NS-Kunst – Germanenmythos oder nur eine Galionsfigur? – Die  „Flora“ des NS-Illustrators W. Petersen

Informationstafel an der Volksbank. "Prof. Wilhelm Petersen": Sein "Professorentitel" beruhte auf keiner akademischen Qualifikation, sondern war ihm von Adolf Hitler 1938 verliehen worden. Bild: R.Arendt
Der Flora-Brunnen noch mit einer Betonfigur, die dann ein Jahr später im Jahre 1970 der Bronzeplastik von Wilhem Petersen weichen sollte. Fünf Jahre später protestierte die SPD gegen einen Antrag auf die Ehrenbürgerschaft an Petersen. Die Fraktion boykottierte geschlossen eine öffentliche Veranstaltung. Zu einer solchen Ehrung kam es letztlich nicht. Bild StaE in: "773 Schritte durch die Zeit Königstraße Elmshorn", Beiträge zur Elmshorner Geschichte Bd. 29
Phantasiegebilde: Die Galionsfigur "Flora" an der Rückseite der Volksbank Elmshorn. Die Rezeption von Petersens Darstellungen und Werken im rechtsextremen Milieu dauert bis heute an. Bild: R. Arendt
Petersen nahm zwischen dem 1. und 18. September 1939 als MG-Schütze am Überfall auf Polen teil. Seine Einsatzorte und Einsätze lassen sich nur unzureichend beschreiben. Der polnischen Justiz und einer drohenden Todesstrafe entging er nach einer kurzen Internierung in Neuengamme im Juni 1946 durch ein Gnadengesuch. Für seine Teilhabe am NS-System, für seine Mitgliedschaft in der SS und auch für seine klar rassistischen Aussagen, etwa in seinem „Totentanz in Polen“ musste er sich juristisch nie verantworten. (Kreismuseum Wewelsburg, Bild: EN v. 21/22. Oktober 1939, Stadtarchiv Elmshorn)
20. Mai 1969
Holstenplatz und Königstraße 17, 25335 Elmshorn

Die vom NS-Illustrator Wilhelm Petersen geschaffene Galionsfigur für den Elmshorner Flora-Brunnen hängt nach dessen Abriss seit 2009 an der Rückseite  der Volksbank Elmshorn, dem damaligen Auftraggeber.  Aber was hatte die Figur wirklich mit dem Elmshorner Walfänger zu tun und welche Motive sein Urheber bei der Ausführung?

Der Maler und Kriegszeichner – zur Person Wilhelm Petersen

Petersen (1900-1987) wuchs in Elmshorn und Hamburg auf. Nach einer Lehre in einer Hamburger Künstlerwerkstatt meldete er sich noch 1918 als Kriegsfreiwilliger. 1920 nahm er am Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik teil.

In den 1920er Jahren betätigte er sich als Illustrator und wurde später bekannt durch seine Darstellung „nordischer Menschen“. 1933 trat er der NSDAP bei und erhielt 1938 von Hitler für seine Malerei im Sinne des NS-Regimes den Professorentitel. Im zweiten Weltkrieg war er Mitglied der Waffen-SS und zugleich Maler und Kriegszeichner.

Seine Karriere konnte er nach 1945 erfolgreich fortsetzen, u.a. als Co-Zeichner der bekannten Mecki-Figur der Zeitschrift HÖRZU. Politisch bekundete er seine nach wie vor rechtsextreme  Gesinnung durch den Beitritt zur NPD.[1]

Oberflächlich scheinbar problemlos in die Gesellschaft der Bundesrepublik integriert, blieb er bis zu seinem Tod der Ideologie und den personellen Netzwerken aus der Zeit des Faschismus verhaftet. Seine bildnerischen Arbeiten werden bis heute von Neonazis affirmativ verwendet.[2]

„Professor“ Petersen starb 1987 in seiner Heimatstadt Elmshorn, trotz seiner politischen Überzeugung als von vielen geachteter  Künstler und Mitbürger[3]

Ein erster Auftrag der Volksbank für Petersen in den 1950er Jahren

Schon 1955 wurde Petersen von der Volksbank in Elmshorn damit beauftragt, das Hauptgebäude mit einem Monumentalgemälde auszustatten.  Die Elmshorner Nachrichten kommentierten damals: „Dieses dreiteilige Bildwerk ist nicht nur Schmuck eines Bankhauses – es ist eine neue Sehenswürdigkeit Elmshorns, die viele Besucher erfreuen wird.“  Anlässlich dieses Berichtes geht der Journalist ausführlich auch auf Petersens Leben und Werk ein, wobei seine Tätigkeit als SS-Kriegszeichner, wie überhaupt die Kriegsjahre ohne Erwähnung bleiben. Lobend hingegen werden Petersens Bilder zu „germanischen Themen“ hervorgehoben: „Petersens Germanenbilder, ein kleiner Teil seines Schaffens, dienten – nicht immer recht verstanden – der dienstvollen Aufgabe, das Leben u n s e r e r (Sperrung im Original, Anm. d. Verf.) Ahnen auf wissenschaftlicher Grundlage neu zu gestalten.“[4]

Das auch von Petersen behauptete wissenschaftliche Fundament seiner Germanendarstellungen wird im Steinburger Jahrbuch 2022 und dem heimatkundlichen Jahrbuch für den Kreis Pinneberg 2022 widerlegt. „Die Germanen“ als einheitliches Volk oder gar als „Rasse“ hat es nie gegeben. Mit Petersens großformatigen Schulwandbildern wurden vielmehr der jungen Generation im Geschichtsunterricht die zentralen Elemente der NS-Ideologie, wie die „Überlegenheit der germanischen Rasse“, der „Wehrgedanke“ oder der Führerkult, vermittelt. So sollte auch das Großgemälde mit der Darstellung einer „germanischen Baumsargbestattung“ für das NS-„Germanengrab“ in Itzehoe im Rahmen der „Volkserziehung“ eine ganz ähnliche Funktion erfüllen.[5]

Phantasiegebilde: Der „Flora“-Brunnen und seine Bronzeplastik

1969 stiftete die Volksbank Elmshorn dann im Rahmen der Neugestaltung des Bahnhofsviertels den „Flora-Brunnen“ am Holstenplatz, der an das Elmshorner Walfangschiff „Flora“ erinnern sollte. Nach Überprüfung verschiedenster Modelle der „Flora“, Zeichnungen und Abbildungen des Elmshorner Walfangschiffes insbesondere aus der Sammlung des Elmshorner Modellbauers Emil G.Bai, einem guten Bekannten Wilhelm Petersens, ist festzustellen: Eine solche, wie von Petersen gestaltete Galionsfigur, hat es an dem Original nie gegeben.[6]

Die Frage nach seinem Motiv, einen derart idealisierten Frauenkörper in Bronze zu gießen, gestaltet sich schwierig, da eigene Erklärungen hierzu nicht bekannt sind und die Auftraggeber vermutlich Petersen freie Hand ließen.

Motiv Germanenmythologie? – Fragen und  Antworten

„Das Auge ist ein durch Erziehung reproduziertes Produkt der Geschichte und der `reine´ Blick eine entsprechende Erfindung.“ (Pierre Bourdieu) [7]

Petersen entwickelte sich seit der frühen Weimarer Republik zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Bildgeber einer „völkischen“ Auffassung vom Aussehen der Germanen. Mit seinem Auge prägte er nicht zuletzt auch das unhistorische und rassistische Bild des „germanischen Menschen“, das die SS in ihren Publikationen und Schulungsmaterialien verbreitete und Teil des Selbst-Bildes ihrer Mitglieder werden sollte.

Auffällig ist, dass die ursprüngliche Betonfigur des Flora-Brunnens, die erst 1970 durch die Bronze-Skulptur ersetzt wurde, in Haltung und Darstellung deutlich von der heute an der Fassade der Volksbank angebrachten Bronze-Figur abweicht. Bei der Beton-Figur fallen dabei die strenge Haltung und die nach oben greifenden und eine Volute tragenden Arme auf. Gleich geblieben sind die Blätter (Algen/Tang oder Akanthus (?)), die den unteren Teil der Figur bedecken. Die Bronzefigur ist gegenüber der Betonfigur etwas bewegter und weniger statisch. Warum hat Petersen seinen Entwurf zwischen Beton- und Bronzeskulptur noch einmal verändert und überarbeitet?

Auf der Suche nach dem Motiv stehen einer der wenig beachteten Aspekte in seiner Tätigkeit, seine plastischen Werke, zumeist aus Holz, im Fokus. Nach bisheriger Kenntnis hat sich keines der Werke erhalten. Eine überlebensgroße Frauenfigur mit dem Titel „Embla“ wurde erstmalig 1936 ausgestellt. Hierbei handelte es sich um eine aus einem Eichenstamm gefertigte Aktfigur. Petersen bediente sich hier der nordischen Mythologie, nach der drei Götter – unter anderem Odin – die erste Frau und den ersten Mann aus  einem Baum schufen.[8]

Die Embla-Skulptur wurde vermutlich von der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klinck erworben und verbrannte offenbar 1945, insofern hatte Petersen lediglich Fotografien und sein Gedächtnis bezüglich dieser Figur. Es scheint durchaus möglich, dass sich Petersen sozusagen bei sich selbst bedient hat und Anklänge seiner Skulpturen aus den 1930er Jahren, so etwa der „Embla“, (bewusst oder unbewusst) in die Flora-Skulptur eingegangen sind.

Die Armhaltung des rechten Arms der Bronzefigur erinnert tatsächlich an seine Holzplastik „Embla“, auch die zwischen den Brüsten der Figur befindliche Haarlocke zeigt Ähnlichkeiten. In vielen weiteren Details weicht die Bronzeskulptur jedoch deutlich ab. So etwa was die Kopfhaltung, die Haltung des linken Armes, oder die gesamte Beinpartie angeht. Zudem sind die Augen der Embla im nach hinten gelegten Kopf geschlossen, während die Bronzefigur „Flora“ streng nach vorn durch geöffnete Augen blickt.

Da beide Figuren sehr stark voneinander abweichen und zudem bei der Flora aufgrund der Nutzung als Galionsfigur an einem stilisierten Schiff ein ganz anderer Kontext gegeben ist, beide Figuren also gänzlich unterschiedliche Funktionen einnehmen und das Gesamt-Thema beider deutlich unterschiedlich ist (Flora: Galionsfigur, Schiff, Meer; Embla: nordische Mythologie, Baum, „Schöpfung“) ist es eher nicht wahrscheinlich, dass Petersen mit seiner Flora-Skulptur bewusst an die „germanische“ Mythologie anknüpfte und (sozusagen durch die Hintertür) den „nordischen Schöpfungsmythos“ in die Stadt tragen wollte. [9]

Das NS-Köperideal und die Bildhauersprache im Nationalsozialismus

„Dem absurden Rassenwahn der SS entsprechend war er der Meinung, dass Deutschland `rassenrein´ sein sollte“. (Anders Petersen) [10]

Erläuterungen von Wilhelm Petersen zu seiner „Galionsfigur“ sind, wie oben schon angemerkt, nicht überliefert. Im Nachkriegsdeutschland zeigte er weder Reue noch Bedauern und distanzierte sich nicht von seiner Rolle während der NS-Zeit, weder als Künstler noch als Mitglied der Waffen-SS und des persönlichen Stabes Reichsführer SS. In der Bundesrepublik orientierte er sich politisch am rechten und rechtsextremen Milieu, betätigte sich aktiv in der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Mitglieder der Waffen-SS“ (HIAG), war Mitglied der Ende der 1960er Jahre gegründeteten „Bauern- und Bürgerinitiative e.V.“ des Holocaust Leugners Thies Christophersen, und vermutlich seit kurz nach deren Gründung 1964 auch in der NPD.[11]

Nimmt man einmal strukturelle Analogien, wie die dominierende bildhauerische Formensprache während der NS-Zeit zur Einordnung seiner Skulptur, so verlangte hier die exzessive Forderung des NS-Körperideals nach Schönheit, Jugend und Stärke, nach Willenskraft auch eine exzessive Formensprache. Hitlers „pädagogischer Grundsatz“: „Das Schwache muß weggehämmert werden“ nahmen seine Bildhauer, wie Arno Breker wörtlich. Breker entwickelte eine „metallische“ Körpersprache, eine panzerartige Anatomie“, eine unnatürlich-naturalistische Stilisierung und Oberflächenglätte seiner Figuren. Die Ästhetisierung des Körpers hatte einmal die „körpersprachlichen Anschauungsinstrumente“ für ein Regime zu liefern, das unbedingten Wehrwillen und unbedingte Kampfbereitschaft verlangte. Zum anderen grenzte das klassizistisch überformte, jugendlich rassistische Schönheitsideal alles „Unschöne“ als „verfluchte Rasse“ der Außenseiter aus, wie Marcel Proust Juden und Homosexuelle einmal genannt hat. Und schließlich erschienen diese in Bronze gegossenen oder in Stein gehauenen Figuren wie für die Ewigkeit bestimmt, Ausdruck und Garanten ewiger Werte und ewiger Herrschaftsforderungen. Darauf hatte Hitler seine Mit- und Nachwelt schon früh aufmerksam gemacht. „Selbst wenn ein Volk erlischt und die Menschen schweigen, werden dann die Steine reden.“[12]

[1] Zit. nach: „Der Maler und Kriegzeichner Wilhelm Petersen“ in: „Germanenmythos und die Frage nach unserer Identität“, hrsg. Geschichtenberg Itzehoe, Heimatverband Kreis Steinburg e.V.

[2] Christoph Rüther, Landrat des Kreises Paderborn, Geleitwort zu: „Germanenmythos und Kriegspropaganda – Der Illustrator Wilhelm Petersen 1900-1987“, Kreismuseum Wewelsburg, Bd. 12 2021

[3] Zit. nach: „Der Maler und Kriegzeichner Wilhelm Petersen in „Germanenmythos und die Frage nach unserer Identität“, hrsg. Geschichtenberg Itzehoe, Heimatverband Kreis Steinburg e.V.

[4] LaSH, Abt, 811 Nr. 46289 zit. nach: Rezeption in regionaler Perspektive in: Germanenmythos und Kriegspropaganda – Der Illustrator Wilhelm Petersen 1900-1987, Kreismuseum Wewelsburg, Bd. 12 2021

[5] „Germanenmythos und die Frage nach unserer Identität“, hrsg. Geschichtenberg Itzehoe, Heimatverband Kreis Steinburg e.V.

[6] Modelle beim Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, Maritimen Museum Sammlung Peter Tamm Hamburg, Altonaer Museum, Konrad-Struve-Museum und Industriemuseum Elmshorn, sowie im Rathaus Elmshorn haben entweder keine oder aber eine mit Bekleidung gefertigte Figur. Siehe auch: Beiträge zur Elmshorner Geschichte Bd.1, „Fall! Fall! Fall! öwerall“ Berichte über den schleswig-holsteinischen Walfang am Beispiel der Stadt Elmshorn, von Emil G.Bai, Egon Heinemann Verlag 1968, „Flora von Elveshörn“ Wilhelm Petersen, Christians Verlag 1938

[7] Pierre Bourdieu „Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urtreilskraft“ Einleitung Seite 21, Suhrkamp 1994

8] Holzplastik „Embla“ , Bilduntertext Seite 47 in: Germanenmythos und Kriegspropaganda – Der Illustrator Wilhelm Petersen 1900-1987, Kreismuseum Wewelsburg Bd. 12 2021

[9] Antwort der Kuratoren der Sonderausstellung zu Petersen im Kreismuseum Wewelsburg zu einer Anfrage des Verfassers aus dem Jahre 2023

[10] Mitteilung von Anders Petersen (18.08.2021) an die Verfasser Christian Jansen und Sönke Zankel des Aufsatzes: Das „Gemanen-Großgemälde“ für den GeSCHICHTENberg Itzehoe Wilhelm Petersens Germanenmyhtos als nationalsozialistische „Volkserziehung“, Sonderdruck Steinburger Jahrbuch 2022, Seite 297

[11]   Erik Beck, Reinhard Fromme: „Wilhelm Petersen nach 1945. Nachkriegszeit und Rezeption“ in: Germanenmythos und Kriegspropaganda – Der Illustrator Wilhelm Petersen 1900-1987, Kreismuseum Wewelsburg Bd. 12 2021, Seite 177

[12] Peter Reichel: „Bildende Kunst: Verschönerung auf Deutsche Art“ in: „Der schöne Schein des Dritten Reiches – Faszination und Gewalt des Faschismus“, Fischer Verlag 1994

Weitere Quellen:

Personenbezogene Unterlagen der SS und SA, Bundsarchiv (BDC) R 9361-III; Bundesarchiv (PK) VBS 1/1090009718

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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