Ka­tha­ri­na Krö­ger, geb. Jürgs (1878-1941) – Op­fer der sog. „Eu­tha­na­sie“

Catharina Jürgs vor 1900 (Foto: Familienbesitz)
Grabstein der Familie Jürgs auf dem (Neuen) Friedhof in Uetersen (Foto: E. Vogt 2015)
Beerdigungsregister der Kgm Uetersen (Land) Nr. 59/1941
Stolperstein Katharina Kröger, geb. Jürgs bei der Verlegung am 15.02.2019 (Foto: E. Vogt)
9. Juli 1941
Ka­tha­ri­nen­stra­ße 8, Ue­ter­sen

Einleitung

Bei Durch­sicht der bei­den Be­er­di­gungs­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen nach dem Stan­des­amt Bern­burg bzw. Bern­burg II hat d. Verf. im Ja­nu­ar 2015 ins­ge­samt sechs Ster­be­ein­trä­ge im Jahr 1941 ge­fun­den[1]. Die­ses Stan­des­amt ist ein Hin­weis auf ein sog. „Eu­tha­na­sie“-Op­fer. Ei­nes der Op­fer ist Ka­tha­ri­na Krö­ger, geb. Jürgs.

Durch die Zu­stim­mung der Fa­mi­lie war es mög­lich, eine Ko­pie der Pa­ti­en­ten­ak­te im Bun­des­ar­chiv zu er­hal­ten. Be­son­de­rer Dank ge­bührt des­halb Herrn Diet­mar Jürgs in Nid­da­tal und Frau Brit­ta Jürgs in Ber­lin.

Die frühen Jahre

Catharina Jürgs wird am 09.10.1878 in Holm als ehe­li­che Toch­ter von Di­ede­rich Jürgs und Ja­co­bi­ne, geb. Hauschildt, ge­bo­ren. In ih­rem Ge­burts­ein­trag wird der Va­ter als „Zie­ge­lei­be­sit­zer“ in Holm be­zeich­net[2]. Sie hat ins­ge­samt neun Ge­schwis­ter. Zwi­schen 1878 und 1882 hat die Fa­mi­lie auf je­den Fall in Holm ge­wohnt[3]. 1885 lebt die Fa­mi­lie wie­der in Neu­endeich; der Va­ter wird im Tauf­ein­trag des Soh­nes Ja­cob als „Land­mann“, ein Jahr spä­ter beim Tauf­ein­trag des Soh­nes Di­ede­rich als „Hof­be­sit­zer“ be­zeich­net[4].

Ca­tha­ri­na hat ver­mut­lich die Volks­schu­le in Neu­endeich oder Kle­vendeich be­sucht. Pal­ma­rum 1893 wur­de sie in Ue­ter­sen kon­fir­miert. Über ih­ren wei­te­ren Wer­de­gang ist nichts be­kannt.

Die kurzen Ehejahre und die Jahre danach

Catharina Jürgs hat am 26.03.1904 in Ue­ter­sen den Auf­se­her Jo­hann Hin­rich Krö­ger ge­hei­ra­tet. Er wur­de am 24.01.1869 in Elms­horn als Sohn des Zim­mer­manns Claus Krö­ger und der Ca­tha­ri­na geb. Mohr­diek ge­bo­ren. Zum Zeit­punkt der Hei­rat wohn­te er in Al­to­na, Gro­ße Gärt­ner­stra­ße 47[5]. Ob die­se Adres­se auch die Mel­deadres­se der Ehe­leu­te war, ist nicht be­kannt. Sie ha­ben auch kirch­lich ge­hei­ra­tet, und zwar wur­den sie in der Klos­ter­kir­che mit Or­gel­be­glei­tung ge­traut[6]. Ihr Va­ter wird im Hei­rats­ein­trag als „Koh­len­händ­ler“ in Ue­ter­sen be­zeich­net. Bei ihr wur­de vom Stan­des­be­am­ten „ohne Ge­wer­be“ no­tiert; das heißt, sie war zum Zeit­punkt der Ehe­schlie­ßung nicht be­rufs­tä­tig.

Die Ehe wur­de be­reits am 23.07.1908 durch rechts­kräf­ti­ges Ur­teil des Land­ge­richts Ham­burg ge­schie­den.[7]

Am 19.11.1910 stirbt ihre Mut­ter Ja­co­bi­ne Jürgs, geb. Hauschildt, im Al­ter von 59 Jah­ren und wird am 23.11. auf dem Neu­en Fried­hof in Ue­ter­sen bei­ge­setzt (Fa­mi­li­en­grab „Ni­sche 9“)[8].

Am 06.04.1913 ist ihre le­di­ge Schwes­ter Ja­co­bi­ne im Al­ter von 30 Jah­ren „in der Pro­vin­zi­al-Ir­ren­an­stalt zu Schles­wig ge­stor­ben“[9]; sie wird am 10.04. im Fa­mi­li­en­grab bei­ge­setzt.

Wann die Mel­de­kar­te von Ka­tha­ri­na Krö­ger, geb. Jürgs, im Rat­haus an­ge­legt wur­de, ist nicht er­kenn­bar. Sie wohnt bis 1921 eben­falls in der „Ka­tha­ri­nen­str. 8“ beim Va­ter. Laut Mel­de­kar­te wird sie als „Haus­häl­te­rin“ be­zeich­net. Von 1921 bis 1931 hat sie of­fi­zi­ell in der Par­al­lel­stra­ße = (spä­te­re) Meß­torf­str. 29 bei Stof­fer ge­wohnt. Ab 1931 wohnt sie wie­der in der Ka­tha­ri­nen­stra­ße 8[10].

Die langen Jahre der Krankheit

Es ist nicht be­kannt, ab wann Katharina Kröger, geb. Jürgs, er­krankt ist bzw. wel­che Er­eig­nis­se die Krank­heit aus­ge­löst und/​oder ver­stärkt ha­ben. Be­kannt ist, dass sie be­reits vom 14.03.1923 bis 09.06.1923 in der Uni­ver­si­täts-Ner­ven­kli­nik in Kiel und an­schlie­ßend in der Lan­des-Heil- und Pfle­ge­an­stalt in Neu­stadt un­ter­ge­bracht war, wo sie am 21. Juli 1924 je­doch ent­wich.[11] Ihr Auf­ent­halt war dann zu­nächst nicht aus­fin­dig zu ma­chen. Der Vor­mund[12] hat­te sie bei ei­ner ver­wand­ten Bau­ern­fa­mi­lie un­ter­ge­bracht und ver­wei­ger­te nä­he­re Aus­kunft. – Vormund als Beschützer!

Wei­te­re ak­ten­kun­di­ge Auf­fäl­lig­kei­ten gab es lt. der Akte der Po­li­zei­ver­wal­tung Ue­ter­sen ab Som­mer 1927. In der Öffent­lich­keit fiel sie u.a. durch Ver­schro­ben­heit auf[13].

Am 16.12.1930 wur­de sie vom Kreis­arzt un­ter­sucht mit dem Schluss, dass sie 1) an Hys­te­rie lei­det, 2) Ge­mein­ge­fähr­lich­keit nicht vor­liegt und 3) die Un­ter­brin­gung in eine An­stalt für Geis­tes­kran­ke auch aus an­de­ren Grün­den nicht vor­liegt.[14]

Am 30.10.1932 stirbt ihr Va­ter, der Rent­ner Di­ed­rich Jürgs im Al­ter von 84 Jah­ren; er wird am 02.11. im Fa­mi­li­en­grab auf dem Neu­en Fried­hof bei­ge­setzt[15]. – Vater als Beschützer!

Am 22.08.1934 wur­de Ka­tha­ri­na Krö­ger er­neut in Neu­stadt auf­ge­nom­men; die Krank­heits­form wird mit Schi­zo­phre­nie und ei­nem „?“ an­ge­ge­ben. Grund­la­ge der Ein­wei­sung war eine Ver­fü­gung des Bür­ger­meis­ters der Stadt Ue­ter­sen als Orts­po­li­zei­be­hör­de vom 20.08.1934, in der sie jetzt für ge­mein­ge­fähr­lich er­klärt wird. Als Be­ruf wird „Rent­ne­rin“ an­ge­ge­ben. – Mit dem Regimewechsel ändert sich die Beurteilung der Gemeingefährlichkeit! – Sie hat keine Beschützer mehr!

Am 21.05.1935 wur­de sie aus der An­stalt „ge­bes­sert“ ent­las­sen.[16]

Seit dem 08.03.1937 be­fin­det sich Ka­tha­ri­na Krö­ger wie­der in Neu­stadt. Mit Da­tum vom 20.10.1937 wird sie vom Amts­ge­richt Ue­ter­sen ent­mün­digt. Als letz­ter Vor­mund wird In­ge­nieur Kurt Pent­zi­en aus der So­phi­enstr. 4 in der Pa­ti­en­ten­ak­te ge­nannt[17].

Am 13.06.1941 wird Ka­tha­ri­na Krö­ger aus Neu­stadt „in eine an­de­re An­stalt ver­legt“, am Tag dar­auf wie­der auf­ge­nom­men und am 09.07.1941 er­neut „in eine an­de­re An­stalt ver­legt“[18]. Das ist der An­kunfts­tag in Bern­burg/​Saa­le. Dort be­fand sich eine der Tö­tungs­an­stal­ten des NS-Re­gimes für psy­chisch kran­ke, geis­tig und kör­per­lich be­hin­der­te Men­schen[19].

Ka­tha­ri­na Krö­ger wur­de noch am An­kunfts­tag ge­tö­tet[20]. „Of­fi­zi­ell“ ist sie am 21.07.1941 ge­stor­ben[21]. Die Bei­set­zung der Urne fand lt. Be­er­di­gungs­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de am 12.09.1941 auf dem Neu­en Fried­hof in Ue­ter­sen mit ei­ner „Rede am Gra­be“ statt, lt. Chro­no­lo­gie der Fried­hofs­ver­wal­tung je­doch eine Wo­che frü­her[22]. Das Fa­mi­li­en­grab exis­tiert noch auf dem Fried­hof.

Schlussbetrachtung

Ka­tha­ri­na Krö­ger, geb. Jürgs, hat über vie­le Jah­re Be­schüt­zer ge­habt. 1924 war es der Vor­mund, der sie ver­steck­te. Sie hat ih­rem Va­ter den Haus­halt ge­führt. Mit sei­nem Tod 1932 ent­fiel auch die­ser Schutz. Die Macht­über­nah­me der Na­zis hat Aus­wir­kun­gen auch auf der lo­ka­len Ebe­ne. Die Be­ur­tei­lung der Ge­mein­ge­fähr­lich­keit än­dert sich mit der Fol­ge, dass Ka­tha­ri­na Krö­ger 1934 in eine ge­schlos­se­ne An­stalt muss. Aus der An­stalt wird sie 1935 noch ein­mal als „ge­bes­sert“ ent­las­sen, je­doch ab 1937 bis zu ih­rem ge­walt­sa­men Tod 1941 ist sie Pa­ti­en­tin ei­ner ge­schlos­se­nen An­stalt.

Der Stolperstein

Am 15.02.2019 wur­de für Ka­tha­ri­na Krö­ger in der Ka­tha­ri­nen­stra­ße 8 ein Stol­per­stein ver­legt. Er trägt die In­schrift:

HIER WOHN­TE

KA­THA­RI­NA KRÖGER

GEB. JÜRGS

JG. 1878

EIN­GE­WIE­SEN 1937

HEIL­AN­STALT NEU­STADT

„VER­LEGT“ 9.7.1941

BERN­BURG

ER­MOR­DET 9.7.1941

„AK­TI­ON T4“

 

Die Pa­ten­schaft für die­sen Stein hat Dr. Sön­ke Zan­kel, Ham­burg, über­nom­men.

Weiterführende Beiträge

  • J. Penning: Spur „Magda Janzen – Opfer der ‚Euthanasie‘“, auf: https://www.spurensuche-kreis-pinneberg.de/
  • W. Hayatie: Von der NS-„Euthanasie“ zum Facharzt in Uetersen: der Mediziner Dr. Kurt Borm, in: S. Zankel (Hg.), Uetersen und die Nationalsozialisten – Von Weimar bis in die Bundesrepublik …, Kiel 2010, S. 97 ff.

 

Erhard Vogt, Febr. 2019

 

[1] Die­sen Hin­weis hat d. Verf. dan­kens­wer­ter­wei­se von Jörg Pen­ning beim Work­shop des För­der­ver­eins Spu­ren­su­che am 17.01.2015 er­hal­ten. Ohne die­sen Hin­weis hät­te es die­se Re­cher­che nicht ge­ben kön­nen.

[2] Holm wur­de da­mals „Hollm“ ge­schrie­ben. Vgl. Ge­burts­ein­trag des Stan­des­am­tes Schul­au/​Spit­zer­dorf Nr. 51/​1878. Lt. OFB We­del ist ihr Ge­burts­ort „Hol­mer Berg“; die­ser Ort könn­te auf dem Tauf­ein­trag der Kir­chen­ge­mein­de We­del ba­sie­ren.

[3] 1878, 1880 und 1882 sind drei Ge­bur­ten beim Stan­des­amt Schul­au/​Spit­zer­dorf ver­zeich­net. Vgl. Orts­fa­mi­li­en­buch We­del bei >http://www.online-ofb.de/<, Auf­ruf am 12.05.2015.

[4] Vgl. Tauf­ein­trä­ge Nr. 125/​1885 und Nr. 222/​1886 im Ge­burts- und Tauf­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen.

[5] Vgl. Hei­rats­ein­trag Nr. 10/​1904 des Stan­des­am­tes Ue­ter­sen.

[6] Vgl. Trau­ein­trag Nr. 5/​1904 der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen.

[7] Vgl. Rand­no­tiz des Hei­rats­ein­trags Nr. 10/​1904 des Stan­des­am­tes Ue­ter­sen.

[8] Vgl. Ster­be­ein­trag im Be­er­di­gungs­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen (Stadt­be­zirk) Nr. 128/​1910.

[9] Vgl. Ster­be­ein­trag im Be­er­di­gungs­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen (Stadt­be­zirk) Nr. 30/​1913.

[10] Vgl. Mel­de­kar­te Ka­tha­ri­na Krö­ger, geb. Jürgs, im Rat­haus Ue­ter­sen.

[11] Vgl. Pa­ti­en­ten­ak­te im Bun­des­ar­chiv Ber­lin R179-5578.

[12] Ob sie da­mals schon ei­nen Vor­mund hat­te, ist zwei­fel­haft. So steht es je­doch in der Pa­ti­en­ten­ak­te, die Be­zug auf die Akte der Po­li­zei­ver­wal­tung in Ue­ter­sen nimmt. Ent­mün­digt wur­de sie nach Wis­sen d. Verf. erst 1937.

[13] Vgl. Pa­ti­en­ten­ak­te im Bun­des­ar­chiv Ber­lin R179-5578.

[14] Vgl. ebda.

[15] Vgl. Ster­be­ein­trag im Be­er­di­gungs­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen (Stadt­be­zirk) Nr. 45/​1932. Als Amts­hand­lung ist „Par. Haus“ ver­merkt. „Par.“ steht für „Par­en­ta­ti­on“ und be­deu­tet – lt. Du­den – To­ten­fei­er oder Trau­er­re­de; die To­ten­fei­er für ihn fand also zu Hau­se statt.

[16] Vgl. ebda.

[17] Als Vor­mund bzw. Pfle­ger fun­gier­ten da­vor Steu­er­be­ra­ter Carl Voß, Kamp­stra­ße; Rent­ner Ja­cob Jürgs, Deich­str. 26; Bank­an­ge­stell­ter Her­mann Viet­ze, Ka­tha­ri­nen­stra­ße. – Vgl. ebda.

[18] Vgl. ebda.

[19] Zwi­schen Mai und Au­gust 1941 wur­den fünf Trans­por­te mit ca. 700 Pa­ti­en­ten aus den Heil­an­stal­ten Neu­stadt und Schles­wig nach Bern­burg zur Tö­tung „über­führt“ (vgl. Fuß­no­te 15 der Spur „Mag­da Jan­zen“). De­tails der Ak­ti­on „T 4“ wer­den von J. Pen­ning in der Spur „Mag­da Jan­zen“ auf der Web­sei­te „Spu­ren­su­che-Kreis-Pin­ne­berg“ be­schrie­ben. Der Au­tor be­nennt auch Quel­len in den Fuß­no­ten.

[20] Vgl. Mit­tei­lung der Ge­denk­stät­te für die Op­fer der NS-„Eu­tha­na­sie“ Bern­burg vom 08.04.2015.

[21] StA Bern­burg II Nr. 659 vom 21.07.1941, ge­nannt im Be­er­di­gungs­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen (Land­be­zirk) Nr. 59/​1941.

[22] Vgl. Be­er­di­gungs­re­gis­ter der Kir­chen­ge­mein­de Ue­ter­sen (Land­be­zirk) Nr. 59/​1941 – Die Bei­set­zung fand lt. Chro­no­lo­gie der Fried­hofs­ver­wal­tung be­reits am 05.09. statt (be­kannt seit März 2015)

Veröffentlicht von Erhard Vogt am

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