Heinrich K.W. Prüß – NS Opfer – verhaftet Helgoland 8.10.1943, hingerichtet 14.8.1944 Brandenburg (Havel)

Stolperstein Heinrich K.W. Prühs, NS Opfer, Helgoland, unterer Steanacker, Verlegung 17.4.2010 (Foto M. Richters)
14. August 1944
Helgoland
Heinrich K.W. Prüß auf Helgoland

Heinrich K.W. Prüß auf Helgoland

1 Mai 1935, Prüß führt Friseursparte     Umzug 1. Mai 1935, Helgoland, Prüß führt die  Friseursparte

 

 

Heinrich Prüß‘ Frisiersalon lag in zentraler Lage in   der Emsmannstraße auf dem Helgoländer Oberland, dort wo heute die Apotheke ist.   Hein war ein geselliger Mann und lachte gern. Das sah man schon an seinen verschmitzten Augen.  Oft stand er vor der Tür seines Salons und schnackte mit vorbeigehenden Helgoländern.  Manchmal rief er ihnen auch zu: „Heil Moskau“. Oder er erzählte politische Witze. Dafür war er auf Helgoland bekannt.

Wenn im Damensalon viel zu tun war, und die Kundinnen ungeduldig wurden, unterhielt Heinrich sie manchmal  mit seinen politischen Witzen.  Gefährliche Witze in den  Jahren des Nationalsozialismus.  Beim Haare schneiden erklärte er dem späteren Anführer der Helgoländer Widerstandsgruppe, Georg Braun: „Wir werden den Krieg verlieren, wir könnten eigentlich jetzt schon aufhören“.  Georg Braun war natürlich nicht der Einzige, dem Prüß das sagte.

Er war schon mehrmals offiziell gewarnt worden, und Familie Prüß hatte auch schon bemerkt, dass sie beobachtet wurde. Abends harkten sie manchmal die Beete vor dem Haus, um am nächsten Morgen ganz klar Fußstapfen von einem oder mehreren Männern darauf zu erkennen.

Aber Hein Prüß ließ sich nicht einschüchtern.  Sein homosexueller Geselle ‚Sunny Boy’ war jahrelang bei ihm angestellt, seine Töchter Catharina und Margot betrachteten ihn als Mitglied der Familie, bis man ihn 1938/39 während der großen Homosexuellen Prozesse auf Helgoland zusammen mit 26 anderen wegen Homosexualität anklagte und zu einer Gefängnisstrafe verurteilte.

In den letzten Kriegsjahren heulten die Sirenen fast täglich, manchmal auch mehrere Male am Tag oder durch die Nacht, um vor Bombengeschwadern zu warnen, die Richtung Helgoland flogen.  Manchmal warfen sie ihre Bomben ab, manchmal nicht.  Auf jeden Fall rannte die gesamte Helgoländer Bevölkerung bei Alarm in die zivilen Bunkeranlagen.

Auch am 8. Oktober 1943 heulen die Sirenen und alle begeben sich in den Schutz der Bunker. Familie Prüß geht, wie gewohnt,  zu ihren Plätzen. Da waren Haken an den Wänden angebracht worden, damit sie ihre Kleidung aufhängen konnten, und unter den Bänken konnten sie weitere Sachen lagern.

Alle hoffen, dass die Bomber der Alliierten an der Insel vorbeifliegen.  ‚Kommen wir hier wieder raus heute, wie lange müssen wir hier ausharren, werden wir lebendig begraben?’  Die Sirene gibt Entwarnung. Sie haben wieder mal Glück gehabt, keine Bomben.  Man kann wieder nach Hause gehen und ein halbwegs normales Leben führen, bis zum nächsten Heulen der Sirenen, und zum nächsten Rennen in die Bunker.

Heinrich Prüß, seine Frau Stina, seine Töchter Catharina und Margot kommen gerade zu Hause an, als zwei uniformierte Männer der GESTAPO im Salon erscheinen, um Heinrich zu verhaften.  Sie waren extra dafür aus Pinneberg gekommen. Keiner weiß genau warum, aber man nimmt an, dass es wegen der politischen Witze ist.  Heinrich war ja schon mal von der GESTAPO gewarnt worden.

Die Familie ist in Aufruhr. Stina Prüß fragt die Beamten nach den Gründen der Verhaftung, bekommt aber keine Auskunft.  Verwirrt und wütend springt die 19-jährige Tochter auf die Männer zu und schreit sie an, sie sollten ihren Vater in Ruhe lassen. Die Beamten bleiben ungerührt:  „Wenn Sie jetzt nicht ruhig sind, nehmen wir Sie auch noch mit“.  Das sitzt, Margot hält sich zurück.

Heinrich Prüß wird verhaftet und nach Kiel gebracht.

Verzweifelt nimmt sich seine Frau einen Anwalt, um ihren Mann wieder frei zu bekommen, aber er kann auch nicht viel erreichen.  Selbst seine Frau und seine Töchter dürfen Heinrich Prüß nicht besuchen.  Sie werden ihn nach seiner Verhaftung nie wieder sehen.

Seit der Vater nicht mehr da ist, muss Familie Prüß den Herrensalon schließen, den Damensalon führen sie  mit der Hilfe eines Angestellten weiter.   Die Atmosphäre im Salon ist nicht mehr so ungezwungen wie früher: Sie wissen nicht, wem sie trauen können, ob sie noch weiter verfolgt und auch verhaftet werden, und so spricht selten jemand im Salon über Heinrich.  Stina schärft Margot immer wieder ein, sich zurückzuhalten.  Alle haben Angst.

Privat bleiben die Frauen hauptsächlich unter sich. Ihre ehemaligen Freunde haben auch Angst, verhaftet zu werden, wenn sie noch weiter mit ihnen verkehren.

Heinrich Prüß wird nach Berlin überführt und dort vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Am 14. August 1944 um 11 Uhr 36 Minuten wird er in Brandenburg (Havel), Winterfeldallee 22, erschossen.

Zuerst hatte die Familie nicht gewusst wer Heinrich überhaupt angezeigt hatte, aber im Laufe der Zeit sickert es dann doch durch:   Ein Helgoländer, der auch schon andere denunziert haben soll.

Am frühen Morgen des 20. April 1945  werden Stina Prüß und ihre Töchter zusammen mit einem großen Teil der Helgoländer Bevölkerung aus den Bunkern geführt.   Die Mutter ist herzkrank und sehr schwach,  Catharina und Margot tragen ihre wenigen Habseligkeiten.  Durch das brennende Unterland gelangen sie auf hastig gelegten Holzstegen zum Südhafen, wo die Schiffe liegen, die sie aufs Festland bringen werden.

Die kleine Helgoländer Bevölkerung wird auf über 150 Dörfer in Schleswig Holstein verteilt. Familie Prüß landet in Neudendeich bei Ütersen. Nach ihrer Ankunft werden sie dort zusammen mit ca. 20 anderen Helgoländern zuerst in der Schule einquartiert.  Das erste, was Stina Prüß beim Betreten der Schule voller Zorn und Verzweiflung macht, ist das dort hängende Bild Adolf Hitler’s von der Wand zu schlagen und zu zertrümmern.  Alle stehen wie erstarrt.  Selbst in diesen letzten Kriegstagen war es noch eine sehr gewagte Aktion.

In ihrem Notquartier in Neuendeich sehnt sich Stina Prüß  nach dem Meer, und so machen sich ihre beiden Töchter auf den Weg nach Cuxhaven um die Lage auszukundschaften.  Therese Friedrichs, die Witwe des vor kurzem hingerichteten Helgoländer Widerständlers, Erich Friedrichs, begleitet sie.    Dort besuchen sie auch die Familie des ebenfalls hingerichteten Widerständlers Georg Braun.

Lange Jahre der Evakuierung folgen, die Familie Prüß hauptsächlich in Cuxhaven verbringt, bis die Helgoländer ihre Heimat endlich wieder aufbauen können. Auch Stina Prüß und ihre Töchter kehren nach Helgoland zurück.  Bis zu ihrem Tod 1963 leidet Stina unter den Umständen des Todes ihres Mannes.  Wäre er bei einem Angriff oder als Soldat umgekommen, hätte sie es eher verkraften können, aber über dieses Ende von Heinrich kam sie nie drüber weg.

Auch der Helgoländer, der Heinrich Prüß angezeigt hatte, lebte wieder auf Helgoland. Es ist schwer, ihm laufend zu begegnen.  Ihm hatten sie den Verlust des Vaters zu verdanken.  Er versucht, Margot zu grüßen, aber sie kuckt in die andere Richtung.  Die Denunzierung mit den dramatischen Folgen für ihre Familie kann sie nicht vergeben.

Heinrich K.W. Prühs, Stolperstein: unterer Steanacker, Helgoland, Verlegung 17.4.2010 (Foto M. Richters)

Zum Gedenken an Heinrich Prüß wurde am 17.April 2010 auf Helgoland in der Nähe seines ehemaligen Friseursalons  am unteren Steanaker ein STOLPERSTEIN verlegt.

 

Autorin des Beitrags, copyright: Astrid Friederichs

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht von Astrid Friederichs am

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