Zigeunerweg

Der ehemalige 'Zigeunerweg' (Foto: Jörg Penning, 2007)
Berkholzstraße, Quickborn

Die heute unscheinbar wirkende Berckholtzstraße am nördlichen Rand Quickborns hieß in früheren Zeiten „Zigeunerweg“. Die Namensgebung lässt sich zurückführen auf die Aufenthaltsbeschränkung von reisenden Roma und Sinti: Als stigmatisierte ethnische Gruppen durften sie nicht im Ort Rast machen, sondern mussten zum Nächtigen mit ihren Wagen vorgegebene Plätze aufsuchen. Für die Landgemeinde Quickborn war dieses der „Zigeunerweg“. Noch heute sind die ehemaligen Wagenstellplätze als Ausbuchtungen am Anfang der Straße zu erkennen.[1] Später wurde der „Zigeunerweg“ nach der dort seit 1966 ansässigen Pyrotechnischen Fabrik J. G. W. Berckholtz umbenannt.[2]

Ein Zeitzeuge erinnerte sich: „Wir hatten einmal eine Kuhwiese am Langelohweg, eine Straße weiter. Da war ich vier oder fünf Jahre [ca. 1936, d. Verf.]. Da kann ich mich noch daran erinnern, dass wir mit einem Milchwagen da ankamen. Da hatte sich gerade ein Zigeuner da angesiedelt. Ich erinnere noch, wie da so ein kleiner Wohnwagen, Jahrmarktwagen, war. Dann ging das Diskutieren los. Mein Vater wollte sein Pferd da auf dem Weg grasen lassen. Und er [der „Zigeuner“, d. Verf.] konnte wohl nicht richtig deutsch, das war ein ziemliches Palaver. Und ich als kleines Kind hatte ja Angst vor den Zigeunern. In der Nacht ist da noch ein Kind geboren. Als meine Eltern nächsten Tag da hingekommen sind, da sind die von der Pinnau gekommen und da hatten sie ein kleines Kind getauft. Die Taufen ja selbst. Die fassen es an den Beinen und dann schlingern sie es einmal in den Bach, dann ist es getauft.[3]

Bereits lange vor dem Nationalsozialismus wurden Roma und Sinti aufgrund ihrer anderen Lebensweise und Kultur diskriminiert. So war es ihnen neben den Aufenthaltsbeschränkungen verboten, in größeren Familienverbänden zu reisen.[4] In der NS-Zeit schürte die Lokalpresse rassistische Vorbehalte, indem sie die Angehörigen mit kriminellen Taten in Verbindung brachte.[5]

Roma und Sinti wurden ebenso wie Juden mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 rechtlich nicht mehr als deutsche Staatsangehörige angesehen. 1936 begannen die Nationalsozialisten Roma und Sinti in den Großstädten in Lagern zu ghettoisieren. Häufig wurden Angehörige dieser Minderheiten auch als „Asoziale“ in Konzentrationslagern eingewiesen. Mit der 1938 bei der Kriminalpolizei eingerichteten „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ wurden Roma und Sinti systematisch erfasst und ab Mai 1940 aus dem Gebiet des Deutschen Reiches ins Generalgouvernement Polen in Zwangsarbeitslagern deportiert, von wo aus ein Großteil im Januar 1943 nach Ausschwitz verschleppt wurde.[6] Unter den bis zu 50.000 im „Ditten Reich“ ermordeten Roma und Sinti befanden sich ca. 300 aus Schleswig-Holstein.[7] Einer der in Auschwitz umgekommenen „Zigeuner“ war der am 06.10.1886 in Quickborn geborene Otto Rosenberg. Er lebte in Hamburg-St. Georg,[8] später dann in Berlin-Marzahn und starb am 21.10.1943 mit 57 Jahren im „Zigeunerlager“ Auschwitz II / Birkenau.[9]

 

Veröffentlicht von Jörg Penning am

Ein Hinweis zu “Zigeunerweg”

  1. Rosa Ludwigsen sagt:

    Lieber Herr Penning!
    Die Firma J.G.W. Berckholtz wurde 1838 als Feuerwerkerei gegründet. Ihr Sitz war in der Nähe des Volksparks zwischen Hogenfeldweg und Volksparkstraße in unmittelbarer Nähe eines Kiesgruben-Geländes, dem Winsberg. In die Kiesgrubenwände waren Höhlen eingegraben zur Lagerung der pyrotechnischen Erzeugnisse, die auch auf dem Gelände getestet wurden.
    In den Kriegsjahren stellte sich die Firma um auf die Herstellung von Munition.
    Ich habe von 1954 – 1959 mit meiner kleinen Familie in einem Nissenhüttenlager auf dem ehemaligen Zwangsarbeitslager Volksparkstr./Lederstr. gelebt. Damals gab es während der Nazi-Herrschaft auch ein Zigeunerlager.
    Im Zwangsarbeitslager lebten auch Frauen und Kinder, die bei der Firma Berckholtz arbeiten mußten. Die Kinder hatten Granaten und Patronen anzumalen, man hielt ihre kleinen Finger für diese Arbeit geeignet.
    Im S-Bahnhof Stellingen ist eine Tafel angebracht zum Gedenken an die Zwangsarbeitenden. Die Historikerin und Autorin Anke Schulz von der Luruper Geschichtswerkstatt hat sich lange eingesetzt für diese Gedenktafel und ein Büchlein herausgebracht über das Zwangsarbeitslager.

    Mit freundlichen Grüßen
    Rosa Ludwigsen

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