Links: Coors, NSDAP-Mitglied seit 1933 und Bürgermeister von 1937 bis 1945 in Pinneberg
Mitte: der Sozialdemokrat Richard Köhn, zeitweise in das KZ Neuengamme verschleppt und von 1945 bis 1950 Bürgermeister in Pinneberg
Rechts: Glissmann ab 1933 Fördermitglied der SS und ab 1937 NSDAP-Mitglied. Nach 1945 Eintritt in die SPD und Bürgermeister in Pinneberg von 1950 bis 1963.
Offener Brief an die Mitglieder der Pinneberger Ratsversammlung:
Seit knapp einen Jahr wird öffentlich über die Bürgermeistergalerie diskutiert. Dies ist nun der vierte Offene Brief von mir, die ersten beiden habe ich an den Ältestenrat geschickt, den dritten und diesen versende ich an Sie als Mitglied der Ratsversammlung, da ich möchte, dass Sie meine Informationen direkt erhalten.
Drei Drucksachen hat die Verwaltung zu diesem Thema verfasst. Meiner Meinung nach völlig unzureichend und geschichtsfälschend, dies habe ich in den letzten Briefen erläutert und möchte es hier nicht wiederholen. Im Hauptausschuss wurde nun der Vorschlag aus der Verwaltung an den Ausschuss Kultur, Sport und Jugend zurückverwiesen. Also ein Jahr vergangen und es ist so gut wie nichts entschieden. Selbst meine Fragen vom 13.12.2023 in der Einwohnerfragestunde sind mir nicht beantwortet worden. Von meinen späteren Fragen in 2024 ganz zu schweigen …
Heute möchte ich Ihnen neueste Informationen zu den beiden von mir kritisierten Bürgermeistern Coors und Glissmann mitteilen. Diese sind schockierend, weil diese Fakten alles bisherige auf den Kopf stellt, was über beide in Pinneberg veröffentlicht wurde. Bei Glissmann werden ich in dem folgenden Text noch mal auf seine Rolle in Riga eingehen. Dort hat er den „Job“ so gut gemacht, dass er befördert worden ist. Welche Verfolgung hat nun Herrn Glissmann im NS-Staat erleiden müssen, wenn er gleichzeitig in ein Verwaltungsführerverhältnis befördert wurde und damit Karriere im faschistischen Deutschland machte? Zu Bürgermeister Coors werde ich zwei Fälle nachweisen können, wo er proaktiv Menschen zur Einweisung in einem KZ bei der Polizei „angeschwärzt“ hat.
Zu Bürgermeister Glissmann:
Die Diskussion in den letzten Monaten ist mehrfach schockierend. Die Verwaltung hat zur Charakterisierung der Besatzungsregime in Riga allein aus Dokumenten aus der NS-Zeit zitiert. Danach war das Besatzungsregime die „deutsche Regierung“. Trotz mehrfacher Nachfragen von mir, ist dies weder zurückgenommen worden, noch hat es eine Kritik aus den Reihen der Ratsversammlung zu einer solchen Vorlage gegeben. Alleine dies ist eine Ungeheuerlichkeit. Wer nur aus dem Buch „Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus“ zitiert, wird scheitern, eine historisch einwandfreie Analyse zu dieser Besatzungsregime in Riga zu erstellen. Dies ist aber zwingend, um die Rolle von Herrn Glissmann, der sich freiwillig nach Riga beworben hatte, zu bewerten. Ich habe von Anfang an auf Arbeiten von Prof. Dr. Uwe Danker verwiesen. Er hat unter anderen zwei vom Schleswig-Holsteinischen Landtag beauftragte Studien zur NS-Kontinuität in Schleswig-Holstein 2013 und 2018 herausgegeben.
Welchen Auftrag das Regime in Riga hatte, habe ich mit einem Zitat von Professor Dr. Uwe Danker in meiner vorherigen Offenen Briefen deutlich skizziert:
„Der „Kampfauftrag“ der Verwaltung: Die Region sollte nach Kräften für den Krieg ausgebeutet, für spätere Umvolkungsmaßnahmen“ vorbereitet werden. Von Beginn an damit verwoben die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“.“
(Zitat aus: Uwe Danker: Die drei Leben des Hinrich Lohse, in: Demokratische Geschichte, Bd. 11,
1998, S. 107 f.)
Dies Zitat liegt der Verwaltung vor, sie zitiert aber lieber alleine aus Dokumenten von 1942! Herr Glissmann hat „diesen Auftrag“ so gut umgesetzt, dass 1944 seine Vorgesetzten sich um die Beförderung vom Oberinspektor in das „Verwaltungsführerverhältnis zum Bezirksamtsrat“ bemühten. Diesen Antrag hat der Bürgermeister Coors zugestimmt. (Siehe Dokument in der Akte 3166 vom Stadtarchiv Pinneberg)
Mein Vorschlag für einen kurzen Text unter dem Bild von Herr Glissmann:
„Herr Glissmann hat unter wechselnden Regierungsformen – Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Staat und Bundesrepublik – erfolgreich Karriere gemacht. Selbst als Teil eines mörderischen Besatzungsregime in Riga konnte er bei der Ausbeutung der besetzten Ostgebiete im Sinne des faschistischen Deutschland überzeugen und wurde befördert. 1950 wurde er für dreizehn Jahre Pinneberger Bürgermeister.“
Zu Bürgermeister Coors:
In Pinneberg wird der Bürgermeister immer noch sehr verehrt. Er erhielt sogar ein Ehrengrab der Stadt Pinneberg. Die scheinbare Verfolgung und Bedrohung des „unpolitischen“, tüchtigen Verwaltungsmenschen Coors bekommt deutliche Risse, wenn man sich seinen Befürworter und Helfer in der Stadt Pinneberg ansieht: NSDAP-Ortsgruppenleiter Krömer. In der VHS-Geschichtswerkstatt fehlen wichtige
noch erhaltene Dokumente zu Krömer, die aber 1988 schon in dem Buch „Drei Leben gegen die Diktatur“ von Hildegard Kadach und Dieter Schlichting erwähnt wurde. Krömer hat Juden und politische nicht genehme Personen persönlich mit großen Eifer verfolgt. Dieser Mann hat also Coors unterstützt. Wie passt dies zusammen?
In dem Buch „55. Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte“ – herausgegeben im Sommer 1998 – bekommt der „unpolitische Coors“ auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Auf den Seiten 401 bis 406 wird ausführlich die 1935 persönlich von dem Bürgermeister Coors initiierte Verfolgung des jungen Juden Heinz Heymann dokumentiert. Zitat aus dem Buch:
„Noch „in jüngster Zeit“, berichtete der Friedrichstädter Bürgermeister, hätte Heinz Heymann „… in herausfordernder Weise sich auf offener Straße in Begleitung von arischen Mädchen“ gezeigt. Coors war überzeugt, dass er viele Mädchen geschlechtlich gebraucht und verdorben hat. „Da die Strafgesetze für dieses Verhalten leider keine Möglichkeit zum Einschreiben bieten, dürfte die Unterbringung in einem Konzentrationslager angebracht sein, zumal seine sofortige Freilassung erheblichen Unwillen in der Bevölkerung hervorrufen würde …“ empfahl er der Stapo.“
Etwas weiter im Buch:
„Heinz Heymann wurde alsbald durch die Staatsanwaltschaft in Flensburg auf freien Fuß gesetzt. Die Anschuldigungen waren nicht haltbar.
Bürgermeister Coors war damit nicht zufrieden. Er legte Heymann nahe, „zur Vermeidung von Zwischenfällen, die seine erneute Verhaftung notwendig machen können, seinen Wohnsitz hier einstweilen aufzugeben.“
Auf Seite 430 und 431 wird über Gerhard Hensen berichtet:
„Er (Gerhard Hensen – Anmerkung von mir) sprach mit jedem Kunden darüber, in Friedrichstadt im Laden und unterwegs auf seinen Kaffee-Verkaufstouren. Auf einer solchen Reise wurde er in Heide Anfang November 1933 festgenommen wegen „abfälliger Äußerungen über den Reichskanzler Adolf Hitler und wegen pazifistischer Umtriebe“. Die Staatsanwaltschaft befragte den Bürgermeister nach Hensens Wohlverhalten. Coors meinte, es reiche nicht für ein Strafverfahren, jedoch: „Sein Gesamtverhalten ist aber geeignet, in der Öffentlichkeit Anstoß zu erregen und die Arbeit der Staatsfeinde zu unterstützen (Miesmacherei). Das gegen ihn anzuwendende Mittel dürfte daher die Unterbringung in einem Konzentrationslager sein. Dazu liegt um so mehr Anlaß vor, als Hensen kürzlich in einer Eingabe in seiner Fürsorgesache an den Bezirksausschuß in Schleswig in unerhörter Weise Regierungsmaßnahmen kritisiert und dabei auch über den Herrn
Reichspräsidenten achtungswidrige Äußerungen gemacht hat.“
Dass ein so engagiertes Verfolgen von Andersdenkenden und jüdischen Mitbürgern dem Pinneberger NSDAP-Ortsgruppenleiter Krömer gefallen hat und er sich somit sehr für Coors eingesetzt hat, ist nun mehr als verständlich. Hier haben sich zwei Menschen getroffen, die sich verstanden.
Mein Vorschlag für einen kurzen Text unter dem Bild von Herr Coors:
„Bürgermeister Coors hat engagiert Andersdenkende und jüdische Mitbürgern verfolgt mit dem Ziel einer Einweisung in einem Konzentrationslager. 1958 hat die Stadt Pinneberg ihm ein Ehrengrab gegeben.“
Zum Schluss sollte die Bürgermeistergalerie weiterhin im Foyer gezeigt werden, dann muss die „schwarze Lücke“ 1933 bis 1937 gefüllt werden. Die Begründung – es gäbe kein Bild von dem Nazi Backhaus – ist da nicht ausreichend. Die Lücke müsste erklärt werden, warum hängt Herr Coors da und Herr Backhaus nicht.
Welches „Nie wieder! Ist jetzt!“ wird mit der Bürgermeistergalerie unterstrichen?
Eine interessante Frage!
Ein weiterer Vorschlag für das Foyer im Rathaus von meiner Seite:
Ich finde es gut und überfällig, wenn die Ratsversammlung, den in der NS-Zeit verfolgten Stadtverordneten z.B. mit einer Gedenktafel im Foyer des Rathauses ehrt. Diese Tafel alleine wäre eine wichtige Relativierung zu den Irritationen durch die jetzige Bürgermeistergalerie.
Auf diese Tafel gehören mindestens diese Stadtverordneten:
Heinrich Geick, KPD (ermordet im Gefängnis Neumünster 1935)
Verhaftet bei der „Aktion Gewitter“ 23.8.44:
Heinrich Boschen, SPD (verstorben an den Folgen der Folter: 4.Oktober 1944)
Olga Geick, KPD
Emilie Helm, SPD
Anna Ipsen, SPD
Richard Köhn, SPD
Heinrich Lempfert, SPD
Peter Lohmann, KPD
Wilhelm Schmidt , SPD (ertrank am 3. Mai 1945 beim Untergang der MS Cap Arcona)
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Borchardt
Sprecher der Initiative 8. Mai Pinneberg