Seeth Ekholt – 8. Mai 1945: ein ungeklärtes Kriegsverbrechen – wer erschoß Jan Moczydlowski?

Todesursache Jan Moczydlowski
Gedenkstätte Kriegsgefangene Elmshorner Friedhof
Letzter Wohnort von Jan Moczydlowski
8. Mai 1945
Dorfstraße 3, Seeth Ekholt

Der 8. Mai 1945 – in Elmshorn ergeht bereits der „Aufruf an die Arbeiter  fremder Nationalität“.

Hier hatten sich in den ersten Tagen der erfolgreichen Selbstbefreiung der Stadt durch den antifaschistischen Gewerkschaftsausschuss die NS-Wachmannschaften der Zwangsarbeiterlager im Ort und der Umgebung auf und davon gemacht. Die ins Deutsche Reich deportierten Menschen verschiedener nationaler Herkunft arbeiteten während des Krieges bei städtischen und anderen öffentlichen Einrichtungen, hatten vor allem aber einen beachtlichen Teil der Arbeitskräfte in „kriegswichtigen“ Betrieben gestellt. Die gegen Kriegsende etwa 2000 zählenden Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter waren zum Teil separiert in Privatquartieren, aber auch in einer Reihe größerer Lager untergebracht, in denen bis zu 350 Personen leben mussten. Unter den kriegsbedingten Versorgungsmängeln hatten die zur Zwangsarbeit Verschleppten besonders zu leiden – ein Zustand, der sich nach der Befreiung in den ersten Maitagen keineswegs änderte, aber zu neuem berechtigtem Unmut Anlass gab. Über die unglaublich materiellen Missstände hinaus war der Mißbrauch der Zwangsarbeiter in der Kriegsproduktion – die sich schließlich gegen ihre eigenen Völker richtete – dazu angetan, nach der Befreiung nachhaltige Unruhen erwarten zu lassen. Einen Tag nach der Ablösung des Elmshorner Bürgermeisters machte sich der Gewerkschaftsausschuß auf den Weg in die größeren Lager, um die Insassen zu beruhigen. Das war durchaus kein ungefährliches Unterfangen, konnten doch Deutsche, die mit dem Anspruch auf Autorität zu ihnen kamen, kaum auf Verständnis der jahrelang gedemütigten Menschen hoffen.  Tatsächlich hatte sich ein Teil der NS-Größen mehr oder wenig freiwillig in die Schutzhaft des Antifaschistischen Ordnungsdienstes „aus schlechtem Gewissen und Angst vor Vergeltung durch misshandelte Zwangsarbeiter“ begeben, wie Betriebsleiter Neunert und der NSDAP-Ortsgruppenleiter Steinicke.[1]

Die Gewerkschafter erreichten, wie es in einer Quelle heißt, „nur durch persönlichen Einsatz und moralische Appelle sowie durch materielle Fürsorgemaßnahmen“ eine allgemeine Beruhigung der Lage. Ein sowjetischer Zwangsarbeiter, ebenfalls mit einer roten Armbinde als „Antifaschist“ kenntlich gemacht, übernahm die Vermittlung. Nikolajewitsch, so sein Name, dürfte somit den Antifaschisten und der gesamten Elmshorner Bevölkerung einen großen Dienst erwiesen haben. Seine Dolmetscher- und Vermittlerdienste sollen großen Anteil daran gehabt haben, dass die Tage nach der Kapitulation relativ ruhig verliefen und größere Plünderungen und Racheakte ausblieben. Als zugkräftiges Argument für die Aufrechterhaltung einer – nunmehr antifaschistisch gewendeten – Ordnung dürfte sich die Nachricht über die von umherziehenden SS-Leuten begangenen Morde an drei Ausländern vom selben Tag erwiesen haben. Diese fahndeten zu diesem Zeitpunkt noch in den Lagern der Zwangsarbeiter nach Arthur Geißler, einem der Hauptakteure der Elmshorner Selbstbefreiung. Dabei wurde den Nazis von russischen Zwangsarbeitern eine Maschinenpistole abgenommen und der Polizei übergeben.[2]

 

Was geschah am 8.Mai in Elmshorns Nachbargemeinde Seeth-Ekholt?

Was die Namen ermordeter Zwangsarbeiter zum Kriegsende betrifft, so gibt ein Verbrechen in Elmshorns Nachbargemeinde Seeth Ekholt Hinweise. Jan Moczydlowski, geboren am 5. Juli 1913 im polnischen Kalisch, wurde demnach am 8.5.1945 in Seeth Eckholt erschossen. (Diese Schreibweise, wie auf dem Dokument, wurde auf einer Gemeinderatssitzung 1952 endgültig in Seeth Ekholt festgelegt) [3] Sein Name, er gilt nach dem Dokument des internationalen „55 Search Bureau“ als verstorbener Angehöriger der Vereinten Nationen, steht heute auf dem gemeinschaftlichen  Grabstein der Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangenen auf dem Elmshorner Friedhof. Die handschriftliche Ergänzung „SG Barmstedt“ auf dem Dokument könnte auf ein vorrübergehendes Steingrab auf dem dortigen Friedhof hindeuten.

Die Suche nach Hinweisen auf den Tathergang ist noch nicht abgeschlossen.  Über einzelne Personen, die im Gebiet der ehemaligen Provinz Schleswig-Holstein während der NS-Zeit als Zwangsarbeiter bzw. so genannte „Ostarbeiter“ eingesetzt waren, kamen mehrere Archivbestände des Landesarchivs in Betracht. Zum einen sind in den Beständen Abt. 761 Sozialministerium und Abt. 352.3 Landgericht und Staatsanwaltschaft Kiel eine große Zahl namentlich geführter Entschädigungsakten und Rückerstattungsakten enthalten. Darüber hinaus hätten die Akten in Strafsachen der schleswig-holsteinischen Staatsanwaltschaften, darunter auch Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (NSG), einschlägig sein können (Bestände Abt. 352, 354). Die Akten in Strafsachen werden bei der archivischen Erschließung grundsätzlich unter Angabe der unmittelbaren Verfahrensbeteiligten und ggf. Geschädigten, des Tatbestandes, der Verfahrenslaufzeit und der Aktenzeichen von Staatsanwaltschaft und Gericht erfasst. Zu Jan Moczydlowski ließen sich jedoch keine einschlägigen Archivalien ermitteln.

Die wenigen Unterlagen der britischen Militärverwaltung in der Nachkriegszeit bilden hier den Archivbestand Abt. 458 Sub Area Intelligence Office verwahrten Archivalien, hauptsächlich Akten über Ermittlungen und Verhaftungen von einzelnen Personen in der Gegend um Lübeck, die im Zuge des „Automatic Arrest“ inhaftiert wurden. Auch in diesem Archivbestand konnte zu Jan Moczydlowski keine einschlägigen Archivalien ermittelt werden. Hinsichtlich einer Strafsache der britischen Militärverwaltung steht noch eine Anfrage an das National Archive in London aus. Auch die Archive des Kreises Pinneberg und der Stadt Elmshorn konnten keine weiteren Dokumente zu Jan Moczydlowski finden.[4]

Es bleibt bis zum heutigen Tage ein ungeklärtes Kriegsverbrechen. Sein letzter Wohnort soll Klein Nordende gewesen sein.[5] Jan Moczydlowski kam am 29.9.1941 als Kriegsgefangenener nach Pinneberg und zwangsarbeitete im Kirchhofsweg 11 bei Beller. Zwischenzeitlich wurde er Ende 1941 nach Elmshorn in das Lager Ramskamp überstellt.[6]

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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