13. Mai 1945 – Arthur Geissler der „führende Mann im Elmshorner Widerstand“ und seine Verhaftung durch Major Ryder

Arthur Geisslers Gastwirtschaft im Flamweg 13, einer der Treffpunkte des antifaschistischen Widerstandes Bild: „Elmshorn“ Sonderausgabe zum Schleswig-Holstein-Tag 1998, Husum Druck- und Verlagsges.
"Geissler ist ein aktiver Anti-Nazi, seit 1927 als er in Hamburg ein Mitglied der SPD wurde. Er hat von 1935 bis Dezember 1937 mit Unterbrechungen mehrfach K.Z.-Lager von den Nazis erdulden müssen, wegen seiner Äusserung im Oktober 1933 "verflucht sei die SA!" Er hat persönlich am eigenen Leibe z.B. im K.Z. Esterwegen die schwersten Nazimisshandlungen erhalten, u.a. zweimal dort den berüchtigten "Bärentanz" tanzen müssen. Er hat mit Arp und anderen lange Zeit vor Mai 1945 gegen den Nazismus gearbeitet." (Die Verteidigung) Bild: Sonderausgabe der EN Mai 1985
Die besondere schriftliche Erlaubnis für die Verhaftungen der Pinneberger Faschisten, ausgestellt von Lt Col W.A.C Anderson DSO Dokument: Wiener Holocaust Library, London
Lieutenant-Colonel WAC Anderson DSO and Captain Tedd Dunn leading the regiment to Pinneburg, 1945 (b/w photo, bridgeman images) Anderson: So etwas wie in Elmshorn (die Kontrolle der Stadt durch Antifaschisten) sei ihm seit der Rheinüberquerung noch nicht passiert.
13. Mai 1945
Flamweg 13, Elmshorn

Arthur Geissler der „führende Mann im Elmshorner Widerstand“ und seine Verhaftung durch Major Ryder

 Anhand von Originalzitaten aus Dokumenten und Zeitungsberichten soll hier das Ende der „Selbstbefreiung Elmshorns“  am 13. Mai 1945 mit der Verhaftung des Sozialdemokraten Erich Arp[1]  und hier insbesondere des Gastwirtes Arthur Geissler rekonstruiert werden. Er wurde am 26.1.1903 in Hainholz geboren. 1927 war er zunächst Mitglied in der SPD in Hamburg, später in der KPD. Zwischen 1933 und 1937 mehrfach in KZ-Haft. Er wurde für „wehrunwürdig“ erklärt. 1944/45 gehörte er wie Erich Arp der sozialdemokratischen Widerstandgruppe „Antifaschistisches Kampfkomitee Hamburg“ an. 1945 zunächst in der KPD. Ende des Jahres wurde Arthur Geissler wieder Mitglied der SPD und Stadtverordneter.[2]

 

MILITARY GOVERNMENT COURT… Anklageschrift

Hans Arthur Geisler, Flamweg 13, wird hiermit wegen der folgenden strafbaren Handlungen angeklagt:

Erste Anklage: Widerrechtliche Autoritätsaneignung von den alliierten Streitkräften. Verstößt gegen Mil. Reg. Verordnung Nr.1, Absatz 34, Art. II.

Einzelheiten: Daß sie am 13. Mai 1945 (gemeint ist der 12.5. der Verf) den Ortsgruppenleiter Kroemer verhafteten.

Alternativ: Sie haben zum Schaden der Ordnung oder der Interessen der Alliierten Streitkräfte gearbeitet. Verstößt gegen Mil. Reg. Verord. No.1 Absatz 43.

Zweite Anklage: Ungesetzlicher Besitz von Waffen. Verstößt gegen Mil. Reg. Verord. Nr.1 Abs.9

Einzelheiten: Daß Sie am 13. Mai 45 im ungesetzlichen Besitz einer vollgeladenen Pistole angetroffen wurden.“[3]

 

„Vor vier Jahren in Elmshorn…. Aus der Zeit des Interregnums – Beherzte Männer griffen ein… In diesen Tagen jähren sich zum vierten Male jene historischen Stunden in Elmshorn, in den es um die Existenz der Stadt, der Sicherheit ihrer Bürger, um Gut und Blut ging…“[4] So beginnt in der Hamburger Allgemeinen,  der Heimatbeilage des Kreis Pinneberg, vom Freitag, dem 6. Mai 1949 eine Rückschau über die später in der Ortsgeschichte als „Selbstbefreiung der Stadt vom Nationalsozialismus“ durch den Antifaschistischen Ausschuss bezeichneten Vorgänge im April/Mai 1945.

 

Übereinstimmend haben Werner Buck und Hans-Georg Lietzau die Mitglieder des Antifaschistischen Ausschusses als „Männer mit Roten Armbinden und Gewehren“ In Erinnerung. Zu diesen gehörten der Direktor der Butterschmelze und spätere Landwirtschaftsminister Erich Arp, der Gastwirt Arthur Geissler, Heinrich Hausschildt, Elmshorns Bürgermeister von 1946 bis 1950, der Eisendreher Peter Hasenberg,  Hermut Poessel, Friedrich Weinhold, Gustav Werner, Otto Wodrich, Karl Mumm sowie die Maurergesellen August Raissle und Hermann Strehlke. 200 Freiwillige meldeten sich nach kurzer Zeit und halfen mit, Plünderungen zu verhindern, Hausdurchsuchungen bei Nazis zu machen und vor allem deren Waffen zu beschlagnahmen.[5]

 

Und die Heimatbeilage Kreis Pinneberg von 1949 schreibt weiter: „ Am 10. Mai besetzte der Engländer offiziell die Stadt. Hausschildt wurde als Bürgermeister bestätigt. Der Ordnungsdienst durfte zunächst noch unter Waffen bleiben, er war durch Armbinden gekennzeichnet. Man stand Doppelposten vor englischen Panzern und machte gegenseitig Ehrenbezeichnungen. Der britische Panzerkommandant (Anderson) meinte, so etwas sei ihm seit dem Rheinübergang noch nicht passiert. Erst als der Kreisgouverneur (Major Ryder) sich einschaltete, ergaben sich Reibereien. Der Ordnungsdienst musste die Waffen abgeben. Für Arp und Geißler endete das Interregnum tragisch. Eine Sprengstoffbeschlagnahme lenkte die Spur auf einen Rest hochexplosiven Stoffes nach Pinneberg. Um katastrophale Dummheiten zu verhindern, fuhr man dorthin und verhaftete den ehemaligen Ortsgruppenleiter. Dieser war jedoch schon vom Militärgouverneur unter Hausarrest gestellt. Daß Deutsche ihm „seinen“ Gefangenen wegnahmen ließ der Gouverneur sich nicht gefallen. Er musste zurückgeschickt werden. Arp und Geißler wurden verhaftet…“ [6]

 

„Geissler hatte für die Verhaftungen eine besondere schriftliche Erlaubnis eines Offiziers der Allied Forces …“ Stellungnahme der Verteidigung zur Anklageschrift

 „2) Nach Darstellung Geisslers und Ansicht der Verteidigung lag der Verhaftung von Krömer keine widerrechtliche Autoritätsaneignung zu Grunde. Als am 6.5. de Elmshorner Nazi-Bürgermeister Küster mit dem Nazi-Beigeordneten Bull demissionierten und Küster sich vom Vizeregierungspräsidenten in Schleswig beurlauben liess und nach Wilster fuhr, da übernahmen seit dem6.5.—5 Tage vor Eintreffen der englischen Truppen in Elmshorn – die Anti-Nazis H. Hausschildt als Bürgermeister u. A. Geissler, als erster Beigeordneter mit dem Polizei-Ressort, kommissarisch zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung diese Ämter. Beim Eintreffen der britischen Besatzung am 10.5. präsentierten sich  beide sofort beim Polizeileutnant W. Möller u. mit Stadt-Oberinspektor Langbehn beim Stadtkommandanten Lt Col W.A.C. Anderson.  Am 10.5. von 17 bis 18 Uhr war Herr Major Ryder im Elmshorner Rathaus und billigte vorläufig die in Elmshorn bestehenden Regelungen. Am 11.5. war in Pinneberg ein Bürgermeistermeeting angesetzt. Der Herr Gouverneur machte am 13.5. dem Bürgermeister Hausschildt wegen dessen Nichterscheinen den Vorwurf von disrespecting. Dieser Vorwurf kann aber nicht gegen Geissler gelten, den Hausschildt zu seiner Vertretung in dies Bürgermeistermeeting entsandte. Geissler nahm anschließend an dies meeting zusammen mit Ober-Insp. Langbehn teil und hat über den damals wieder vorübergehend amtierenden Landrat Wittich die formelle Bestätigung der Militär-Reg. für die kommissarisch übernommenen Amtsstellen beantragt und vom Landrat zugesagt erhalten.

Zeugnis: Lt Col W.A.C Anderson, Major Ryder, H. Hausschildt-Elmshorn, Ober-Insp. Langbehn-Elmshorn, Landrat a.D. Wittich-Pinneberg.

 

3) Geissler hatte für die Verhaftungen am 12.5.45 eine besondere schriftliche Erlaubnis eines Offiziers der Allied Forces vom 12.5.

Ein Teil der Nazi-Schutzhäftlinge, die in Elmshorn zwischen 2.5. und 12.5 in Haft waren, kamen wie z.B. Ortsgruppenleiter Steinicke, Betriebsleiter Neunert etc. freiwillig aus schlechtem Gewissen und Angst vor Vergeltung z.B. durch misshandelte Zwangsarbeiter, und baten um Schutzhaft. Soweit nun der ausübende A. Geissler andere Verhaftungen von Nazis vornahm, geschah das zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung bis zum Eintreffen der Allied Forces am 10.5. und zur Aufklärung und Verhinderung von Delikten, die von Nazis gegen die Allied Forces begangen oder geplant waren. Die drei Verhaftungen, die Geissler am 12.5. in Pinneberg durchführte,

  1. Kreisleiter Kummerfeld
  2. Nazi-Parteibeamter Lorenzen-Schmidt
  3. Krömer wurden vorgenommen, um diese als fanatische Nazis durch besondere Informationen

belasteten drei durch den Elmshorner Kriminalbeamten Mumm wegen Beteiligung an der Verbergung und Vorbereitung von Sprengstoff zu vernehmen, der von Elmshorner Antinazis aufgefunden und beschlagnahmt wurde; der nicht aus Wehrmachtbeständen stammt und bewiesenermassen von Zentralen Naziparteistellen aus Kiel für Werwolfpläne gegen die Alliierten Streitkräfte verteilt war.

Ein vorläufiges Protokoll über diese Sprengstoffdelikte wollte Geissler am 13.5. um 15 Uhr beim Stadtkommandanten Elmshorn abgeben, wohin er mit Hausschildt vorgeladen war. Er übergab es bei der Verhaftung an Major Ryder. Unter Klarlegung, dass diese Nazipläne von Geissler zusammenhängend aufgedeckt werden sollten und weil Gefahr im Verzuge war, erwirkte Geissler morgens am 12.5. folgende Bescheinigung für die Vornahme von Verhaftungen ausserhalb von Elmshorn:

 

The bearer of this pass, ARTHUR GEISSLER, of the BURGOMASTER´S DEPT.; at ELMSHORN is authorised to travel in the KREIS PINNEBERG in the execution of this duties.

 

…(Unterschrift)……….

Lt Col W.A.C. Anderson, DSO

3/4/CLY.

Am Morgen des 12.5.wurden in Pinneberg Kummerfeld u. Lorenzen-Schm. Am abend des 12.5. wurde in Pinneberg Krömer durch Geissler inhaftiert. Krömer wurde in ordentlicher Form, nach vorheriger Verständigung des englischen Straßenpostens, ohne Gewaltanwendung von Geissler nach Elmshorn gebracht. Krömer war mit seiner Verhaftung einverstanden und sagte aus seinem schlechten Gewissen heraus: „Nun hat wenigstens das ungewisse Warten ein Ende!“ Beim Abtransport Krömers hat Geissler am 12.5. abends noch Mitteilung an den Diensthabenden engl. Offizier der Kontrollstation Elmshorn (gemacht) und gesagt, dass er Krömer nach einer Vernehmung durch den Elmshorner Polizeibeamten wegen des Sprengstoffdeliktes am 13.5. wieder nach Pinneberg zurückbringen würde, wozu dieser seine Zustimmung erteilte. Um 23 Uhr am 12.5. erschien ein anderer englischer Offizier bei Geissler und fragte wo sich die Gefangenen befänden. Antwort. Im Elmshorner Gefängnis! Ohne weitere Vorwürfe belehrte dieser dann Geissler, dass er in Zukunft bei notwendigen Verhaftungen ausserhalb Elmshorn eine Genehmigung dazu nicht mehr in Elmshorn erwirke solle, sondern dass er solche durch den Bürgermeister des betreffenden Ortes vornehmen lassen solle, was Geissler zu befolgen versprach. Der engl Offizier nahm die drei verhafteten Pinneberger Nazis mit nach Pinneberg zurück, wodurch es nicht mehr zu der von Geissler und Mumm vorgesehen Vernehmung des Sprengstoffdeliktes kam.

Wenn die Stadtkommandatur zur Ausstellung obiger Genehmigung nicht kompetent gewesen sein sollte, so musste Geissler doch im besten Glauben sein, dass er rechtmäßig autorisiert sei.

Zeugnis: Der Stadtkommandant von Elmshorn und sein Vertreter.“[7]  

 

„III. Second Charge: Ungesetzlicher Besitz von Waffen.

2)Geissler. Nach der Verhaftung teilte er Major Ryder mit, dass er seine Dienstpistole bei sich habe, die dieser an sich nahm. Geissler gibt also den Besitz zu und behauptet, dass dieser Besitz rechtmäßig war. Er übte die Elmshorner Polizeigewalt aus. Er hat sich diese Waffe auf der Elmshorner Polizeistation geben lassen, nachdem am 7.-8. Mai in Kölln.Reisiek, einem Vorort von Elmshorn, 2 Franzosen und ein Pole mit Genickschuss der SS aufgefunden wurden und nachdem u.a. in den nächsten Tagen zweimal SS-Leute nachdem Kontrollbesuch eines Russenlagers in Elmshorn dort nach Geissler fahndeten, dort Unruhe stifteten, sodass ihnen sogar von den Russen eine Maschinenpistole abgenommen und abgeliefert wurde bei der Polizei. Geissler hat die Pistole nur im Dienst und nicht privat getragen. Am 13.5. wollte er dienstlich nach Kaltenkirchen fahren.“[8]

 

Noch einmal Heimatbeilage Kreis Pinneberg 1949: „Ein tragigkomischer Schluß“:

Dennoch „Drei bzw. dreieinhalb Jahre lautete das Urteil des Militärgerichts wegen Amtsanmaßung und verbotenen Waffenbesitzes. Zehn Wochen verbrachten sie in recht gemischter Gesellschaft in einem Hamburger Gefängnis zu. Die britische Labourpartei eröffnete ihretwegen eine große Pressekampagne. Auch ihre Freunde in Deutschland schwiegen nicht. Schließlich wurden sie entlassen. An ihrer Stelle zog der Gefängniswärter ein, weil er es an der Aufsicht und der notwendigen Betreuung hatte fehlen lassen.

Es war ein tragikomischer Schluß eines an heiteren und bitteren Situationen reichen Interregnums in Elmshorn. Was man aber hatte erreichen wollen war geschafft worden. Ohne an der Parteiebene kleben zu bleiben, hatten einige Männer zugegriffen und die Situation gerettet, bis wieder die militärische Ordnung vorerst hergestellt war. Elmshorn aber blieb bewahrt von Plünderung, Mord und Totschlag – und nicht zuletzt vor militärischen Repressalien wegen sinnloser Schlußaktionen.“[9]

 

 

 

 

[1] Siehe auch die Spur: Die Selbstbefreiung Elmshorns und das Wirken des sozialdemokratischen Akteurs Erich Arp

[2] Dr. Detlef Siegfried: Elmshorn – Paradigma: „Autonome“ Befreiung, kommunistische Vereinigungsstrategie und sozialdemokratische Vorherrschaft, in Zwischen Einheitspartei und „Bruderkampf“ SPD und KPD in Schleswig Holsteinm 1945/46, Malik-Verlag 1992.

[3] Anklageschrift des Military Government Court, Wiener Holocaust Library, MF 54-533 Ref.

[4] „Vor vier Jahren in Elmshorn…“ in: Heimatbeilage Kreis Pinneberg, Hamburger Allgemeine v. 6. Mai 1949

[5] „Vor 40 Jahren: Elmshorn – Stadt zwischen Kriegsende und Neubeginn“, Sonderdruck der Elmshorner Nachrichten, Mai 1985

[6] „Bis zum bitteren Ende“ in: Heimatbeilage Kreis Pinneberg, Hamburger Allgemeine v. 6. Mai 1949

[7] Eingabe der Verteidigung RA Dr. Bruno Luis, Hamburg, RA Dr. Wilms Elmshorn, Hamburg den 6.6.1945, in: Anklageschrift des Military Government Court, S.2, Wiener Holocaust Library, MF 54-533 Ref.

[8] ebenda

[9] „Bis zum bitteren Ende“ in: Heimatbeilage Kreis Pinneberg, Hamburger Allgemeine v. 6. Mai 1949

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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