„Gustloffhaus“

Quickborn - Gustloffhaus, Kampstraße / Gustloffstraße, ca. Ende der 1930er Jahre
Quickborn - Gustloffhaus, ca. 1940er Jahre (Foto: R. Schildt)
Querstraße, Quickborn

Das Grundstück an der heutigen Kampstraße, Ecke Querstraße mit dem in der NS-Zeit in „Gustloffhaus“ umbenannten Gebäude hatte eine wechselhafte Geschichte. 1828 ging das Gelände auf dem damaligen Bültenkamp in den Besitz der Gemeinde Quickborn über, die hier, in einer gewissen Distanz zum damaligen Ortskern, für mittellose und erwerbsunfähige Personen ein „Armen-Werk- und Arbeitshaus“ errichtete, das nach einem allmählichen Verfall abgebrochen und 1889 neu errichtet wurde. Die Kommune brachte hier alte Menschen, Kinder und psychisch Erkrankte unter, die, soweit es ging, zur Arbeit angeleitet wurden, um zu ihrem Unterhalt beizutragen. 1906 wurde in dem Gebäude der Betrieb des Werkhauses eingestellt und Wohnungen sowie ein Kinderheim eingerichtet. 1918 kam des Weiteren eine Säuglingsfürsorgestelle hinzu und Anfang der 1930er Jahre ein Obdachlosenheim für Wohlfahrtsempfänger.[1] Mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit im Ort stieg auch die Belegung des in der Bevölkerung als „Werkhaus“ bezeichneten Gebäudes an. Im August 1931 wurden 180 Übernachtungen von obdachlosen Personen gezählt.[2]

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das „Werkhaus“ in ein Arbeitslager des Freiwilligen Arbeitsdienstes umgebaut, der die brachliegenden Moor- und Ödlandflächen der Umgebung entwässern und kultivieren sollte.[3] Durch die Verbesserungen der Böden sollten die Arbeitsdienste Deutschland unabhängiger von Lebensmittelimporten aus dem Ausland machen und durch die Beschäftigung von Erwerbslosen den Arbeitsmarkt entlasten. Über den ideologischen Sinn und Zweck des Arbeitsdienstes vermerkte die Heimatpresse: „Der Arbeitsdienst erzieht zum Sozialismus und somit zu einer einigen und geschlossenen Volksgemeinschaft, die gewillt ist, durch ihrer Hände Arbeit trotz Versailler Friendensdiktat und trotz 14jähriger marxistischer Misswirtschaft wieder emporzuwachsen und lebensfähig zu bleiben. Der Arbeitsdienst soll den Klassengeist ausmerzen, soll den Arbeiter von seinem Minderheitsgefühl befreien und ihm zum Bewußtsein kommen lassen, dass er gleichberechtigt mit den andern am Aufbau des Reiches mitwirken darf.[4] Im November 1933 löste sich der Arbeitsdienst wieder auf, da sich die vorgesehenen Pläne nicht umsetzen ließen. Die Räumlichkeiten des „Werkhauses“ wurden fortan vom Winterhilfsdienst genutzt.[5] Im April 1934 gab es einen neuen, abermals nicht lang andauernden Versuch der Einrichtung eines Arbeitsdienstlagers im Werkhaus. 72 Männer waren von hier aus im Staatsforst Rantzau tätig. Im Mai oder Juni 1934 löste sich auch dieser Arbeitsdienst wieder auf.[6]

Nach dieser Zeit nutzte die Kreis- und Ortsstelle der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) die Räume als Lager.[7] Zusätzlich hatte die Hitlerjugend (HJ) hier einen Raum von der Gemeinde zur Verfügung gestellt bekommen. Ende April oder Anfang Mai 1935 wurde in diesem Raum eingebrochen, was zu heftigen Reaktionen der Presse führte: „Ungebetene Gäste statteten kürzlich, wahrscheinlich zur Nachtzeit, dem Heim der Quickborner Hitlerjugend … einen Besuch ab und ließen deutliche Spuren ihrer niedrigen Gesinnung zurück. Eines Morgens mussten Angehörige der HJ. feststellen, dass die Tür zu ihrem Aufenthaltsraum offen und das Schloß der Tür gewaltsam geöffnet war, also ein Einbruch geschehen war. Als sie den Raum betraten, sahen sie einen wüsten Trümmerhaufen vor sich. Die zurückgelassenen Sachen waren wild durcheinandergeworfen. Schränke waren umgerissen und demoliert.[8] Es ist heute nicht mehr aufzuklären, ob es sich bei diesem Einbruch um eine politisch motivierte Tat gegen die Nazijungendorganisation handelte oder hier tatsächlich nur jugendlicher Vandalismus am Werke war.[9] Vermutlich nach weiteren Umbaumaßnahmen im „Werkhaus“ erhielt die Hitlerjugend neue Räumlichkeiten, die am 25. September 1935 unter Beisein der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen feierlich eingeweiht wurden (siehe Quelle).[10]

1937 wurde das ehemalige „Werkhaus“ erneut, diesmal umfangreicher, umgebaut und erweitert. Neben den Räumlichkeiten der Hitlerjugend entstanden weitere Tagungs-, Aufenthalts- und Unterkunftsräume im Erdgeschoss sowie sechs Wohnungen im Obergeschoss. Nach der Fertigstellung der Baumaßnahme wurde auf Anregung des NSDAP-Ortsgruppenleiters Willi Bendorf das Gebäude nach dem durch ein Attentat ums Leben gekommenen schweizer Landesleiter der NSDAP, Wilhelm Gustloff, in „Gustloffhaus“ umbenannt.[11] Ein Jahr zuvor war ebenfalls die angrenzende Querstraße in „Gustloffstraße“ umbenannt worden.[12] Über die Einweihung des umgebauten Gebäudes berichtete die Lokalpresse: „Zur Einweihung des neuen Gustloff-Hauses hatten sich die Partei mit ihren Gliederungen und zahlreiche Volksgenossen eingefunden. Auf dem schön angelegten und gepflegten Hof vor dem Gustloff-Haus traten in einem Rechteck die Politischen Leiter, SA., HJ., BDM., Jungvolk, Jungmädel und die Freiwillige Feuerwehr mit der Musikkapelle an. Nach der Hissung des Hakenkreuzbanners und der Fahne der Hitler-Jugend hielt Bürgermeister Spilger eine Ansprache, in der er seiner Freude Ausdruck gab über die große Beteiligung bei der Einweihung des neuen Hauses. Nach dem Grundsatz, zuerst die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, sei es der Gemeinde erst in diesem Jahre möglich gewesen, das alte Werkhaus zum jetzigen Gustloff-Haus umzugestalten. (…) Mit dem Wunsch, daß in dem Gustloff-Haus gearbeitet und gekämpft werden möge für Partei und Staat, wie es Wilhelm Gustloff getan hat, überreichte er dem Ortsgruppenleiter den Schlüssel. Ortsgruppenleiter Bendorf wies auf die Schwierigkeiten hin, die überwunden werden mußten, ehe der Bau des Hauses fertig gestellt werden konnte. Im Namen der N.S.D.A.P. dankte er dem Bürgermeister, dem Gemeinderat und allen, die an dem Umbau arbeiteten und zum Gelingen des Werkes hilfreiche Hand leisteten. In kurzem Rückblick ging der Ortsgruppenleiter auf die Geschichte des Quickborner Werkhauses ein. In dem großen Tagungssaal, dem Prunkstück des Gustloff-Hauses, solle jetzt intensiv Arbeit für den Führer und Deutschland geleistet werden. In seinen Schlußworten gedachte er Wilhelm Gustloffs, nach dem das Haus seinen Namen erhalten hat. Dem Kämpfer Gustloff nachzueifern, müsse der Wille jedes Nationalsozialisten sein.[13] Die Hausmeisterwohnung bezog unentgeltlich der Arbeiter Ernst Bendorf,[14] der seit dem 01.08.1932 der NSDAP angehörte[15] und seit Anfang 1936 in der politischen Leitung der NSDAP tätig war.[16] Ein weiterer neuer Bewohner war Julius Stubbe mit seiner Frau Emma.[17] Ihm hatten die Nationalsozialisten wegen seiner politischen Haltung als Kommunist die Wohnung in der Querstraße entzogen und ihn 1933 inhaftiert. Nach der Haftentlassung 1935 kehrte er nach Quickborn zu seiner Frau zurück.[18]

Am 18. September 1939 eröffnete im „Gustloffhaus“ ein Kindergarten der NSV,[19] der Anfang der 1940er Jahre auf das Nachbarsgrundstück in der Kampstraße verzog, nachdem die Gemeinde Quickborn der NSV hier ein Grundstück überlassen hatte.[20] Am 1. Juli 1941 wechselte zudem die Ortsgeschäftsstelle der NSV, die zuvor vier Jahre im Haus Kahle Am Mühlenberg und davor in der Kampstraße, Ecke Heinrich-Lohse-Straße ansässig war, in das Gebäude.[21]

Nach der deutschen Kapitulation und der Auflösung der NSDAP wurde das „Gustloffhaus“ in „Volkshaus“ umbenannt. 1948 nahm es eine Klasse für lernbehinderte Schüler auf. Ein Jahr später kam eine Kindertagesstätte für 20 bis 25 Kinder sowie ein Kinderheim hinzu. Nach einem Hausbrand im Jahr 1964 wurde das einstige „Werkhaus“ abgerissen. An dieser Stelle errichtete die Gemeinde Quickborn anschließend einen Kindergartenneubau.[22]

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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