Rundgang durch Elmshorn

8 Haltepunkte | ca. 1 Kilometer

»Dieser Rundgang startet Am Ende Fußgängerzone in der Markstraße von Elmshorn und endet am Anfang der Fußgängerzone Holstenstraße«

Dieser Rundgang startet am Ende der Fußgängerzone, Flamweg 1c, mit dem 1. April 1933, dem ersten Boykott gegen jüdische Geschäfte. Er führt vom Flamweg aus an der Kreuzung rechts weiter in die Schulstraße 33, zum Standort des ehemaligen Gewerkschaftshauses und seiner Geschichte. Hier befindet sich auch eine Informationstafel. Hier geht es entlang der Schulstraße rechts in die Kirchenstraße 4, zum ehemaligen Wohnort und dem Stolperstein von Georg Rosenberg, einem jüdischen Mitbürger: Verfolgt, deportiert, von den Nazis in Auschwitz ermordet.  Von dort zum Alten Markt um die Nikolaikirche herum an der Informationstafel zur Selbstbefreiung und dem Ort der Aktion „weiße Flagge“. Von hier dann weiter die Fußgängerzone entlang und die nächste rechts durch das Torhaus. Hier liegen vier kleine „Denkmale“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig: Stolpersteine für die Roma und Sinti Familie Winterstein sowie für Hans Christian Carl Wulff einem Zeugen Jehova. Von hier aus wieder zurück durch das Torhaus rechts in die Fußgängerzone und wieder links in die Peterstraße 5, dem ehemaligen Wohnort von Erich Krämer,  einem kommunistischen Widerstandskämpfer und seinem Stolperstein (vor Jim Coffee). Dann wieder zurück, links in die Fußgängerzone Richtung Bahnhof, Ecke Holstenstraße mit Blick auf das Gebäude der Apotheke und zur Geschichte des Bombenangriffs vom 3. April 1945.

A. Boykott vom 1. April 1933

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 kam es überall im Reich zu „spontanen Aktionen“ gegen jüdische Geschäftsinhaber, Rechtsanwälte, Richter, Ärzte und  Privatpersonen. Die nationalsozialistischen Übergriffe blieben der Weltöffentlichkeit nicht verborgen und es kam zu Kundgebungen gegen das Naziregime. Die USA, England, Frankreich, Belgien, Holland, Polen und verschiedene andere Länder leiteten Boykottmaßnahmen gegen deutsche Waren ein. Dieses wiederum nahmen die Nationalsozialisten zum Anlass, einen gesteuerten Boykott gegen jüdische Geschäfte, Anwälte, Mediziner und Privatpersonen vorzubereiten.

Seit dem 29. März beherrschte der bevorstehende Boykott der jüdischen Geschäfte und Ärzte die Schlagzeilen auf den Titelseiten der Tageszeitungen. Am 29. März veröffentlichten die „Elmshorner Nachrichten“ auf ihrer Titelseite die „Richtlinien für die Abwehraktion“:

„ München, den 28. März. Die Nationalsozialistische Korrespondenz veröffentlicht außer dem Aufruf zur Abwehr der Greuelpropaganda und des Boykotts im Ausland elf Programmpunkte, durch die die Gegenwirkung innerhalb Deutschlands organisiert werden soll:

  1. In jeder Ortsgruppe und Organisationsgliederung sind sofort Aktionskomitees zu bilden zur praktischen planmäßigen Durchführung des Boykotts jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte.
  2. Die Aktionskomitees sind verantwortlich für den höchsten Schutz aller Ausländer ohne Ansehen ihrer Konfession, ihrer Herkunft oder Rasse. Der Boykott ist reine Abwehrmaßnahme, die sich ausschließlich gegen das deutsche Judentum wendet.
  3. Die Aktionskomitees haben sofort durch Propaganda und Aufklärung den Boykott zu popularisieren. Grundsatz: Kein Deutscher kauft noch bei einem Juden, oder läßt sich von ihm und seinen Hintermännern Waren anpreisen. Der Boykott muß ein allgemeiner sein.
  4. In Zweifelsfällen soll von einer Boykottierung solcher Geschäfte abgesehen werden, bis vom Zentralkomittee in München eine andere bestimmte Anweisung erfolgt. Vorsitzender des Zentralkomitees ist Parteigenosse Streicher.
  5. Die Aktionskomitees überwachen auf das schärfste die Zeitungen, inwieweit sie sich an dem Aufklärungsfeldzug des deutschen Volkes gegen die jüdische Greuelhetze im Ausland beteiligen. Tun Zeitungen dies nicht, so ist darauf zu sehen, daß sie aus jedem Hause sofort entfernt werden. Kein deutscher Mann und kein deutsches Geschäft soll in solchen Zeitungen noch Annoncen aufgeben. Sie müssen der öffentlichen Verachtung verfallen, geschrieben für die jüdischen Rassegenossen, aber nicht für das deutsche Volk.
  6. Die Aktionskomitees müssen in Verbindung mit den Betriebszellenorganisationen der Partei die Propaganda der Aufklärung über die Folgen der jüdischen Greuelhetze für die deutsche Arbeit und damit für den deutschen Arbeiter in die Betriebe hineintragen.
  7. Die Aktionskomitees müssen bis in das kleinste Bauerndorf hinein vorgetrieben werden.
  8. Der Boykott setzt nicht verzettelt ein, sondern schlagartig. In dem Sinne sind augenblicklich alle Vorarbeiten zu treffen. Der Boykottbeginn ist durch Plakatanschlag und durch die Presse, durch Flugblätter usw. bekanntzugeben. Der Boykott setzt schlagartig am Sonnabend, dem 1.April, Punkt 10 Uhr vormittags, ein. Er wird fortgeführt so lange, bis eine  Anordnung der Parteileitung die Aufhebung befiehlt.
  9. Die Aktionskomitees propagieren sofort in Zehntausenden von Massenversammlungen, die bis in das kleinste Dorf hineinzureichen haben, die Forderung nach Einführung einer relativen Zahl für die Beschäftigung der Juden in allen Berufen, entsprechend ihrer Beteiligung an der deutschen Volkszahl. Um die Stoßkraft der Aktion zu erhöhen, ist diese Forderung zunächst auf drei Gebiete zu beschränken:
    1. auf den Besuch an den deutschen Mittel- und Hochschulen;
    2. für den Beruf der Ärzte;
    3. für den Beruf der Rechtsanwälte.
  10. Die Aktionskomitees haben weiterhin die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß jeder Deutsche, der irgend eine Verbindung zum Ausland besitzt, diese verwendet, um aufklärend die Wahrheit zu verbreiten, daß in Deutschland Ruhe und Ordnung herrscht.
  11. Die Aktionskomitees sind dafür verantwortlich, daß sich dieser gesamte Kampf in vollster Ruhe und größter Disziplin vollzieht. Krümmt auch weiterhin keinem Juden auch nur ein Haar! Wir werden mit dieser Hetze fertig, einfach durch die einschneidende Wucht dieser Maßnahmen.“
    1. Nähere Anweisungen gab Streicher am 31. März: „ Aufruf des Abwehr-Komitees der NSDAP“ (…) (1)
    2. Die Aktionskomitees (deren Mitglieder keinerlei Bindung mit Juden haben dürfen) stellen sofort fest, welche Geschäfte, Warenhäuser, Kanzleien usw. sich in Judenhänden befinden.
    3. Es handelt sich bei dieser Feststellung selbst verständlich um Geschäfte, die sich in den Händen von Angehörigen der jüdischen Rasse befinden. Die Religion spielt keine Rolle. Katholisch oder protestantisch getaufte Geschäftsleute oder Dissidenten jüdischer Rasse sind im Sinne dieser Anordnung ebenfalls Juden. (…)
    4. Ist der Ehegatte einer nichtjüdischen Geschäftsinhaberin Jude, so gilt das Geschäft als jüdisch. Das gleiche ist der Fall, wenn die Inhaberin Jüdin, der Ehemann dagegen Nichtjude ist. (…)
    5. Die Aktionskomitees übergeben das Verzeichnis der festgestellten jüdischen Geschäfte der SA und SS, damit diese am Sonnabend, dem 1. April 1933, vormittags Punkt 10 Uhr, die Wachen abstellen können.
    6. Die Wachen haben die Aufgabe, dem Publikum bekannt zu geben, daß das von ihnen überwachte Geschäft jüdisch ist. Sie haben vor dem Einkauf in diesem Geschäft zu warnen. Tätlich vorzugehen ist ihnen verboten. Verboten ist auch, die Geschäfte zu schließen, die Fensterscheiben zu zertrümmern oder sonstigen Sachschaden anzurichten.
    7. Zur Kenntlichmachung jüdischer Geschäfte sind an deren Eingangstüren Plakate oder Tafeln mit gelbem Fleck auf schwarzem Grunde anzubringen. (…)
    8. Die Aktionskomitees veranstalten am Freitag, dem 31. März 1933 abends, in allen Orten im Einvernehmen mit den politischen Leitungen große Massenkundgebungen und Demonstrationszüge. Dabei sind Transparente zu tragen mit folgender Aufschrift:
      1. „Zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykott hetze.“
      2. „Boykottiert ab morgen, vormittags 10 Uhr, alle jüdischen Geschäfte.“ In Großstädten sind die Kundgebungen auf möglichst vielen öff entlichen Plätzen abzuhalten.
  12. Am Samstag vormittag sind bis spätestens 10 Uhr die Plakate mit dem Boykottaufruf an allen Anschlagstellen in Städten und Dörfern anzubringen. Zu gleicher Zeit sind an Lastautos oder noch besser an Möbelwagen folgende Transparente in hier angegebener Reihenfolge durch die Straßen zu fahren:„ Zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze.“,
    „ Boykottiert alle jüdischen Geschäfte“,
    „ Kauft nicht in jüdischen Warenhäusern“,
    „ Geht nicht zu jüdischen Rechtsanwälten“,
    „ Meidet jüdische Ärzte“,
    „ Die Juden sind unser Unglück“. (…)“ (2)In Elmshorn wurde für den 1. April die Polizei durch 20 „Hilfspolizisten“ verstärkt, die in der Fabrik von H. Schwarz in der Catharinenstraße kaserniert wurden.(3) Die neuen Kräfte wurden ausschließlich aus der SS und SA rekrutiert. Jeder Widerstand gegen diese SA- und SS-Angehörigen konnte fortan als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt werden.

    Wie verlief nun der Boykott in Elmshorn?

    Die „Elmshorner Nachrichten berichteten darüber am 1.April:

    „Der Abwehrkampf gegen die Greuelhetze in Elmshorn“ „Keinen Pfennig für die Juden!“ Unter dieser Parole wird der Abwehrkampf gegen die Greuelpropaganda der Juden im Ausland hier in Elmshorn geführt. Schon von 8 Uhr an sah man Streifen der SA und SS in der Stadt. Um 10 Uhr standen die Posten der SS vor den jüdischen Geschäften. An den Schaufenstern prangten gelbe Zettel mit der Aufschrift „Jude“. In Elmshorn wurden folgende Geschäfte von dem Boykott betroffen: „Produktion“ mit ihren sämtlichen Geschäftsstellen; Irma Rosenberg, Königstraße; Max Meyer, Schulstraße und die „Epa“. Die „Epa“ hielt ihre Räume heute geschlossen. Das eiserne Gitter zeigte schon jedem, der hier Einkäufe machen wollte, daß der Gang vergeblich gewesen war. Vor der „Epa“ hatte sich gegen 10 Uhr eine große Menschenmenge versammelt, die sich aber ruhig verhielt. Durch die Ansammlung wurde der Verkehr an dieser sehr belebten Straßenkreuzung stark behindert.
    Der Überfallwagen war sofort zur Stelle. Polizeibeamte und Hilfspolizei zerstreuten die Menge schnell. Die Leitung der Säuberungsaktion hatte der kommissarische Bürgermeister, Herr Rechtsanwalt Spieler. Er setzte in der Marktstraße Streifen der Hilfspolizei ein, die die Menge in Bewegung hielt. Dann fuhr er mit dem Überfallwagen nach anderen Plätzen, wo jüdische Geschäfte waren, und sah nach dem Rechten.  Auch das Abwehr-Komitee gegen jüdische Greuel- und Boykotthetze unter der Führung des SS-Führers Herrn W. Grezesch, fuhr zur Kontrolle mit einem Auto die Straßen ab. Zur Aufklärung der Bevölkerung wurden Flugblätter mit verschiedenem Inhalt verteilt. Die Firmen Max Meyer und Irma Rosenberg haben heute ihr Geschäft freiwillig geschlossen. Die Posten der SA wurden daher eingezogen. Auch bei der „Produktion“ wurden die Posten zurückgezogen, da nach neueren Meldungen kein jüdisches Kapital in diesem Betriebe investiert ist.
    Verhaftet wurden heute morgen von Hilfspolizisten zwei Personen. Ein Mann hatte einen SA-Mann, der Posten stand, belästigt. Er wurde kurzerhand festgenommen. Ein anderer  Mann hatte versucht, ein Judenplakat abzureißen. Auch er kam in Staatspension“.(4) Die jüdischen Geschäftsinhaber haben reagiert und ihre Geschäfte geschlossen. Diesem  Umstand war es vermutlich zu verdanken, daß es zu keinen größeren Ausschreitungen kam. Mißhandlungen oder Hausdurchsuchungen wie in anderen Städten sind in Elmshorn nicht bekannt geworden. Die Fabriken wurden nicht boykottiert. Lediglich vor der Gerberei von Paul Heymann, Kaltenweide, soll es zu einem Zwischenfall gekommen sein. Vor der Gerberei hatte sich eine Gruppe von Parteiangehörigen versammelt und ein Schild mit der Aufschrift: „Dies ist ein jüdisches Unternehmen“ aufgestellt.
    Daraufhin kam Paul Heymann in Uniform, mit seinem im I. Weltkrieg erworbenen Eisernen Kreuz I. Klasse auf der Brust, heraus und stellte sich demonstrativ vor das Haus. Dieses war den Nationalsozialisten doch zu peinlich, denn sie zogen mit ihrem Schild wieder ab. Die Bevölkerung verhielt sich zum größten Teil passiv.(5)

(1) Elmshorner  Nachrichten vom 29.3.1933, zit. nach Kirschninck, Harald: Die Geschichte der Juden in Elmshorn 1918-1945. Bd.2. S. 42ff

(2) Vossische Zeitung v. 31.3.1933, zit. n. :Comité des Délégations Juives: Die Lage der Juden in Deutschland 1933. Das Schwarzvuch/Tatsachen und Dokumente. S.302ff.

(3) Elmshorner Nachrichten v. 1.4.1933

(4) ebenda

(5) Kirschninck, Harald: Die Geschichte der Juden in Elmshorn 1918-1945. Bd.2. S. 48

Autor:  Harald Kirschninck

Literatur:

Kirschninck, Harald: Die Geschichte der Juden in Elmshorn. 1685-1918. Band 1. Norderstedt 2005.

Kirschninck, Harald: Die Geschichte der Juden in Elmshorn. 1918-1945. Band 2. Norderstedt 2005.

Kirschninck, Harald: Juden in Elmshorn. Teil 1. Diskriminierung.Verfolgung. Vernichtung. in: Stadt Elmshorn (Hrsg.):

Beiträge zur Elmshorner Geschichte. Band 9. Elmshorn 1996.

Kirschninck, Harald: Juden in Elmshorn. Teil 2. Isolierung. Assimilierung. Emanzipation. in: Stadt Elmshorn (Hrsg.):

Beiträge zur Elmshorner Geschichte. Band 12. Elmshorn 1999.

 

 

 

 

B. Zerschlagung der Gewerkschaften. Das Gewerkschaftshaus als politisches Zentrum der Selbstbefreiung. Neonazis greifen Gewerkschaften wieder an

Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazis in Elmshorn

Auch in Elmshorn besetzten Nazis vor 75 Jahren das Gewerkschaftshaus hier in der Schulstraße. Karl Dreyer, der damalige Gewerkschaftsekretär, bereits im Februar 1933 Opfer faschistischer Schläger, wurde verhaftet, die Post beschlagnahmt und die Konten gesperrt. Johannes Delker, ein ehemaliges Mitglied der KPD, berichtet von damals: „Der 1. Mai 1933 rückte heran, und zur Schande der Elmshorner Arbeiterschaft wurde unter der Hakenkreuzfahne marschiert. Einen Tag später, am 2.Mai 1933, besetzten SS-Horden das Gewerkschaftshaus, beschlagnahmten das Eigentum, soweit noch Mitgliederlisten und Geld vorhanden waren. Die Gewerkschaften selbst wurden dann der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation, der NSBO einverleibt, die später in `Deutsche Arbeitsfront´ (DAF) umgeändert wurde. Ein besonderes Lob möchte ich unserem Vorsitzenden Kollege W. Basse vom Metallarbeiterverband aussprechen. Keine Mitgliederliste und auch kein Geld sind in Elmshorn den Nazis in die Hände gefallen! Er hat dafür dreiviertel Jahr Gefängnis hinnehmen müssen.“

Die planmäßige Zerschlagung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung setzte sich fort. Am 10. Mai 1933 wurden in Elmshorn die SPD-Vermögen sowie die finanziellen Mittel des hiesigen Reichsbanners beschlagnahmt. Dem FTSV, dem Sportverein der Arbeiterbewegung, legte man nahe sich aufzulösen, „und die Mitglieder zu veranlassen, sich einzeln in die nationalen Verbände aufnehmen zu lassen, oder auch die Vereine, insbesondere ihre Vorstände, mit nationalen Kräften zu durchsetzen und sie in dieser Weise bestehen zu lassen.“

Die von nun an illegalen Zusammenkünfte von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaften waren erschwert und unterlagen notwendigerweise einer besonderen Tarnung bzw. der Geheimhaltung. (1)

 

Die „deutsche Arbeitsfront“ (DAF) und die betriebliche Volksgemeinschaft

Auf örtlicher Ebene behielt die DAF die alten Gewerkschaftseinrichtungen bei, um bis zum endgültigen Neuaufbau einen Massenaustritt zu verhindern und stattdessen den Eindruck zu vermitteln, ihre Gewerkschaften würden zur großen Einheitsorganisation „aller schaffenden Deutschen“ zusammengefasst. Diesen Eindruck sollten die pausenlosen Angriffe auf die „roten Bonzen“ verstärken, denen Korruption vorgeworfen wurde.

Nach dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) vom Januar 1934 bildeten Arbeiter und Angestellte eines Betriebes „die Gefolgschaft“, der Unternehmer war der „Führer“, die Beziehung zwischen beiden wurde als ein „Treueverhältnis“ festgesetzt. Als einziges Vertretungsorgan war den Beschäftigten in Betrieben mit mindestens 20 Arbeitnehmern die Bildung eines „Vertrauensrates“ zugestanden worden, der als Nachfolger des alten Betriebsrates nur noch beratende Funktion besaß. Im Vertrauensrat durften ausschließlich sozialpolitische Angelegenheiten angesprochen werden. Dagegen war es die oberste Pflicht des Vertrauensrates, die „Werksverbundenheit“ zu vertiefen. Während der Betriebsführer aufgrund seiner Position automatisch Mitglied des Vertrauensrates und zugleich dessen Vorsitzender war, musste der einfache Vertrauensmann Mitglied der DAF sein, und „die Gewähr bieten … jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten.“

„Wir halten den Arbeitsfrieden, wir predigen seine Erhaltung und wissen, dass Arbeitsfrieden nicht Wirtschaftsfrieden ist, denn hier tobt der Kampf, Kampf um den Binnenmarkt, Kampf um den Weltmarkt. Den Kampf um die Märkte gewinnen helfen, das ist die Aufgabe der DAF, daher will sie den Arbeitsfrieden, darum will sie die Befriedigung der Schaffenden ohne Ansehen der Person, des Berufs und des Standes“ (DAF 1934 Bl. 32)

Das ist eine andere Formulierung für das Ziel – das gleichzeitig die Aufgabe war, die der Faschismus für die herrschende Klasse zu erledigen hatte – die internationalistisch orientierte Arbeiterschaft zu „nationalisieren“. Eine so befriedete „Betriebsgemeinschaft“ konnte jetzt auch „fremden“ Widerstand überwinden. Die so gewonnene „nationale Stärke und Kraft“ sollte somit wiederum ins internationale Verhältnis zu anderen Nationen gesetzt werden. Und dieses sollte als naturhafter Prozess verlaufen – sich verwirklichen. Der Krieg erschien als logisches Resultat, als Lösungspunkt. Spätestens hier zeigte sich der Gehalt – des konzeptionellen Terrorismus faschistischer Ideologie nämlich, und zwar in seiner grausamsten Weise – im Vernichtungskrieg. (2)

 

Das Gewerkschaftshaus als politisches Zentrum der Selbstbefreiung der Stadt Elmshorn

Als sich gegen Ende des Krieges die Kräfte der Arbeiterbewegung im April/Mai 1945 wieder sammelten, sollte das Gewerkschaftshaus das politische Zentrum der Selbstbefreiung der Stadt von den Nazis werden. Hier wurde die Einteilung für den 150 Mann starken antifaschistischen Ordnungsdienst vorgenommen. Hier kamen die Abordnungen aus den Zwangsarbeiterlagern zusammen um ihre Probleme zu besprechen. Hier wurden Lebensmittel und anderes hingeliefert und verteilt. Hier ging jedermann ein und aus der mit dem erhofften Neubeginn zu tun hatte. Hierher wurden auch die Unternehmer der wichtigsten ortsansässigen Betriebe vom Gewerkschafts-ausschuss zitiert. Erich Arp, Sozialdemokrat, und streitbarer Wegbereiter der Selbstbefreiung forderte sie zur Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den neu gebildeten Betriebsräten auf. „Ein „krasses Führerprinzip“ könne es in Zukunft nicht mehr geben – „auch nicht in den Betrieben“. (3)

 

Neonazis greifen wieder Gewerkschaften an

Heute besetzen Neonazis im „Kampf um die Straße“ zunehmend sozialpolitische Themen und drängen sich immer häufiger in Demonstrationen von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Der Aufmarsch der NPD in Hamburg-Bambek am 1. Mai 2008 – aufgrund des historischen Datums der Zerschlagung der Gewerkschaften vor 75 Jahren – eine ungeheure Provokation. Dagegen war die friedliche Gegendemonstration von 10000 Teilnehmern des Hamburger Bündnisses gegen Rechts ein klares Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und neonazistische Gewalt ein großer Erfolg zivilgesellschaftlichen Engagements. Die Transparente der Neonazis erfüllten mit Parolen wie „Nie wieder Israel“ den Straftatbestand der Volksverhetzung. Angesichts des vielfältigen friedlichen Widerstandes ist es ein handfester politischer Skandal, dass der scheidende Innensenator Nagel und die Polizeiführung den Neonaziaufmarsch mit Wasserwerfern, Räumpanzern und Schlagstöcken durchgesetzt haben. Sie haben damit gegen das Deeskalationsgebot des Bundesverfassungs-gerichtes verstoßen. Das OVG Hamburg hatte schließlich der Demonstrationsroute des Hamburger Bündnisses gegen Rechts den Vorrang gegenüber der Nazidemonstration eingeräumt.

Angriffe auf 1.Mai-Demonstrationen durch Nazis muss in Zukunft wieder von Gewerkschaften, Antifaschisten und Zivilgesellschaft gemeinsam begegnet werden. Die NPD ist eine Nachfolgeorganisation der NSDAP und gehört endlich verboten.

Rudi Arendt

Literaturhinweise:

(1) Herbert Diercks, Fritz Bringmann: „Die Freiheit lebt! Antifaschistischer Widerstand und Naziterror in Elmshorn und Umgebung 1933-1945 702 Jahren für Antifaschisten“ Röderberg-Verlag Frankfurt a.M. 1983

(2) Claus Weber „Faschismus und Ideologie“ Projekt Ideologietheorie, Argument Verlag, Hamburg 2007

(3) Detlef Siegfried: „Die Befreiung Elmshorns im Mai 1945“, Beiträge zur Elmshorner Geschichte, Band 3, Stadt Elmshorn (Herausgeber.) 1983

 

C. Stolpersteine in Elmshorn: Georg Rosenberg, am 12.2.1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Kirchensstraße 4, Elmshorn

Borgfelder Str. 24, Hamburg bei Dyhrenfurth

Georg Rosenberg, geb. 9.6.1886 in Elmshorn Haft Nov./Dez. 1938 KZ Sachsenhausen
deportiert am 12.2.1943 über Berlin nach Auschwitz

Georg Rosenberg wurde am 9. Juni 1886 in Elmshorn in der Kirchenstraße 4 geboren. Seine Eltern waren Alexander Rosenberg und Amalie, geb. Fürstenberg. Sie gehörten der israelitischen Gemeinde an. Das Wohnhaus lag im Zentrum von Elmshorn, einen Steinwurf von der St. Nikolai Kirche entfernt.
Kirchenstraße 4, 25335 Elmshorn
Peterstraße 28, 25335 Elmshorn

Alexander Rosenberg hatte am 1. September 1883 am Markt in Elmshorn ein Ladengeschäft für Papierwaren eröffnet. Dieses expandierte bald zu einem Papierwarengroßhandel, den er von der Kirchenstraße 4 aus betrieb.

Die Großmutter von Jürgen Wohlenberg, des Verfassers dieses Artikels, arbeitete vom 1. November 1891 bis zum 30. April 1902 als Dienstmädchen bei der Familie Rosenberg. Bei ihrer Heirat mit Johannes Wohlenberg im selben Jahr wurde sie von den Rosenbergs mit einer
kompletten Aussteuer beschenkt.

Alexander Rosenberg war Bürger der Stadt Elmshorn und ein angesehenes Mitglied der israelitischen Gemeinde. Er gehörte dem Elmshorner Männer-Turnverein an, den er nach 1933 wegen seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde verlassen musste.

Die Rosenbergs bekamen am 16. August 1889 einen zweiten Sohn, Friedrich, genannt Fritz. Beide Jungen besuchten das örtliche Gymnasium, die Bismarckschule. Georg heiratete am 8. Juni 1909 Gerda Mendel, die Tochter einer sehr angesehenen jüdischen Elmshorner Familie. Sie bekamen zwei Kinder, Gunther am 1. November 1910 und Edel Ellen am 28. Dezember 1912. Georg war bereits 1906 (lt. Adressbuch der Stadt Elmshorn) als Kaufmann im Geschäft seines Vaters geführt. Vielleicht war das ein Grund, dass sein Bruder Friedrich bereits 1913 mit der „Graf von Waldersee“ in die USA auswanderte. Als Adresse gab er bei seiner Einwanderung auf Ellis Island seinen Cousin Jacob in der Nassau Street in Manhattan an. Friedrich starb (lt. Ancestry.com) im April 1975 in San Antonio, Texas, USA. Alle Bemühungen, Nachkommen in den Staaten zu finden, waren erfolglos.

Die Ehe von Georg und Gerda Rosenberg war nicht von langer Dauer, sie wurde am 25. Februar 1920 geschieden. (Lt. Scheidungsurteil wurde) Georg [wurde] schuldig gesprochen, da das Gericht ein Verhältnis mit seiner späteren zweiten Frau, Irma S., als Scheidungsgrund wertete. Die Tatsache der Scheidung und dass der Scheidungsgrund eine Christin war, dürften ursächlich für den Selbstmord der Mutter kurze Zeit später gewesen sein. Der Vater starb am 12. März 1927 im städtischen Altenheim. Das Grab der beiden ist auf dem jüdischen Friedhof in Elmshorn bis heute erhalten.

Die geschiedene Gerda, die (lt. Scheidungsurteil jetzt) fortan den Namen Rosenberg-Mendel tragen durfte, zog mit ihren Kindern in die Holstenstraße 10 in Elmshorn, wo sie (. Lt. Adressbuch arbeitete) sie als Hand- und Fußpflegerin[arbeitete], während ihr Sohn Gunther als Messe-Steward gemeldet war. Gerda Rosenberg-Mendel intensivierte ihre Gesangs- und Musikstudien und gab Gesangsunterricht. Ihr Lebenslauf ist in dem Online Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS Zeit der Universität Hamburg veröffentlicht (www.lexm.uni-hamburg.de ). Sie übersiedelte 1937 nach Hamburg, nachdem Gunther Rosenberg schon 1936 dorthin gezogen war, und konnte im Juni 1939 zu ihrer Tochter nach England auswandern. Gunther emigrierte im November des Jahres nach Schanghai.

Georg und Irma Rosenberg heirateten am 8. November 1921. Für beide begann danach eine erfolgreiche Zeit, die jedoch nicht lange dauerte. Sie vergrößerten das Geschäft des Vaters, in dem sie u.a. das Gebäude Kirchenstraße 10 hinzu kauften. Am 1. September 1923 beging die Firma Rosenberg ihr 40jähriges Jubiläum. In der „Elmshorner Zeitung“ erschien zu dem Datum ein größerer Artikel, in dem die Großzügigkeit und das Mäzenatentum der Firma für Sport und Kultur der Stadt Elmshorn herausgestrichen wurden. Die Zeitung schrieb von „praktischer Vaterlandsliebe“.

Schon wenig später wendete sich jedoch das Blatt. Scheidung, Beginn der Hyperinflation Anfang der 20er Jahre und einige Steuervergehen führten schließlich zum Konkurs des Papiergroßhandels. Georg Rosenberg wurde zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe wegen Konkursvergehens verurteilt, die jedoch in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wurde. Das Grundstück Kirchenstraße 4 wurde im April 1926 zwangsversteigert. Weitere Immobilien musste er verkaufen, andere hatte er schon vor dem Konkurs an seine erste Ehefrau und die beiden Kinder überschrieben.

Die Eheleute (Georg und Irma) Rosenberg zogen nach dem Verlust des Wohnhauses nur einige 100 Meter weiter in eine Mietswohnung in der Peterstraße 28. Irma R. betrieb dort wie auch in der Haupteinkaufsstraße, der Königstraße, ein Handarbeitsgeschäft. Das Geschäft war sehr bekannt und bestand in der Königstraße bis weit in die 70er Jahre. Es wurde zuletzt von dem Sohn Gunther betrieben
Georg Rosenberg half im Geschäft seiner Frau mit und arbeitete außerdem als Handelsvertreter u. a. für eine Elmshorner Margarinefabrik. Für die beiden wurde es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 neben den wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch politisch sehr viel schwieriger. Bei der großen Boykottaktion der Nazis am 1. April 1933 gegen jüdische Geschäfte wurde der Laden von Irma Rosenberg von SA-Posten belagert und als jüdisches Geschäft gebrandmarkt. Erst die „freiwillige“ Schließung ließ den SA-Mob abziehen.

Wie schwierig die Situation für jüdische Bürger geworden war, zeigt auch die nachfolgende Begebenheit, die als Gerichtsakte im Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig verwahrt wird. Georg Rosenberg war 1936, wie schon des Öfteren, als Handelsvertreter nach Wyk auf Föhr gereist. Er wohnte, wie immer, im Strandhotel bei Frau P. Dort wurde er in den Morgenstunden von einem SA-Mann, dem Sohn der Hotelbesitzerin, und einem weiteren SA-Mann aus dem Hotel geprügelt und dann durch den halben Ort verfolgt. Nachdem Georg Rosenberg die beiden angezeigt hatte, warfen sie ihm vor, den dortigen Kolonialwarenhändler betrogen zu haben. Dafür gab es aber keine Beweise. Georg Rosenberg war sogar in seiner Anzeige bereit, diese zurückzuziehen, wenn die beiden Täter für die Winterhilfe spendeten und seine zusätzlichen Kosten übernehmen würden.
Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem aus Elmshorn das polizeiliche Führungszeugnis eingetroffen war. Dieses begann mit den Worten: “Der Kaufmann Georg Rosenberg, wohnhaft in Elmshorn, Peterstraße 28 ist Jude. Der Ruf des Rosenberg ist kein guter.“ Das Schreiben endete: „Im übrigen kann gesagt werden, dass man es bei Rosenberg mit einem typischen Juden mit typisch jüdischem Charakter und Einstellung zu tun hat.“

In dem Führungszeugnis der Elmshorner Polizei wurden auch Irma Rosenberg nebulöse Betrugsvorwürfe gemacht, die jedoch ihrem Mann angelastet wurden. Im November 1938 gehörte Georg Rosenberg zu den Opfern der Reichspogromnacht. Er wurde verhaftet, in das KZ Sachsenhausen verbracht und am 23. Dezember, wie viele andere, aus der Haft entlassen. Die Entlassung war üblicherweise mit der Auflage verbunden, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Reichsgebiet zu verlassen. Für Auswanderungspläne Georg Rosenbergs gibt es keine Anhaltspunkte. Er traf am 24. Dezember 1938 in Elmshorn bei seiner Frau in der Peterstraße ein, aber diese ließ ihn nicht mehr in die Wohnung. Die Ehe war zerrüttet.
Ob es der nationalsozialistische Verfolgungsdruck war oder die Tatsache, dass im Juli 1934 ein Karl S. in das Haus Peterstraße 28 einzog, wissen wir nicht, jedenfalls trennte sich Irma Rosenberg von ihrem Mann. Er suchte Hilfe bei der jüdischen Gemeinde und fand Zuflucht bei einem Gemeindemitglied, der Familie des Lederfabrikanten Oppenheim am Flamweg. Der Sohn Rudi Oppenheim, der als 11-jähriger im Februar 1939 mit seiner Familie aus Deutschland flüchtete und heute (2012) mit seiner Familie in den USA lebt, bestätigte dies anlässlich eines Besuches in seiner Heimatstadt.

Edel Ellen Rosenberg, die Tochter von Georg Rosenberg aus erster Ehe, ging als erste aus der Familie nach Hamburg und emigrierte auch als erste. Sie lebte als Haustochter bei Hermine Danziger, geb. Rosenberg, in der Behnstraße. Ob es sich dabei um eine Verwandte handelte, ließ sich nicht ermitteln. Edel Rosenberg verließ Deutschland bereits 1934 mit dem Ziel London, wo sie später ein Fußpflegeinstitut aufbaute.

Das nächste Lebenszeichen von Georg findet sich im Juli 1939 in den „Elmshorner Nachrichten mit der Meldung, dass er wegen des Besitzes von 452,16 Reichsmark verhaftet und der Gestapo übergeben wäre. Er habe das Geld in jüdisch-devisenschieberischer Weise in dem Futter seiner rechten Hosenklappe versteckt.

Welche Konsequenzen dieser Tatbestand hatte, ist nicht bekannt. Georg Rosenberg zog im August 1939 nach Hamburg. Erst ein Jahr später meldete sich Georg Rosenberg beim Jüdischen Religionsverband an und wurde im Juli 1940 beitragspflichtig. Über seine Beweggründe für den Umzug wissen wir nichts. Sicherlich war seine Situation in Elmshorn nach der Flucht der Oppenheims sehr schwierig geworden. Ein Unterschlupf in der doch recht kleinen Stadt Elmshorn war wohl nicht mehr möglich.

Noch war er nicht geschieden und wohnte zunächst zur Untermiete in der Borgfelder Straße 24 bei Mathilde Dyhrenfurth (s. Stolpersteinbroschüre Hamburg-Borgfelde). Offenbar hatte er als Händler ein geringes Einkommen, das jedoch wegfiel, als er 1941 erkrankte er und erwerbslos wurde. Die jüdische Reichsvereinigung stellte ihn daraufhin von der Beitragspflicht frei. Zu dieser Zeit gab Mathilde Dyhrenfurth die Wohnung auf, und Georg Rosenberg zog in die Eimsbütteler Chaussee 45 zu Josef Mayer, der jedoch bereits am 8. November mit seiner Familie nach Minks deportiert wurde.
Nach acht Jahren der Trennung wurde die Ehe von Irma und Georg Rosenberg am 5. Juni 1942 geschieden. Bis dahin hatte die Verbindung als „privilegiert“ gegolten, was einen gewissen Schutz vor Verfolgung, insbesondere vor einer Deportation, bot. Dieser fiel nun weg.
Irma Rosenberg nahm ihren Mädchennamen wieder an und heiratete später Karl S.

Im Zuge der Wohnungszwangsmaßnahmen der Gestapo wurde Georg Rosenberg am 6. Oktober 1942 durch die jüdische Gemeinde in der Beneckestraße 2, ihren eigenen Gemeinderäumen, die nun als „Judenhaus“ dienten, untergebracht.
(Die Beneckestraße gibt es heute nicht mehr. Sie liegt auf dem heutigen Gelände der Universität Hamburg. Diese Adresse war sicherlich nicht mehr selbst bestimmt.)

Georg Rosenberg, inzwischen 56 Jahre alt, wurde zum 12. Februar zum Transport über Berlin „nach dem Osten“ aufgerufen. Es handelte sich um einen kleinen Transport von 22 Hamburger Juden und Jüdinnen, von denen allein zehn aus der Beneckestraße 2 kamen. Sie waren im Alter von sechs bis 60 Jahren. Zu ihnen gehörte auch ein Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde mit seiner Familie, Martin Starke, der als einziger diese Deportation, die nach Auschwitz führte, überlebte. Nur bei dreien gab die Gestapo eine Berufsbezeichnung an, darunter Georg Rosenberg mit „Händler“.
Ein Datum von Georg Rosenbergs Ermordung in Auschwitz konnte nicht ermittelt werden. Er wurde in Elmshorn in der Kirchenstraße 4, in der er und seine Familie über 40 Jahre gelebt haben, mit einem Stolperstein geehrt.

Paten für den Stolperstein für Georg Rosenberg sind Jürgen Wohlenberg und Hans-Joachim Wohlenberg sowie Mark Seeland, Thorben Walter und Anna Zier von der Kooperativen Gesamtschule Elmshorn (KGSE) der heutigen Erich Kästner Gesamtschule.

 

Inschrift:

HIER WOHNTE

GEORG ROSENBERG

JG. 1886

VERHAFTET 1939

DEPORTIERT 1943

ERMORDET IN AUSCHWITZ

 

Quellen:
Stadtarchiv Elmshorn, Personenstandsregister;
Amtsgericht Elmshorn, Grundbuchamt;
Landesarchiv Schleswig-Holstein/Schleswig;
Staatsarchiv Hamburg, 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b Kultussteuerkartei; 992 e 2 Band 5; 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 8590;
Archiv Auschwitz;
Ellis Island, Einwanderungsunterlagen;
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen; ITS Bad Arolsen; Kirschninck, H.,
Kirschninck, Harald: Juden in Elmshorn. Teil I. Diskriminierung, Verfolgung, Vernichtung.  in: Stadt Elmshorn (Hrsg.): Beiträge zur Elmshorner Geschichte, Band 9. Elmshorn 1996.
Ancestry.com.

D. Selbstbefreiung vom Faschismus in Elmshorn: Die Aktion „weiße Flagge“

Die „Aktion weiße Flagge“ auf dem Kirchturm der Nikolaikirche am Alten Markt am 3. Mai 1945

Am 3. Mai 1945, einem Donnerstag waren die Verhältnisse in der Stadt völlig unüberschaubar. Alle Straßen in und um Elmshorn waren mit Wehrmachtsverbänden verstopft. Nach dem Dönitz-Befehl der kampflosen Übergabe Hamburgs zogen nun Teile der nordwärts strömenden Truppen durch die Stadt hindurch, andere befolgten dem Befehl sich hier zu verschanzen. Zu befürchten stand der Aufbau einer neuen Hauptkampflinie und durch die Präsenz großer Militärpotentiale erneut schwere Luftangriffe der Briten.

Dieser Situation hatte sich der erst zwei Tage im Amt tätige Bürgermeister Dr. Küster nicht gewachsen gezeigt. Der Ende April lose formierte Widerstandskreis um den sozialdemokratischen Fabrikanten Erich Arp, und dem kommunistischen Gastwirt Arthur Geißler reagierte schnell. Die Antifaschisten bildeten zunächst einen sogenannten „Aktionsausschuß“. Am Nachmittag kursierten Flugblätter in der Stadt in denen dann der sogenannte „Übergabe-Ausschuß“ zum Hissen weißer Flaggen aufrief.

Die „Aktion weiße-Flaggen“ stieß auf große Resonanz: Es wurde eine vorbereitete weiße Fahne hier auf dem Kirchturm gesetzt. An mehr und mehr Häusern waren Bettlaken und weiße Unterhemden zu sehen, und schließlich „wurde die ganze Stadt auf einen Schlage weiß beflaggt.“Christa Schenck erinnert sich: „voller weißer Fahnen will ich nich´ sagen, sind auch Häuser gewesen, die keine hatten. Aber bei uns in der Roonstraße war´n doch etliche, die ich erinnere, die dann weiße Fahnen rausgehängt haben. Und die Kirche wurde oben auf dem Kirchturm – an allen vier Ecken wurden weiße Fahnen rausgehängt.“1

Dies war nicht ganz ungefährlich. Seit Anfang April galt der Befehl Himmlers, alle männlichen Bewohner eines weißbeflaggten Hauses zu erschießen und die Wohnstatt abzubrennen. Tatsächlich begannen beim Durchmarsch stärkerer SS-Truppen die Offiziere aus herumfahrenden Wagen und Krads das Streichen der weißen Flaggen zu befehlen. Zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen SS-Angehörigen und dem Lederfabrikanten und Antifa-Symphatisanten Wilhelm Knecht kam es, als die auf dem Kirchturm angebrachten weißen Fahnen heruntergeworfen wurden. Mehrfach schoß die SS ohne Warnung auf Fahnen und Fenster. Sie drohte Handgranaten in die Fenster zu werfen, wenn die Beflaggung nicht sofort eingezogen wird, und meinte gar, dass es auf einige Frauen oder Kinder nun auch nicht mehr ankommen würde.

Nach Abzug der SS-Verbände sollen etwa die Hälfte der weißen Flaggen eingezogen worden sein. In der Nacht zum Freitag kletterten Erich Arp und Arthur Geissler abermals auf den Kirchturm und befestigten hier die vier Bettlaken, die dann nicht mehr heruntergeholt wurden. Erich Arp: „… und in der Nacht da drauf, also die Gegenwehr hat zum Verschwinden der weißen Flaggen geführt, und dann sind wir wieder noch mal nachts auf den Kirchturm geklettert und haben von unseren Muttis vier Bettlaken geholt und raufgehängt. Den Zugang, den Abgang verrammelt, den Schlüssel weggeworfen – und die sind dann auch hängengeblieben.“2

(Aus: Detlef Siegfried: „Zwischen Einheitspartei und Bruderkampf: SPD und KPD in Schleswig-Holstein 1945/1946“. Neuer Malik-Verlag; 1992)

1 Originalton Christa Schenck und 2 Originalton Erich Arp in „Freie Republik Elmshorn – 11 Tage im Mai 1945“ von Karl Siebig und Hajo Wilms, Radiosendung NDR Welle Nord 1993

von Rudi Arendt

 

E. Stolpersteine in Elmshorn: Die Sinti und Roma Familie Winterstein

Das kurze Leben von Benno Bengalo Winterstein begann am 14. September 1932 in Elmshorn. Er wohnte mit seinen Eltern Gerson und Marie und der etwa eineinhalb Jahre älteren Schwester Esther Marga in der Königstraße 51. Dieses Grundstück ist heute unbebaut , es liegt nicht direkt an der Königstraße, sondern zwischen dem Torhaus und dem Propstendamm an der Verlängerung des von Alteingesessenen „Streckers Gang“ genannnten Fußwegs. Hier hatte  zuvor die Familie Strecker eine Lederfabrik gehabt. Nach dem Elmshorner Adressbuch von 1934 wohnten dort außer Mitgliedern der  Fabrikantenfamilie noch 22 Mietparteien. Vermutlich waren in dem stillgelegten Fabrikgebäude einfache Wohnungen entstanden, deren Bewohner sich mit den Streckers die Adresse teilten. 

Bennos Eltern  hatten 1930 geheiratet, der Heiratseintrag beim Standesamt Elmshorn gibt als Beruf bei Gerson „Händler“, bei Marie „Arbeiterin“ an. Bei der Geburt der Kinder ist die Berufsbezeichnung für den Vater „Arbeiter“. 

Gerson Winterstein war Sinto. – Als Sinti  oder Roma bezeichnet man eine aus Indien stammende, seit dem Mittelalter in Europa lebende Minderheit mit einer eigenen Sprache und kulturellen Besonderheiten.  In Deutschland hat sich für die Menschen, deren Vorfahren seit langem in Deutschland ansässig waren, die Bezeichnung „Sinti“ durchgesetzt. Den von der übrigen Bevölkerung  früher verwendeten Begriff „Zigeuner“ lehnen die meisten Sinti und Roma als diskriminierend ab.  

In Deutschland sind Sinti seit Ende des 14. Jahrhunderts nachweisbar. Sie waren fast von Anfang an massiver Verfolgung ausgesetzt, wurden für vogelfrei erklärt, enteignet und außer Landes getrieben.   Durch Sprachverbote, Zwangsehen mit Nicht-“Zigeunern“ und Wegnahme der Kinder sollten sie zur Assimilation an die Mehrheitsbevölkerung gezwungen werden. Die reisende Lebensform, an die sie gewöhnt waren, erleichterte ihnen die Flucht und damit das Überleben. Entgegen dem Klischee sind heute die meisten Sinti und Roma  sesshaft. 

In welchem Umfang Sinti-Bräuche in der Familie Winterstein gepflegt wurden, wissen wir nicht. Dass die Mutter Marie „deutschblütig“ war, wie es in einem Schreiben der Elmshorner Polizei aus dem Jahr 1936 heißt, spricht eher dagegen. 

Schon bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden  viele Sinti und Roma aus  Deutschland  und später auch aus Österreich in Konzentrationslager verschleppt. Im Herbst 1938 begann in der Verantwortung des „Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei“ Heinrich Himmler die zentrale Erfassung dieser Minderheit mit dem Ziel ihrer Vernichtung. Von den 40 000 durch die Nationalsozialisten registrierten deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden 25 000 ermordet, vor allem  durch Vergasung, aber z. B. auch durch medizinische Experimente. In den im Krieg besetzten Gebieten wurden nach Schätzungen weitere 500 000 Menschen umgebracht – durch Massenerschießungen oder durch Vergasung in den Vernichtungslagern. 

Nach dem erwähnten Schreiben der Elmshorner Polizei, in dem diese der Landeskriminalpolizeistelle  in Altona Bericht über die in Elmshorn lebenden „Zigeuner“ erstattete, wurde Gerson Winterstein schon 1934 für einige Zeit „einem Konzentrationslager zugeführt“, allerdings nicht aus rassistischen Gründen, sondern „wegen kommunistischer Umtriebe“. Das Schreiben endet mit dem Satz „Winterstein ist als Volksschädling übelster Art zu bezeichnen, für den es angebracht wäre, aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen und in Dauerverwahrung genommen zu werden.“  Gerson Winterstein gehörte möglicherweise zu den insgesamt 1238 norddeutschen Sinti und Roma, die in den Jahren 1940 und 1943 von Hamburg aus in die Konzentrationslager Belzec  bzw. Auschwitz verschleppt wurden. 

Spätestens seit dem Jahr 1943 lebten Benno und seine Schwester Marga im städtischen Kinderheim am Sandberg. Mit Hilfe des Stadtarchivs und des Vereins für Familienkunde  ist die Arbeitsgemeinschaft „Stolpersteine für Elmshorn“ in den Besitz eines Gruppenfotos gelangt, das Benno zusammen mit etwa 40 Elmshorner Jungen und einigen Erwachsenen zeigt, die von Mai bis Dezember 1943 zur „Kinderlandverschickung“ (KLV) in Helbigsdorf in Sachsen waren.  Dass Benno mitfahren durfte, war nicht selbstverständlich, denn die  KLV wurde weitgehend von der Hitlerjugend organisiert und Benno war nach den rassistischen Vorstellungen der Nazis als „Zigeunermischling“ noch weniger wert als ein „reinblütiger Zigeuner“. – Die Elmshorner Senioren Georg Wilhelm Kröger und Uwe Modrow, die auch in Helbigsdorf waren, erinnern sich an Benno als einen lebhaften Jungen, der sich gern an allen Unternehmungen beteiligte und gelegentlich auch besondere Aufgaben von den Erwachsenen übertragen bekam. Uwe Modrow, der Benno schon aus Elmshorn kannte, schrieb damals an seine Mutter: „Benno Winterstein,das ist einer aus Elmshorn aus dem Pflegeheim,…..ist jetzt in Mulda. Er soll zwei bestellte Liegestühle abholen für die Fußkranken“. 

Am 21. April 1944 wurden der 11jährige Benno und seine 13jährige Schwester in Auschwitz eingeliefert. Sie waren mit 24 anderen Sinti, hauptsächlich Kindern und Jugendlichen, von Hamburg aus deportiert worden. Benno bekam die Häftlingsnummer Z 9798 in den Unterarm tätowiert. Weitere Einzelheiten sind über sein Schicksal nicht bekannt, aber nach allem was über die Zustände im „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau bekannt ist, muss man davon ausgehen, dass er nicht zu den wenigen Überlebenden gehört. 

Die Schwester Esther Marga hat nicht nur Auschwitz, sondern auch die Konzentrationslager Ravensbrück, Mauthausen und Bergen-Belsen überlebt und ist im Sommer 1945 vom Roten Kreuz nach Schweden evakuiert worden. 

Gisela Hansen

Paten für den Stolperstein von Benno Bengalo Winterstein sind Magdalene und Götz Springorum

Inschrift:

HIER WOHNTE

BENNO BENGALO

WINTERSTEIN

JG. 1932

DEPORTIERT 1944

ERMORDET

IN AUSCHWITZ

 

Redebeitäge von Schülerinnen der Elsa-Brandström-Schule zur Stolpersteinverlegung am 3.3.2012 vor dem Torhaus 

Hier entsteht der Gedenkort für die Familie Winterstein, die hier zwischen 1930 und 1944 gelebt hat. Sie waren Mitglieder der Sinti-Gemeinschaft.

Die Geschichte der Roma und Sinti in Europa ist eine lange Geschichte der Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung bis hin zur Vernichtung. Heute repräsentieren sie die größte europäische Minderheit. Ihre Zahl ist auf etwa 12 Millionen angewachsen und zu 90% sind sie sesshaft. Aber noch immer stehen sie am Rande der Gesellschaft. Im Jahr 2010 wurde die Hälfte von ihnen durchschnittlich 11mal Opfer von Diskriminierung aufgrund ethnischer oder solcher Gründe, die immigrationsbedingt in den jeweiligen Ländern üblich sind. In Ungarn und Rumänien ist Gewalt gegen sie aktuell gerade auf dem Höhepunkt. Auch in Berlin, wohin viele aus Rumänien oder Bulgarien hingezogen sind, sind sie Gegenstand heftiger Debatten. Gut gemeinte Projekte und Appelle zur Integration der Volksgruppe scheitern regelmäßig.

Sehr spät wurde dies von der nationalen wie europäischen Politik wahrgenommen. Erst 2oo4 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte offiziell die Minderheit anerkannt und ihr Recht auf Nomadentum, obwohl mit einem Verweis auf Artikel 8 und 14 der Menschenrechtskonvention dies früher hätte geklärt werden können.

Im April 2011 fand in Cordoba der 2. Europäische Gipfel zur Inklusion, d.h. soziale Eingliederung der Roma statt, doch zur gleichen Zeit praktizierte die französische Regierung die verschleierte Abschiebung der Roma von Frankreich nach Rumänien unter dem Deckmantel der „humanitären Hilfe zur Rückkehr“.

Die bisherigen Anstrengungen zur Situationsverbesserung der Roma/Sinti in Bezug auf Bildung, Arbeit, Gesundheitsleistungen, Unterkunft und soziale Integration bewirkten bedauernswert wenig. Diskriminierung erfolgt von individueller wie staatlicher Seite gleichermaßen.—Sollen Roma/Sinti weiterhin als Sündenböcke für Kriminalität dienen und als schwarze Schafe Europas bezeichnet werden? So hätte sich leider nichts Wesentliches geändert gegenüber dem Schicksal der Familie Winterstein, Vater Gerson und der Kinder Marga und Benno, an deren letzten gemeinsamen Wohnort wir uns hier versammelt haben.

SV-Vertretung der Elsa Brändström Schule

Elmshorn, den 3.3.2012

Bei dieser jungen Sinti-Familie wurde ständig nach polizeilich verwertbarem Fehlverhalten gesucht und stetige Repressalien führten gar zur Trennung der Eltern, dem Heimaufenthalt der Kinder sowie ihrer Deportation als „Zigeuner-Mischlinge“. Für Marga begann eine Odyssee durch zahlreiche europäische KZs, die sie unmittelbar überlebte, aber für welchen Preis der

körperlichen und seelischen Schädigung…

Ich hoffe, dass unsere Erinnerungsarbeit dazu führt, dass die Menschen heute schneller fehlerhafte Verhaltensentwicklungen erkennen und mutig handeln.

Sinja, 14 Jahre von der EBS Patenschaft für Gerson Winterstein: SV der Elsa-Brandströmschule.

 

Nachtrag: Nach neuen Erkenntnissen wurde Gerson Winterstein am 13. Juni 1940 im Alter von 34 Jahren ins KZ Sachsenhausen deportiert. Hier findet sich auch ein Hinweis auf seine Bestattung mit gleichem Datums. R. Arendt 12.2.2024

Gerson Winterstein

Geburt:
Tod:
13 Juni 1940 (im Alter von 34)
Bestattung: Sachsenhausen KZ Oranienburg, Landkreis Oberhavel, Brandenburg, Germany

Gedenkstätten-ID Quelle ansehen

 

Die Patenschaft des Stolpersteines für Gerson Winterstein übernimmt die Schülervertretung der Elsa-Brandström-Schule

Inschrift:

HIER WOHNTE

GERSON WINTERSTEIN

JG. 1905

VERHAFTET 1934

SCHICKSAL UNBEKANNT

 

 

Die Patenschaft des Stolpersteines für Esther Marga Winterstein übernimmt Dr. Ernst-Dieter Rossmann

Inschrift:

HIER WOHNTE

ESTHER MARGA

WINTERSTEIN

JG. 1931

DEPORTIERT 1944

AUSCHWITZ

RAVENSBRÜCK

MAUTHAUSEN

BERGEN-BELSEN

BEFREIT/ÜBERLEBT

 

F. Stolpersteine in Elmshorn: Hans Christian Carl Wulff

Biografie Hans Christian Carl Wulff

In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts erfuhren die Ortsversammlungen und Bibelstudiengruppen der Zeugen Jehovas in Norddeutschland einen regen Zulauf. Dazu zählten die größeren Gemeinden in Kiel, Lübeck und Flensburg sowie kleinere Gruppen z.B. in Kellinghusen oder in Elmshorn. Die Zeugen trafen sich regelmäßig zum Studium der Bibel und widmeten sich eifrig der Missionstätigkeit. Auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 setzten sie diese nunmehr verbotene Tätigkeit fort.
Die hiesige Polizei reagierte: Am 28.1.1935 stürmte sie ein Handarbeitstreffen von fünf Bibelforscherinnen in der Ollnstraße trotzdem nicht festgestellt werden konnte, dass die Teilnehmerinnen sich religiös betätigt hatten. Die Elmshorner Bibelforscher setzten wie ihre Glaubensbrüder reichsweit trotz Verbots ihre Bibelstudien fort, wobei sie von der Gruppe in Altona unterstützt wurden. Im Dezember 1936 und im Juni 1937 beteiligten sie sich an zwei reichsweiten Flugblattaktionen. Die Flublätter “Resolution” und “Offener Brief” wurden heimlich in Briefkästen gesteckt bzw. mit der Post versandt.

Keine andere Widerstandsorganisation habe während der gesamten NS-Zeit eine „vergleichbare Initiative“ durchgeführt, so die Lübecker Historikerin Fr. Dr. Elke Imberger. In den Flugblättern wurde die grausame Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland angeprangert.

Die Gestapo reagierte wütend. Es kam zu Massenverhaftungen von Zeugen Jehovas, was u.a. dazu führte, dass die Frauenabteilung des Gefängnisses in Neumünster völlig überfüllt war. 81.5% der Angeklagten vor dem schleswig-holsteinischen Sondergericht waren 1938 Zeugen Jehovas. Die Untergrundorganisation der Zeugen Jehovas einschließlich der heimlichen Druckaktivitäten und des Literaturversandes waren zerschlagen worden.

Anlässlich der Flugblattaktion am 12.12.1936 war bereits der Elmshorner Zeuge Jehovas Max Andreas Hahn verhaftet worden, der später im Konzentrationslager Sachsenhausen verstarb (ein entsprechender Stolperstein wurde bereits verlegt). Auch der Zeuge Jehovas Carl Wulff fand in diesem Lager am 11.2.1939 den Tod.
Carl Wulff wird als Sohn den Holzpantoffelmachers Claus Wulff am 19.11.1893 im Elmshorn geboren. Im Oktober 1920 heiratet er seine Frau Alwine, am 6.6.1921 wird ihre gemeinsame Tochter Elsa geboren. Carl Wulff arbeitet als Maurer, die Familie wohnt in der Königstraße 51.
Die Zugehörigkeit zu seiner Religion stellte ihn wie alle Zeugen Jehovas in scharfem Gegensatz zum NS-Regime. So verweigerten sie den Hitlergruß mit dem Hinweis, dass nach der Bibel das „Heil“ alleine in Christus zu suchen sei. Des weiteren weigerten sie sich, an Wahlen teizunehmen sowie in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen Mitglied zu werden und lehnten den Eid auf den Führer ab.
Für die Zeugen war auch die Rassenlehre der Nationalsozialisten mit ihrem Glauben unvereinbar.
Die Nationalsozialisten sahen die “Ernsten Bibelforscher”, wie Jehovas Zeugen damals oft genannt wurden, als Teil einer „jüdisch-bolschewistischen“ Verschwörung an mit dem Ziel, eine „unumschränkte Herrschaft des Judentums“ zu errichten (Schleswig-Holsteinische Tageszeitung vom 30.6.1933) Ihre heimliche Missionstätigkeit stellte nach Lesart der politischen Machthaber damit „Hetze“ und „kulturbolschewistische Zersetzungsarbeit“ dar.

Carl Wulff wurde verhaftet und am 20.5.1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Er bekam die Häftlingsnummer 342. In den Lagern wurden den Zeugen Jehovas als einziger Häftlingsgruppe eine “Verpflichtungserklärung” vorgelegt, mit der sie ihrem Glauben abschwören sollten, um dann möglicherweise entlassen zu werden. Carl Wulff dagegen wurde nicht entlassen. Er verstarb als christlicher Märtyrer am 11.2.1938, weniger als neun Monate nach seiner Einlieferung.

Literatur: Imberger, Elke. Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und in Schleswig-Holstein 1933-1945

Autor: Jörn Puttkammer

Pate für den Stolperstein von Hans Christian Carl Wulff ist die Gewerkschaft ver.di, Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik

Inschrift

HANS CHRISTIAN

CARL WULFF

JG. 1893

ZEUGE JEHOVAS

VERHAFTET

SACHSENHAUSEN

TOT 11.2.1939

 

G. Stolpersteine in Elmshorn: Erich Krämer

Erich Krämer – Biografisches über einen Kommunisten und Widerstandskämpfer gegen die faschistische Diktatur

von Heinz Stehr

Am 16. Juli 1942 erhielt die Familie Erich Krämers dessen Totenschein. Als Todesursache wurde vom behandelnden Arzt, einem SS Untersturmführer, eine Allgemeininfektion angegeben.
14 Tage nach seiner Einweisung in das KZ Sachsenhausen, Sonderkommando Klinkerwerk, war der Leidensweg des Widerstandskämpfers aus Elmshorn brutal beendet worden.
In den Totenscheinen der KZ – Mörder wurden die tatsächlichen Todesursachen, nämlich Mord, natürlich nicht angegeben. So war es auch in diesem Fall. Vernichtung der politischen Gegner durch Sklavenarbeit, Erschlagen, Erschießen und andere Mordtaten war das Ziel der Einrichtung von Konzentrationslagern.

Erich Krämer wurde 42 Jahre alt. In seinen letzten 10 Lebensjahren musste er mehrere Jahre in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen.

Der Friseur, Arbeiter in der Lederfabrik Metzger und später Schlosser auf der Elmshorner Krämer- werft wird im Buch von Alfred Rasmussen „Elmshorner Arbeiterinnen und Arbeiter im politischen Widerstand“ als ein „eher unauffälliges Mitglied der KPD“ beschrieben. Er war Unterkassierer und spielte in der Elmshorner Schalmeienkapelle.

Nach dem, was bekannt ist, muss er ein überzeugter mutiger Antifaschist gewesen sein.
Am 24. Juli 1932 stellte er sich mit Gleichgesinnten den Nazis entgegen, die in der Ollnstraße, einer kommunistischen Hochburg, Wahlpropaganda betreiben wollten. 14 SS – Männer betätigten sich als Provokateure. Es kam zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung, und die Kommunisten vertrieben die Nazis. Bekannte Kommunisten, unter ihnen Erich Krämer, wurden verhaftet. Nach den vorliegenden Quellen wurde er nicht verurteilt.

Noch vor der Machtübertragung Hindenburgs auf Hitler und die NSDAP gab es Verfolgungen von Antifaschisten. In den Akten des Elmshorner Stadtarchivs ist dokumentiert, dass die Polizei bereits 1923 Listen erstellte, auf denen alle in Elmshorn bekannten Kommunisten mit Namen und Wohnsitz erfasst waren. Das ermöglichte den Nazis nach dem 30. Januar 1933 in einer gezielten Blitzaktion viele Gegner zu verhaften und dann zu foltern oder zu ermorden.

Kulturvereine, Sportvereine, Orchester wie die Schalmeienkapelle Elmshorn wurden verboten, ihres Eigentums beraubt, ihre Mitglieder verfolgt.

Die EN vom 27.3.1933 teilen mit: „Die Instrumente der kommunistischen Schalmeienkapelle beschlagnahmt.“ Es ist zu vermuten, dass auch Erich Krämer zu denen gehörte, über die es in dem Bericht heißt: „Die Elmshorner Polizei fuhr heute Nachmittag mit mit mehreren Autos zu den Mitgliedern der kommunistischen Schalmeienkapelle, um ihre Instrumente zu beschlagnahmen.“

Ende 1934 begannen, ausgehend von Vorwürfen, die von der Hamburger Gestapo gegen Kommunisten erhoben wurden, Massenverhaftungen auch im Kreis Pinneberg und besonders in Elmshorn „wegen Vorbereitung zum Hochverrat resp. sonstiger polit. Umtriebe“ (Verwaltungsbericht der Elmshorner Exekutiv – Polizei vom 1. Juli 1935).

Angeklagt waren in dem Prozess „Offenborn und Genossen“ 286 Personen aus dem Kreis Pinneberg. Einige wenige wurden freigesprochen, zwei Verfahren wurden eingestellt. Insgesamt wurden Strafen von 661 Jahren und 9 Monaten Zuchthaus und 40 Jahre und 3 Monate Gefängnis für 261 Angeklagte verhängt. Unter den Verurteilten waren 17 Frauen. Alle mussten die Strafe oft auch in Konzentrationslagern verbringen. Sie wurden gefoltert, erniedrigt oder wie der KPD Reichstagsabgeordnete Reinhold Jürgensen erschlagen.

Am 3. April 1936 war in den EN unter der Überschrift „Weitere Teilurteile im Elmshorner Kommunistenprozess“ zu lesen, dass auch Erich Krämer zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Angeklagt war er wegen „Vorbereitung einer hochverräterischen Unternehmens“.

Die hohe Zahl der Angeklagten zeigt auch, wie organisiert und wirkungsvoll dieser antifaschistische Widerstand war. Im Buch „Die Freiheit lebt“ (Fritz Bringmann und Herbert Diercks) sind viele Formen dieses Kampfes dokumentiert.

Erich Krämer gehörte zu jenen, die zwischen 1937 und 1939 unter strengen Auflagen z.B. der Meldepflicht aus KZs und Zuchthäusern entlassen wurden.

Stationen seines Martyriums waren die Konzentrationslager Fuhlsbüttel und Esterwegen und das Zuchthaus Rendsburg.
Laut Zeugnis seines Sohnes wurde Erich Krämer erneut verhaftet, weil er sich von dem menschenverachtenden Wirken der SS öffentlich distanzierte. Ein Sondergericht verurteilte ihn am 18. März 1942 nach dem „Heimtückegesetz“ zu 10 Monaten Gefängnis in der Haftanstalt Neumünster. Von dort wurde er als sogenannter Schutzhäftling unter der Nummer 0439 13 in das KZ Sachsenhausen gebracht. Er musste im berüchtigten „Sonderkommando Klinkerwerk“ Sklavenarbeit leisten.

Am 16.7.1942 war sein Leidensweg beendet, der Elmshorner Widerstandskämpfer wurde ermordet.

Sein Andenken mit einem Stolperstein wach zu halten ist eine Verpflichtung:
Auch heute muss jederzeit antifaschistischer Widerstand gelebt werden!

 

Pate für den Stolperstein für Erich Krämer ist die Gruppe der DKP Elmshorn

Inschrift:

HIER WOHNTE

ERICH KRÄMER

JG. 1900

IM WIDERSTAND

MEHRMALS VERHAFTET
ZULETZT 1942

SACHSENHAUSEN

ERMORDET 16.7.1942

 

Literatur: Bringmann, Fritz; Diercks, Herbert: Die Freiheit lebt. Antifaschistischer Widerstand und Naziterror in Elmshorn und Umgebung 1933-1945. Frankfurt/.M 1983
Rasmussen, Alfred: Elmshorner Arbeiter und Arbeiterinnen im politischen Widerstand 1914-1935. Beiträge zur Elmshorner Geschichte. Elmshorn 2011

 

H. Der Bombenangriff auf Elmshorn am 3. August 1943 und seine Vorgeschichte

Bombenangriff der Allierten am 3. August 1943 Königstraße/Ecke Holstenstraße 

Zur Vorgeschichte des alliierten Luftkrieges gegen Deutschland

An dieser Stelle, mit Blick auf die heutige Fußgängerzone Königstraße und unter  dem Eindruck eines Bilddokumentes von Per Koopmann (1), das diese Aussicht nach dem 3. August 1943 zeigt, folgende Anmerkungen: „Dieser Krieg auch aus der Luft, hatte lange vor dem 3. August 1943 begonnen: Mit dem Angriff der deutschen Luftwaffe. Der Legion Condor, zur Unterstützung des faschistischen Caudillo Francisco Franco auf das baskische Städtchen Guernica am 26. April 1937 – 586 Tote und Tausend Verletzte. Gefolgt nach Kriegsausbruch von der Zerstörung Warschaus im September 1939, Rotterdams, Londons, Coventrys und Belgrads 1940/41 – Totenziffern mit fünf Nullen.“ Ralph Giordano (2)

Oft wird die Behauptung hervor gebracht, die britische Royal Air Force habe mit der Bombardierung deutscher Städte ins Reich zurückgetragen, was die Wehrmacht den Menschen der von ihr überfallenen Länder angetan habe. Das ist falsch und lenkt von der nicht nur allgemeinen, sondern ganz konkreten Verantwortung des Faschismus für das Verbrechen des Krieges und eben auch für die Leiden der Zivilbevölkerung in Deutschland ab. Zum ersten war der Angriff auf Großbritannien ein Akt der Aggression, Teil der gewaltsamen Neuordnung Europas unter Vorherrschaft Hitlerdeutschlands, der Krieg der Anti-Hitlerkoalition in Deutschland dagegen Mittel der Gegenwehr und der Beseitigung der anhaltenden Kriegsursache. Zum anderen erfolgte noch eine Bombardierung britischer Städte in den letzten Kriegsmonaten unter blindwütigem Einsatz der so genannten V-Waffe, auch als sich abzeichnete, dass die deutsche Luftwaffe die britische RAF nicht würde ausschalten können.

Ein wesentliches Moment für die weitere Kriegsführung Großbritanniens und dann der Alliierten war, dass der Luftkrieg mit dem Scheitern der deutschen Luftaggression gegen die Insel nicht beendet war, nicht beendet werden konnte. Hätte Großbritannien nicht alle Anstrengungen unternommen, die Front im Luftkrieg auf den Kontinent und nach Deutschland zu verschieben, wäre es der Luftaggression mit allen furchtbaren Folgen für die Bevölkerung ausgesetzt geblieben. (3)

 Die militärische Lage 1943

Die militärische Niederlage Deutschlands dagegen zeichnete sich spätestens 1943 deutlich ab. Im Osten hatte die Rote Armee die Gegenoffensive (Kapitulation der sechsten Armee in Stalingrad am 31.1.43) und damit die erste entscheidende Wende eingeleitet. Wenige Monate später, am 12. Mai, kapitulierte das deutsche Afrika-Korps, zwei Monate später führten die Alliierten in Nordafrika die Landung in Sizilien durch, die zum Sturz Mussolinis und im September zur Kapitulation Italiens führte. Ebenfalls im Mai trat mit dem faktischen Zusammenbruch des bis dahin für die Alliierten äußerst verlustreichen und gefährlichen deutschen U-Bootkrieges die Wende auf dem Atlantik ein. In diese Phase fällt auch das Bilddokument vom Bombenangriff in Königstraße/Ecke Holstenstraße.

Rüstungsproduktion in der Innenstadt

In Elmshorn gab es mit der Kremer-Werft  ein eigens für die Rüstungsproduktion erweiterten Betrieb im Stadtinnern. Die Werft erzeugte Spezialfahrzeuge für Heer, Luftwaffe und Marine. Torpedobergungsschiffe, Landungsboote, und Tankschiffe wurden in Serie gebaut. Die im Stadtarchiv vorliegenden Baulisten weisen etwa 100 Nummern Kriegsproduktion nach. Hinzu kamen zahlreiche Aufträge für andere Rüstungsgüter wie Kabeltrommeln, Pontons, Versorgungsanlagen und Ausrüstungsgegenstände für U-Boote. (4)

 

Kriegsziel der Alliierten: bedingungslose Kapitulation

In der Endphase des Krieges fand sich in den Kerngebieten des Reiches eine Militärmacht zusammengedrängt, wie die Welt sie noch nie erlebt hatte. Diese zur Niederlage verurteilten Kräfte waren gleichwohl bis zuletzt außerordentlich gefährlich. Das Verbrechen der faschistischen Führung nicht zu kapitulieren, als die Niederlage längst feststand, hat Millionen Menschen das Leben gekostet.

Die faschistische Herrschaft hatte durch ihre Vernichtungspolitik im Innern und ihrer Okkupationspolitik eine staatliche Identität geschaffen, die als Verhandlungspartner nicht anzuerkennen war. Jede andere Lösung als die bedingungslose Kapitulation hätte bis zu einem gewissen Grade die Anerkennung der faschistischen Verbrechen bedeutet. An der Berechtigung des Kriegsziels der bedingungslosen Kapitulation durch die Alliierten kann daher unter keinem Gesichtspunkt gezweifelt werden.

 

„Verlust der humanen Orientierung“

Ralph Giordano hat 1987 gegen die Verdrängung und Leugnung dieser geschichtlichen Tatsachen die Wirkungsweise „kollektiver Affekte“ angeführt. Einer davon ist das Aufrechnen deutscher Opfer durch den alliierten Luftkrieg, und darunter besonders die Dresdens. 

„Die Zweifler an der Mordbilanz der „Endlösung“ nennen im Zusammenhang mit dem Untergang Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 Zahlen zwischen 120000 und 200000 Getöteten, während eine amtliche Liste 35000 aufführt.“ (Das gipfelte jüngst in der Hetze vom „alliierten Bombenholocaust“ der NPD im sächsischen Landtag, d.Verf.) „Was immer an dem einen oder anderen stimmen mag oder nicht – ein Bevölkerungsteil, der sich gegenüber den NS-Verbrechen vollkommen versteinert gibt und deren Ziffern nicht weit genug herunterspielen kann, ganze Generationen, deren Lebensgefühl auf der Verniedlichung, der Bagatellisierung, ja der Leugnung von NS-Opfern überhaupt basiert – sie werden plötzlich fuchsteufelswild, wenn sie meinen, dass die Zahlen deutscher Opfer zu tief angesetzt werden.“ (5)

 

Ein Zwangsarbeiter erinnert sich

Der Zwangsarbeiter Jonas Mekas, von Litauen nach Elmshorn verschleppt, ging nach Kriegsende in die USA, wurde dort ein berühmter Schauspieler, veröffentlichte 1991 sein Tagebuch. Er schreibt über den 23. August 1944: „Everybody´s waiting for the end of the war. The British are already this side of Paris. French prisoners cannot hide their joy. Some of the germans in our factory cannot hide their joy either. In our factory only the owner believes in victory”.

August 27, 1944: “Air raid. “Tommys will be over Elmshorn any second. The factory vibrates with sound of sirens. The sound is frightful, all pervasive. But the workers, that is, slaves, greet air raids with joy. Air raids mean one hour of rest. The factory stops, we run into the shelters. That is, someone of us. Others are simply lying outside, on the grass sleeping. The bombs fall on other parts of the town, they don´t budge. Still others are sitting on steel pipes, talking, in the international jargon´s. half of the words are curse words. The siren keeps wailing.

Ten minutes. Five minutes. Five minutes means that the bombers are flowing over our heads, five minutes air time to Hamburg.

The white bellies of the bombers shine in the sun. Very  very beautiful. Four minutes. A few bombs explode on Elmshorn. Three minutes. Two. Now from the Hamburg side begins to come a loud thundering. One can hear the german´s gateway to the world falling down. Another and another wave bombers move across the sky. One hour. Two hours. Three. The thundering continues. Then, suddenly – complete silence. Only a cloud of smoke covers the city.” (6)

 Autor: Rudi Arendt, 5.5.2005

(1) Per Koopmann: „Zerstörung, Kriegsende, Neuanfang – Bild-Dokumente ohne viel Worte“, in „Beiträge zur Elmshorner Geschichte“ Bd. 17, Seite 33; (2) Ralph Giordano, Einführung in „Beiträge zur Elmshorner Geschichte“, Bd. 17, Seite 4; (3) „Der zweite Weltkrieg“, Klaus Maier „Die Luftschlacht über England“, S. 523 ff; (4) Ralf Sluzalek „Gewerkschaftsgeschichte Elmshorn und nähere Umgebung“, S. 231; (5) Ralph Giordano „Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher zu sein, S. 32; (6) Jonas Mekas „I had nowhere to go“ S. 25/26