„Sie denkt auch in Zeiten der Not an die Ärmsten der Armen“ – die Konsumgenossenschaft „Produktion“

Aufdruck auf einer Einkaufstüte des Konsumvereins (Sammlung: Matthias Fischer-Willwater)
Die Konsumgenossenschaft 'Produktion' in der Bahnhofstraße (linkes Gebäude), Quickborn ca 1930er Jahre (Fotograf unbekannt, Sammlung Matthias Fischer-Willwater)
Konsumgenossenschaft 'Produktion', Bahnhofstraße, Quickborn ca. Ende der 1950er Jahre (Fotograf unbekannt)
Konsumgenossenschaft 'Produktion' in der Bahnhofstraße Nr. 4, Quickborn ca. Anfang der 1950er Jahre (Foto: W. Grodthoff)
Quickborn - Konsumverein, Kieler Straße, ca. Anfang der 1920er Jahre (Sammlung: Werner Berg)
Der spätere "Lagerhalter" des Konsumvereins in der Kieler Straße Carl Rummel hier als Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges (Sammlung: Matthias Fischer-Willwater)
Geburtstagsgrüße des Verkaufspersonals der "Produktion" 1952 (Sammlung: Ursula Nuss)
Bahnhofstraße 4, Quickborn

In der Bahnhofstraße Nr. 4, dem heutigen Imbiss, befand sich eine „Verteilerstelle“ der Konsumgenossenschaft „Produktion“.[1] 1926 oder 1927 wurde ein Laden dieser Genossenschaft hier eingerichtet.[2] Ein Vorläufer der „Produktion“, der „Konsumverein für Elmshorn und Umgegend“ war in dem Wohnhaus von Carl Rummel, dem „Lagerhalter“, in der Kieler Straße eingerichtet (siehe Fotografie oben),[3] die vermutlich seit dem Jahr 1918 dort bestand.[4] Eine weitere Verteilerstelle dieser Genossenschaft befand sich im Raum Ellerau/Quickborn-Heide.[5] Wo genau dort, ist bisher nicht bekannt.

Die Konsumgenossenschaftsbewegung hatte ihre Wurzeln in Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wirtschaftlich schwache Verbaucher aus den sozialen Schichten der Arbeiter, Angestellten und Handwerker schlossen sich zu Konsumvereinen und Lebensmittelassoziationen zusammen, um den Lebensmittelbedarf ihrer Familien bedarfsgerecht und kostengünstig selbst zu organisieren. Vor allem war es das Ziel, sich unabhängiger von Einzelhändlern zu machen, die teilweise durch Lebensmittelzusätzen, Preisabsprachen und intransparenten Warenabmessungen in Verruf geraten waren. Mit der zunehmenden Industriealisierung wuchs auch die Konsumgenossenschaftsbewegung an. Von 1890 bis 1910 nahm die Anzahl der Verteilerstellen in Deutschland von 262 auf 1.333 und die Anzahl der Genossenschaftsmitglieder von 215.000 auf 1.310.000 zu.[6]

Im Kreis Pinneberg lassen sich die Ursprünge des Konsumvereins bis in das Jahr 1899 zurückverfolgen: Am 10. Mai dieses Jahres wurde in Elmshorn der „Konsum-Verein für Elmshorn und Umgebung – Eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht“ von sieben Mitgliedern mit dem Ziel des gemeinschaftlichen Einkaufs von „Lebens- und Wirtschaftsbedürfnissen im großen und Ablaß im kleinen an seine Mitglieder[7] gegründet und der Betrieb im Januar 1900 in einer Privatwohnung gestartet. Ein Jahr später gab es in Elmshorn einen ersten Laden des Konsumvereins. Ab 1906 folgten weitere Verteilerstellen in Uetersen, Pinneberg, Horst, Barmstedt, Tornesch, Rellingen, Halstenbek und schließlich auch – die 18. und 22. Verteilerstelle – im Raum Quickborn.[8] Der rasche Aufstieg dieser Genossenschaft zeigt sich auch in den Mitgliederzahlen: Zählte der Konsumverein im Jahr 1900 15 Mitglieder,[9] so stieg diese Zahl 1906 auf 306 Mitglieder,[10] 1910 auf 1.450 Mitglieder[11] und Ende 1926 auf 5.500 Mitglider an.[12] 1927 verfügte die Genossenschaft über 22 Verteilerstellen, 16 Gebäude, 2 Kraftwagen, 1 LKW, 2 Pferde und 84 Beschäftigte.[13] Ein Jahr später schloss sich der Konsumvermverein für Elmshorn und Umgebung der leistungsstarken und reichsweit tätigen Konsumgenossenschaft „Produktion“ an.[14]

Die Konsumgenossenschaftsbewegung bestand in Deutschland anfangs aus Großeinkaufsgesellschaften und stieg später auch in die zentrale Eigenproduktion von Gütern des täglichen Bedarfs ein. Im Unterschied zu dem mittelständischen Erzeugergenossenschaftswesen, wie z.B. den ländlichen Genossenschaftsmeiereien, wies die Konsumgenossenschaftsbewegung aufgrund ihres Mitgliederklientels eine Nähe zur sozialistischen Arbeiterbewegung auf. Als wirtschaftliche Großorganisationen standen sie ebenso wie Warenhäuser mittelständischen Interessen entgegen und wurden vom Kleingewerbe und Einzelhandel als Bedrohung wahrgenommen.[15]

Dieses war auch in der Landgemeinde Quickborn zu erkennen. Auf einer Veranstaltung des Deutschen Wirtschaftsbundes zum Thema „Die Notlage des Mittelstandes“, die im Februar 1928 in Schmidt’s Gasthof stattfand, wies, so das Pinneberger Tageblatt, „der Redner auf die Gefahren der sozialistischen Konsumvereine und der Warenhäuser hin„, wobei die Konsumvereine auf die Vernichtung der Privatbetriebe abziele. Der Artikel endete mit dem Apell: „Es sollte selbstverständlich sein, dass Angehörige des Mittelstandes, ob selbstständig oder Beamter, Staatsangestellter und auch der Arbeiter, der einmal Meister oder Kaufmann werden will, diese Einrichtungen meidet.[16] In einem ähnlichen Tenor äußerte sich der Kreisverband Altona-Pinneberg des Norddeutschen Handwerkerbundes, der Mitte Juni 1929 in Quickborn tagte: „Konsumvereine und Warenhäuser haben sich zu Kampforganisationen entwickelt.[17] Auf einer Versammlung des örtlichen Handwerker- und Gewerbevereins im Gasthaus Bad Sandfurt äußerte ein Redner nicht weniger bedrohlich Ende Juli 1930: „Wenn man bedenkt, dass noch heute 178000 Handwerksmeister den Konsumvereinen angehören, so ist der Weg zur Proletarisierung nicht mehr weit.[18] Ende November 1928 hatte sich der Handwerker- und Gewerbeverein bereits darüber verständigt, ein Flugblatt für die Einwohner zu entwerfen, in dem darauf hingewiesen wurde, „dass jeder sich selbst und den gewerblichen Mittelstand schädigt, der nicht am Orte oder in Konsumgenossenschaften kauft.[19] Um die örtliche Verteilerstelle der Konsumgenossenschaft wirtschaftlich nicht zu unterstützen, entschloss sich der Fürsorgezweckverband Quickborn im Sommer 1932 dazu, die Einlösung für an Wohlfahrtsempfänger verteilte Brotgutscheinen an einem ausgewählten Bäcker zu knüpfen. Das sozialdemokratische Hamburger Echo mutmaßte: „Vor allem sollte aber die Produktion getroffen werden, deren hiesige Verkaufsstelle am Auszahlungstag mit ihrem Brotvorrat sitzen blieb, weil auf den Gutscheinen der Name Iden aufgedruckt war.[20]

In der SPD-Parteipresse wurde hingegen wiederholt für die örtliche Verteilerstelle der „Produktion“ geworben, die trotz Genossenschaftsgedankens aufgrund der schrumpfenden Kaufkraft ebenfalls von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise betroffen war (siehe Quelle unten).[21] So merkte das Hamburger Echo in einem Artikel vom 25. Februar 1932 an: „Eine Liste der Geschäftsleute, bei denen die Jünger des Dritten Reiches ihre Einkäufe machen sollen, wurde am Sonnabend in einer Naziversammlung im Bahnhofshotel bekanntgegeben. Die Arbeiterschaft ist dankbar für diese Bekanntgabe, weil sie daraus endlich einmal erfährt, welche Geschäftsleute sich zu den Nazis bekennen. Und sie wird mehr als bisher bemüht sein, ihre Waren aus der Verteilungsstelle der Produktion zu beziehen.“ Der Verwalter der örtlichen Konsumgenossenschaft[22] und zugleich Ortsvorsitzender der SPD[23] Otto Breddin nutzte zudem Parteiversammlungen der Sozialdemokraten, um für die „Produktion“ zu werben.[24] Noch wenige Tage vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten merkte das Hamburger Echo anlässlich eines Berichtes über die Winterbeihilfe und der fehlenden Möglichkeit, die von der Gemeinde an Wohlfahrtserwerbslose verteilten Warengutscheine eintauschen zu können, an: „Wo es gilt, ohne besonderen Tamtam eine kostenlose praktische Hilfe zu leisten, da versagt das wohltätige Herz der Geschäftsleute, die sich sonst rege an den vielen Wohlfahrtsveranstaltungen der sogenannten vaterländischen Verbände beteiligen. Wiederum ist es die ‚Produktion‘, die hier eingriff. Sie hatte sich bereit erklärt, die Gutscheine gegen Waren in Zahlung zu nehmen. Das sollte ein Ansporn sein, die Konsumgenossenschaftsbewegung zu fördern; denn nur sie denkt auch in Zeiten der Not an die Aermsten der Armen.[25]

Die Nationalsozialisten hatten sich als Fürsprecher des Kleingewerbes und des Mittelstandes präsentiert. Nach der Machtübernahme beantragte die NSDAP-Ortsgruppe in der Gemeindevertretung Quickborn „darauf hinzuwirken, dass Beamte, Angestellte und Arbeiter der Gemeinde, die von ihr aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, sämtliche Einkäufe im Orte zu tätigen haben und ihre Mitgliedschaft bei der Produktion kündigen.[26]

Reichsweit gerieten die Konsumgenossenschaften ab 1933 durch Austritte und Kaufzurückhaltungen wirtschaftlich in Bedrängnis. Zwar wurden sie nicht wie die Arbeiterparteien und die Gewerkschaften verboten, ihre Verbandsstrukturen wurden jedoch personell gleichgeschaltet und die Dachverbände zu dem Einheitsverband „Reichsbund der deutschen Verbrauchergenossenschaften“ zusammengeführt.[27] 1941 wurden endgültig die genossenschaftlichen Wurzeln beseitigt und die ehemaligen Konsumgenossenschaften als „Gemeinschaftswerk Versorgungsringe GmbH“ in die Deutsche Arbeitsfront eingegliedert, wodurch ein zentral gelenkter Lebensmittelhandelskonzern entstand.[28] Auch in der Quickborner Bahnhofstraße blieb die einstige Verteilerstelle der „Produktion“ als Verkaufsstelle des „Gemeinschaftswerkes Versorgungsring“ bestehen.[29] Verwaltet wurde dieser jedoch nicht mehr von dem Sozialdemokraten Otto Breddin. Er musste sich im Oktober 1933 arbeitslos melden.[30]

Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurden die Konsumgenossenschaften wieder aufgebaut und nahmen ihren alten Namen an. In Quickborn existierte nun neben der Bahnhofstraße eine weitere Verteilerstelle in der Dorfstraße in Quickborn-Renzel.[31]

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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