Stolpersteine in Elmshorn: Heinrich Kastning – im Widerstand, verhaftet von der Gestapo – Gefängnis Kiel – Ermordet 15.8.1941

Dieses Bild zeigt Heinrich Kastning - Fotograf unbekannt
(Foto: Heinrich Kastning, Fotograf unbekannt)
15. August 1941
Ludwig-Meyn-Straße 5, Elmshorn

Heinrich Kastning
Ludwig-Meyn Straße 5

“Der Untersuchungshäftling Heinrich Kastning wurde heute beim Aufschluß um 6 Uhr in seiner Zelle tot aufgefunden. Es liegt Freitod durch Erhängen vor. Sofort angestellte Wiederbelebungsversuche waren erfolglos.”

Darunter folgt ein unleserlicher Krakel. Die Dienstbezeichnung: Verwaltungsamtmann. Mit dieser Mitteilung an die Kieler Staatsanwaltschaft ist für die Gestapo die Gefangenensache unter der Registriernummer 864/41 erledigt. Es ist der 15. August 1941.

Um 14.50 Uhr an jenem Freitag sendet die Deutsche Reichspost in Kiel ein Telegramm nach Elmshorn. Empfängerin: Grete Kastning, Ludwig-Meyn-Straße 5. Die frisch gebackene Witwe soll binnen 24 Stunden mitteilen, ob sie die Bestattungskosten übernimmt.

Heinrich Kastnings Frau macht sich, begleitet von einer Nachbarin, umgehend auf den Weg nach Kiel. Im dortigen Untersuchungsgefängnis in der Faeschstraße 10 erzählt man ihr, ihr Mann habe sich mit dem Hosenträger am Bettpfosten erhängt.
Grete verlangt die Leiche zu sehen. Nur widerstrebend wird sie in die Leichenhalle geführt. Heinrich Kastnings Leiche ist übel zugerichtet. Seltsame Wunden am Kopf, Einschusslöchern gleich, aus denen Blut sickert. Woher die stammen, will Grete wissen, doch die Wärter bleiben ihr die Erklärung schuldig. Sie darf die Leiche nach Hause überführen. Aber sie muss ihren Mann auf dem Elmshorner Friedhof in einer speziellen Ecke verscharren lassen, die für Staatsfeinde reserviert ist.

Heinrich hatte recht behalten: “Ich komme wohl nicht mehr wieder”, hatte er gesagt, als sie ihn zuletzt lebend gesehen hatte, im Gestapo-Hauptquartier in der Kieler Düppelstraße, gerade verhaftet, am Kopf verletzt, am ganzen Körper zitternd. Als letztes trägt er ihr auf, die Kinder zu grüßen.

Rückblende. Heinrich Ernst Wilhelm Kastning wird am 18. Dezember 1904 in der Gemeinde Heeßen im Kreis Bückeburg (heutiges Niedersachsen) geboren. Nach der achtjährigen Volksschulzeit absolviert er in Hannover eine Bäckerlehre. Ein Jahr arbeitet er noch als Geselle, wechselt dann ins Baugewerbe. 1926 schließlich findet er Arbeit in der Elmshorner Margarinefabrik Rostock. Am 8. Mai 1926 heiratet er die drei Jahre jüngere Grete Wienberg aus Seestermühe. Das Paar wird drei Kinder haben, zwei Mädchen, einen Jungen.

Ebenfalls 1926 tritt er der Freien Gewerkschaft bei, 1931 der kommunistisch orientierten “Revolutionären Gewerkschafts-Opposition” (RGO), 1932 der KPD. Da liegt die schwache Demokratie der Weimarer Republik bereits in Agonie. Straßenterror von SA und SS ist an der Tagesordnung, meist drückt die Polizei beide Augen zu oder macht sich sogar zum Handlanger des Terrors. Derweil schürt die bürgerliche Lokalpresse die Stimmung – vor allem gegen Kommunisten.

1933, nachdem die Mehrheit der deutschen Wahlberechtigten Hitler die Reichskanzler-schaft gesichert hat, beginnt die große Hetzjagd auf alle, die sich den braunen Herren nicht unterordnen wollen. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar, der den Kommunsiten in die Schuhe geschoben wird, verbieten die Nazis die KPD und ihr nahestehende Organisationen. Per “Notverordnung” wird die politische Verfolgung Andersdenkender legalisiert. Am 2. Mai 1933 besetzen die Nazis die Gewerkschaftshäuser, verhaften die Funktionäre, beschlagnahmen die Kassen. Die RGO hatte diese Entwicklung vorausgesehen und bereits 1932 begonnen, Untergrundstrukturen aufzubauen. Im April 1933 wird Heinrich Kastning Hauptkassierer der RGO. Bis Dezember 1934 sammelt er monatlich von den Unterkassierern in den vier Elmshorner RGO-Industriegruppen die Mitgliedsbeiträge ein. Kuriere leiten sie an die Unterbezirksleitung in Altona weiter. Auf geheimen Treffen, so im Liether Gehölz besprechen die Verfolgten ihre nächsten Schritte. So verteilt Kastning unter anderem auch Zeitungen der verbotenen KPD. Doch das Netz der Verfolger zieht sich zu. Zwischen dem 13. und dem 19. Dezember 1934 verhaftet die Gestapo rund 330 Frauen und Männer in den Orten Emshorn, Barmstedt, Pinneberg, Uetersen und Umgebung.
Nach der Erinnerung seiner Tochter Erna wird Kastning an seinem Geburtstag, dem 18. Dezember, arrestiert. Bis zum 21. Mai 1935 wird er im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel gefangen gehalten, danach im KZ Esterwegen im Emsland, in dem zeitgleich auch der Publizist Carl von Ossietzky einsitzt.

Heinrich Kastning (Datum des Fotos ist unbekannt)

Erst Anfang 1936 beginnen in Hamburg die “Offenborn-Prozesse”, benannt nach dem Elmshorner KPD-Funktionär Johannes Offenborn. Wer von den im Rahmen der Verhaftungswelle Verschleppten nicht bereits von den NS-Schergen umgebracht wurde, erhält vor diesem Gericht zumeist hohe Haftstrafen.

Gegen Heinrich Kastning lautet die Anklage auf “Vorbereitung zum Hochverrat”. Man legt ihm zur Last, RGO-Kassierer gewesen zu sein, an die KPD Beiträge entrichtet zu haben und an der Vorbereitung verbotener Schriften mitgewirkt zu haben. Kastning wird am 11. Juli 1936 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt – einer Form der Strafanstalt, mit der verschärfte Haftbedingungen wie schwere körperliche Arbeit verbunden waren und die in der Bundesrepublik erst 1969 abgeschafft wurde.

Kasting verbüßt seine Strafe im Zuchthaus Rendsburg und im Gefangenenlager Ascherndorfermoor. Die Untersuchungshaft von einem Jahr und sechs Monaten wird gnädig angerechnet. Nach der Erinnerung seiner Angehörigen hat Kastning im Kreise der Familie nie über diese Zeit gesprochen.

Nach der Entlassung fängt der Pfeife-Raucher in Kiel bei einer Tiefbaufirma als Beton-Facharbeiter an. Er wohnt in Kiel in der Schauenburgerstraße 26 zur Untermiete, fährt nur am Wochenende nach Hause. Tochter Erna, heute 77, erinnert sich an einen liebevollen Vater, der mit den Kindern sonntags badete, Schularbeiten machte und im Winter in der Wohnung Ballversteck spielte.

Am 10. Juli 1941, einem Donnerstag, erscheint ein Arbeitskollege bei der Gestapo. Der Däne Leo Olsen, Kastnings Mitbewohner in der Schauenburgerstraße, gibt an, Kastning habe ihn zum Kommunismus bekehren wollen, sich über Nazigrößen lustig gemacht und ihn beschimpft, weil er, Olsen, Mitglied der dänischen SA sei.

Die Denunziation hat Folgen. Am 24. Juli, ebenfalls einem Donnerstag, wird Kastning um 11 Uhr auf seiner Arbeitsstelle verhaftet. Laut Verhörprotokoll bestätigt er einige der ihm zur Last gelegten Vorwürfe.

“Auf Vorhalt gebe ich zu, auch heute noch Kommunist zu sein”, heißt es in den Akten. Als Kastning am Wochenende nicht wie gewohnt nach Hause kommt, fährt seine Frau Grete zwecks Nachforschung nach Kiel. Als sie ihn schließlich bei der Gestapo kurz sehen darf, stellt sie fest, dass ihm die Lippe blutig geschlagen wurde.

Noch ein zweites Mal kann sie ihren Mann besuchen.
Am 15. August ist Heinrich Kastning tot.

Autor: Bert. C. Biehl

Die Pateschaft des Stolpersteines für Heinrich Kastning übernahm der SPD-Ortsverein Elmshorn

Inschrift:

HIER WOHNTE

HEINRICH KASTNING

JG. 1904

IM WIDERSTAND

VERHAFTET

GEFÄNGNIS KIEL

TOT 15.8.1941

 

eingestellt von R.Arendt

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

Ein Hinweis zu “Stolpersteine in Elmshorn: Heinrich Kastning – im Widerstand, verhaftet von der Gestapo – Gefängnis Kiel – Ermordet 15.8.1941”

  1. Christoph Edlinger sagt:

    Wenn ich mir die Aussage des österreichischen Praesidentschaftskandidaten Norbert Hofer (Sie werden sich noch wundern, was alles moeglich ist) in Erinnerung rufe und dazu überlege wie die Nazi’s mit relativer Mehrheit und „Notverordnungen“ die Demokratie und ihre Parteienlandschaft zerschlugen, wird mir echt übel.

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