach den Morddrohungen gegen den IG-Metall-Sekretär Uwe Zabel die „ausbreitende Kampagne gegen Neonazismus im Kreis Pinneberg“ vom Verfassungsschutz „als richtig“ betrachtet wird. Horst Klüver vom Staatsschutz Itzehoe: „Je früher man in ein Wespennest rein sticht, desto eher macht man es kaputt.“ Damit greift Klüver ein Argument der Elmshorner Bürgermeisterin, Dr. Brigitte Frontzek, die ebenso gezielten Angriffen von Faschisten ausgesetzt ist, auf. Sie sagte zur Begründung für die Plakataktion und gegen die Behauptung, man habe dadurch die Nazis erst hergeholt: „Wir haben die Neonazis sichtbar gemacht. Dafür waren die Plakate richtig und wichtig.“
In Elmshorn wollte die SPD 2007 einen Platz nach Erich Arp benennen. Der Antrag wurde abgelehnt. Siehe auch: https://www.spd-geschichtswerkstatt.de/wiki/Erich_Arp#Ehrungen
Bei einer Aktion der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten VVN/BdA zum Antikriegstag 2019 wurde das Anliegen, die Selbstbefreiung Elmshorns 1945 im Bewusstsein der Stadt durch die Namensgebung eines Platzes und umliegender Straßen nach Akteuren dieses historischen Geschehens zu festigen, in die Öffentlichkeit getragen. https://www.spurensuche-kreis-pinneberg.de/antikriegstag-2019-vvn-bda-fordert-platz-der-selbstbefreiung-in-elmshorn/
In Erich Arps Nachlass befindet sich ein Notizzettel mit dem Vermerk „Aktion weiße Flagge“. Verzeichnet sind nicht weniger als 26 Personen, die führend an der Aktion beteiligt waren: Neben Erich Arp, Peter und Willi Hasenberg, Arthur Geißler, Willi Langhein, Heinrich Fehrs, Arnold Niedlich, Gustav Hein, Robert Friebe, Carl Mumm, Hermann Strehlke, Heinrich Weber, Hermann Radenau, Otto Wodrich, Friedrich Weinhold, Hans Hachmann, Otto Heydemann, Hans Eggerstedt, Gustav Werner, Heinrich Hoßmann, Peter Bähr, Möhlen, Schwandt, Heinrich Duschek, Helmut Poessel, August Raissle, Johannes Radlau (Aktion weiße Flagge, o.D., Mat. Arp).
Eine Straßen- bzw. Platzbenennung nach den Akteuren der Selbstbefreiung steht noch aus.
Rudi Arendt, Mai 2021
Quellen, verwendete Literatur und Zitate aus:
Dr. Ernst Dieter Rossmann: „Ein streitbarer Wegbereiter, der Sozialdemokrat Erich Arp ist im Alter von 89 Jahren gestorben“, von Ernst Dieter Rossmann, EN v. 4. 1. 2000;
Dr. Detlef Siegfried: „Elmshorn – ein Paradigma: Autonome Befreiung, Kommunistische Vereinigungsstrategie und sozialdemokratische Vorherrschaft“ in: Zwischen Einheitspartei und „Bruderkampf“ SPD und KPD in Schleswig-Holstein 1945/1947; Gesellschaft für Politik und Bildung Schleswig-Holstein e.V.; Malik Verlag 1992;
Dreijahresplan für Elmshorn, Ansprache von Erich Arp auf einer Elmshhorner SPD-Kundgebung, Oktober 1946, Informationsschrift der sozialdemokratischen Partei Bezirk Südwest-Holstein
Erich Arp, Antifaschistisches Kampfkomittee Hamburg 1944: „Überwindung des Faschismus und Aufbau in Deutschland – Versuch einer Analyse und eines Notprogramms „,
„Elmshorn – Stadt zwischen Kriegsende und Neubeginn“, Sonderdruck der Elmshorner Nachrichten, Mai 1985
Brief von Ernst Dieter Rossmann zur Person Erich Arps, v. 3.5.2000;
„Nicht einer… viele sollen leben – Landreform in Schleswig-Holstein“ 1945-1950, Vorwort von Erich Arp 1991; HA v. 4.5. 2000).
150 Jahre SPD Elmshorn – Dokumentation der Sonderausstellung https://www.spd-elmshorn.de/wp-content/uploads/sites/434/2019/05/2019-05-01_150_jahre_spd-elmshorn_internet.pdf
Bildnachweise:
Bild 1: http://schmidt-oldesloe.de/spd150/abwehr3.html
Bild 2: Gedenktafel vor der Nikolaikirche (Bild R.Arendt)
Bild 3: Bild: NDR-Beitrag Zeitreise: Wie sich Elmshorn selbst befreite
Bild 4: Bekanntmachung durch Lautsprecherwagen (Tagebucheintrag des Lehrer Hinz für den 8. Mai 1945, Stadtarchiv Elmshorn)
Bild 5: Die neue Landesregierung 1946 – Konrad Adenauer-Stiftung: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/theodor-hans-friedrich-steltzer
Bild 6: Elmshorner Nachrichten vom 4. Januar 2000