„… durch Zeit­ab­lauf sei­ne Re­ge­lungs­kraft ver­lo­ren.“ Wie in der Stadt Quick­born eine Platz­be­nen­nung nach ei­nem NS-Op­fer wie­der rück­gän­gig ge­macht wird.

Paul-Warnecke-Platz, Quickborn 2007 (Foto: Jörg Penning)
23. April 1946
Hark­shei­der Weg, Bir­ken­wäld­chen, Quick­born

Im Sep­tem­ber 1945 kün­dig­te die bri­ti­sche Mi­li­tär­re­gie­rung an, be­gin­nend auf der lo­ka­len Ebe­ne po­li­ti­sche Selbst­ver­wal­tungs­struk­tu­ren zu­zu­las­sen und hier­für re­prä­sen­ta­ti­ve Rats­aus­schüs­se in den Ge­mein­den und dann in den Krei­sen ein­zu­set­zen.[1] In der Land­ge­mein­de Quick­born mit ih­ren 7580 Ein­woh­nern[2] wur­den hier­auf am 17. Ok­to­ber 1945 20 Ge­mein­de­rä­te er­nannt, un­ter ih­nen vier Ver­tre­ter der KPD, acht Ver­tre­ter der SPD und acht Ver­tre­ter aus dem bür­ger­li­chen Spek­trum, die sich spä­ter zur CDU zu­sam­men­ge­schlos­sen.[3] The­men der Ge­mein­de­rä­te wa­ren u.a. die Er­näh­rungs- und Wohn­si­tua­ti­on, die Ent­na­zi­fi­zie­rung, die Neu­ge­stal­tung der Selbst­ver­wal­tungs­gre­mi­en und Na­mens­än­de­run­gen im öf­fent­li­chen Raum, die ein neu­es po­li­ti­sches Selbst­ver­ständ­nis zum Aus­druck brin­gen soll­ten. In die­sem Zu­sam­men­hang stand auch der „Horst-Wes­sel-Platz“ [4] zur Um­be­nen­nung an.
Der klei­ne Grün­be­reich ne­ben der Bahn­tras­se der AKN hieß ur­sprüng­lich „Dorotheenpark[5] oder ein­fach „Gemeindeplatz“.[6] In den frü­hen Stun­den des 5. März 1933 wur­de hier der jun­ge Kom­mu­nist Paul War­ne­cke von Na­tio­nal­so­zia­lis­ten er­schos­sen. We­ni­ge Wo­chen nach die­ser Tat be­nann­te die Ge­mein­de­ver­tre­tung das Are­al am 25. April 1933 in „Horst-Wessel-Platz“ und die an­gren­zen­de Quick­born­stra­ße (heu­te Hark­shei­der Weg) in „Adolf-Hitler-Straße“ um.[7] Nach der Ka­pi­tu­la­ti­on stell­te die SPD-Frak­ti­on am 23. April 1946 im Ge­mein­de­rat den An­trag, die­sen Platz in An­leh­nung an das hier um­ge­kom­me­ne NS-Op­fer in „Paul-Warnecke-Platz“ um­zu­be­nen­nen. Ein­stim­mig folg­te der Ge­mein­de­rat dem An­trag – doch um­ge­setzt wur­de er nie. Viel­mehr ge­riet die Plat­zum­be­nen­nung in Ver­ges­sen­heit, so­dass der Grün­be­reich in der Be­völ­ke­rung fort­an als „Birkenwäldchen“ be­kannt wur­de.
68 Jah­re spä­ter ver­wies die ge­schichts­po­li­ti­sche In­itia­ti­ve Selbst­be­wuss­tes Quick­born (ISQ) die Stadt­ver­wal­tung auf die be­schlos­se­ne Um­be­nen­nung hin und bat um de­ren Um­set­zung so­wie um die Auf­stel­lung ei­nes Hin­weis­schil­des, das die Er­mor­dung des Paul War­ne­cke do­ku­men­tie­ren soll­te. Die Stadt­ver­wal­tung mit Bür­ger­meis­ter Tho­mas Köppl (CDU) an der Spit­ze be­für­wor­te­te das Vor­ha­ben, be­hielt sich je­doch vor, auf­grund ei­ner ge­wis­sen Bri­sanz des The­mas nicht vor­schnell eine Be­schil­de­rung an­zu­ord­nen, son­dern von der Rats­ver­samm­lung den Be­schluss von 1946 im Rah­men ei­nes Er­in­ne­rungs­an­trags be­stä­ti­gen zu las­sen. So­dann folg­te am 8. Mai 2014 eine Vor­be­hand­lung im Aus­schuss für Bil­dung, Kul­tur und Frei­zeit, die auch von der ein­zi­gen noch in Quick­born le­ben­den Nich­te von Paul War­ne­cke mit­ver­folgt wur­de. Mit den Stim­men der SPD, der Grü­nen und ei­nes Ver­tre­ters der CDU und bei Stim­men­ent­hal­tung drei­er Ver­tre­ter aus CDU und FDP wur­de der An­trag der ISQ schließ­lich mit vier Ja-Stim­men bei drei Ent­hal­tun­gen an­ge­nom­men und als Be­schluss­emp­feh­lung an die am 26. Mai 2014 an­vi­sier­te Rats­ver­samm­lung wei­ter­ver­wie­sen.
Doch bis da­hin hat­te sich die CDU-Frak­ti­on in der Fra­ge der Platz­be­nen­nung neu auf­ge­stellt und reich­te ei­nen Ge­gen­an­trag ein. Nach die­sem soll­te zwar eine Ge­denk­ta­fel an das Er­eig­nis er­in­nern, von ei­ner Platz­be­nen­nung sei je­doch ab­zu­se­hen. Auf­schluss­reich sind die Grün­de, die Stadt­rat Torn stell­ver­tre­tend für die Frak­ti­on auf der Rats­ver­samm­lung an­führ­te: Zwar han­de­le es sich bei der Tat vom 5. März 1933 um ein Ver­bre­chen, aber es sei frag­lich, ob der Be­schluss von 1946 rechts­kräf­tig zu­stan­de ge­kom­men sei. Schließ­lich habe es sich bei dem Ge­mein­de­rat nicht um ein de­mo­kra­tisch ge­wähl­tes Gre­mi­um ge­han­delt, son­dern um ei­nes, das von den Bri­ten ein­ge­setzt wur­de. Dar­über hin­aus sei un­klar, war­um der Be­schluss nicht um­ge­setzt wur­de. Ha­ben die Bri­ten, so wur­de ge­mut­maßt, die­sen even­tu­ell von sich aus wie­der rück­gän­gig ge­macht? Um also da­für zu sor­gen, dass in die­ser Fra­ge „endgültig Rechtsklarheit besteht“ (An­dre­as Torn), be­an­trag­te die CDU, den Be­schluss ih­rer Vor­gän­ger von 1946 auf­zu­he­ben. Trotz ei­nes ein­dring­li­chen Ap­pells der SPD-Rats­mit­glie­der und der ISQ an die CDU-Frak­ti­on „sich und uns diese peinliche Situation zu ersparen“ (Olaf Nu­ckel, ISQ), stimm­te die Rats­ver­samm­lung mit der Stim­men­mehr­heit der CDU und FDP dem An­trag der CDU zu. Der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Klaus-H. Hen­sel schob in ei­ner Mit­tei­lung als wei­te­re Be­grün­dung nach, dass „Namensgebungen nach Personen aber nur dann erfolgen sollten, wenn eine besondere Leistung für die Allgemeinheit gewürdigt werden soll.“ [8] Die­se „besondere Leistung“ schien hier nach An­sicht der CDU nicht vor­zu­lie­gen. Ein­fach nur er­schos­sen wer­den, kann ja je­der…
Et­was Be­we­gung kam nach der Sit­zung noch ein­mal da­durch in die Dis­kus­si­on, dass of­fen im Raum blieb, ob mit der Zu­rück­nah­me des Be­schlus­ses von 1946 der Ort jetzt wie­der sei­ne alte Be­zeich­nung „Horst-Wessel-Platz“ an­ge­nom­men habe. Schnell re­agier­te die Stadt auf kri­ti­sche Nach­fra­gen der Pres­se und merk­te hier­zu an, dass der ers­te Teil des Be­schlus­ses von 1946, näm­lich die Um­be­nen­nung des „Horst-Wessel-Platzes“ in der Nach­kriegs­zeit um­ge­setzt wor­den wäre, da die­se Platz­be­zeich­nung ab die­sem Zeit­punkt nicht mehr in den Un­ter­la­gen vor­zu­fin­den sei. So­mit habe die­ser Be­schluss­teil eine Wirk­sam­keit ent­fal­tet, die bei dem zwei­ten Teil des Be­schlus­ses von 1946, also der Be­nen­nung des Plat­zes nach Paul War­ne­cke, nicht zu er­ken­nen sei. Da hier eine Be­schil­de­rung oder ein Ver­merk in den öf­fent­li­chen Un­ter­la­gen nicht er­folg­te, sei von den nach­fol­gen­den Ge­mein­de­ver­tre­tun­gen ein „Vollzugsinteresse“ nicht mehr zum Aus­druck ge­bracht wor­den. Der Be­schluss des Ge­mein­de­rats vom 23. April 1943 habe zu­dem „durch Zeitablauf seine Regelungskraft verloren“ (Bür­ger­meis­ter Köppl).[9] Des Wei­te­ren dürf­ten nicht um­ge­setz­te Be­schlüs­se aus der Ver­gan­gen­heit die Sou­ve­rä­ni­tät der heu­ti­gen Be­völ­ke­rung und ih­rer ge­wähl­ten Ver­tre­ter nicht be­ein­träch­ti­gen.[10]
Ob die­se Ar­gu­men­ta­ti­ons­mus­ter wohl auch zum Tra­gen ge­kom­men wä­ren, wenn Paul War­ne­cke nicht Kom­mu­nist ge­we­sen wäre? Für die Stadt hät­te es ein wich­ti­ges Zei­chen sein kön­nen, wenn erst­mals ein öf­fent­li­cher Raum nach ei­nem ört­li­chen Op­fer des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus of­fi­zi­ell und für je­der­mann sicht­bar be­nannt wor­den wäre. Zwar ist in Quick­born eine ge­wis­se Of­fen­heit zu er­ken­nen, den NS-Ver­folg­ten zu ge­den­ken, für eine Platz- oder Stra­ßen­be­nen­nung, die ein stär­ke­res öf­fent­li­ches Be­kennt­nis ge­gen­über den Ver­folg­ten des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus aus dem Ort zum Aus­druck ge­bracht hät­te, als eine Ge­denk­ta­fel es kann, war der Wil­le je­doch (bis­her) nicht vor­han­den.
Was bleibt, ist das Auf­stel­len ei­ner Ge­denk­ta­fel, die den hier 2009 für Paul War­ne­cke ver­leg­ten Stol­per­stein er­gän­zen wird. Es bleibt ab­zu­war­ten, ob sich hin­sicht­lich des Ge­denk­tex­tes, der bis zum Zeit­punkt der Nie­der­schrift die­ses Tex­tes noch nicht fest­stand, wei­te­re Dis­kus­sio­nen er­ge­ben.[11]

Ak­tua­li­sie­rung: Am 30. No­vem­ber 2016 be­schloss der Aus­schuss für Bil­dung, Kul­tur und Frei­zeit der Stadt Quick­born ein­stim­mig, für das Haus­halts­jahr 2017 3.000 EUR für eine Ge­denk­s­te­le in Er­in­ne­rung an Paul War­ne­cke be­reit zu stel­len. Zu­dem ist die Auf­stel­lung ei­ner Skulp­tur ge­plant, die durch Spen­den­mit­tel fi­nan­ziert wer­den soll.

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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