19. August 1934
Kieler Straße, Quickborn
Auf einer Fläche nördlich der Kirche an der Kieler Straße hatte Wilhelm Kahle einen kleinen Verkaufspavillon, wo er Tabakwaren, Süßigkeiten und alkoholfreie Getränke an die Einheimischen und Durchreisenden verkaufte. Es war eine exponierte Stelle an der Hauptverkehsstraße mitten in der Landgemeinde.
Als am 19. August 1934 die Nationalsozialisten eine Volksabstimmung zur nachträglichen Bestätigung Adolf Hitlers als Reichspräsidenten ansetzten, befestigten insgeheim in der Nacht vor der Scheinwahl Gegner des Nationalsozialismus eine rote Fahne, das Zeichen der verbotenen kommunistischen Bewegung, auf dem Pavillon. Die Heimatpresse berichtete voller Abscheu von dieser Aktion (siehe Quelle).
Dies war ein äußerst mutiges Zeichen des Widerstandes, denn bei einem Ergreifen der „Täter“ wäre dieses nicht ohne schwerwiegende Folgen geblieben. Sie blieben unbekannt. Da Wilhelm Kahle vor der Machtübernahme der NSDAP sich in der SPD engagierte, fiel auch der Verdacht auf ihn. Er selbst wird sich aber sicherlich nicht einer solchen Gefahr ausgesetzt haben. Mehrfach wurde nach dem Geschehen sein Pavillon von den Nazis mit Parolen beschmiert.
Was der Lokalpresse ebenfalls negativ auffiel, war der hohe Gegenstimmenanteil bei der Volksabstimmung in der Bevölkerung, besonders im Ortsteil Quickborn-Heide. Die Abstimmung sollte für das In- und Ausland die große Zustimmung zur Politik Adolf Hitlers aufzeigen und wurde mit einem erheblichen Propaganda-Aufwand betrieben. Allein sich an der Abstimmung nicht zu beteiligen, galt schon als ablehnende Haltung gegenüber dem NS-Regime. Trotzdem verweigerte fast ein Drittel der Wahlberechtigten in Quickborn-Heide den Wahlgang, stimmten mit Nein oder gaben einen ungültigen Stimmzettel ab. Auch dieses ist ein Zeichen dafür, dass in einem Teil der Bevölkerung Quickborns auch noch eineinhalb Jahre nach der Machtübernahme das NS-Regime auf Ablehnung stieß.
Offensiver Widerstand gegen den Nationalsozialismus war gerade in der überschaubaren Landgemeinde Quickborn kaum möglich. Zu sehr waren den Nationalsozialisten die politischen Kontrahenten aus der Zeit der Weimarer Republik bekannt und zu groß war die Gefahr, bei einer illegalen Aktion ausfindig gemacht zu werden. Ein Abtauchen in die Anonymität der Großstadt war in dem dünn besiedelten Quickborn nicht möglich. Dennoch gab es auch hier Ereignisse, die auf Widerstandshandlungen hindeuten könnten:
- Im April 1934 berichtete die Lokalpresse, dass im Ortsteil Elsensee versteckte Sprengkapseln aufgefunden wurden. Das Pinneberger Tageblatt schrieb hierüber: „Mutmaßlich sind diese zur Zeit der Umwälzung [gemeint ist die Phase der Machtübernahme der Nationalsozialisten, d. Verf.] in dem Schuppen versteckt worden.“
- Im Dezember 1934 hatten „abseits der Volksgemeinschaft stehende Rüpel“ in Quickborn-Heide Räumlichkeiten der Hitler-Jugend aufgebrochen, Stahlhelme, Mäntel und Seitengewehre gestohlen, Einrichtungsgegenstände umgestoßen und die Räumlichkeiten sowie den Eingangsbereich „in der gemeinsten Weise beschmutzt“.
- Etwa fünf Monate später war die Hitler-Jugend erneut von einem Einbruch betroffen gewesen. Diesmal suchten Unbekannte nachts das HJ-Heim im Werkhaus nahe des Bahnhofs auf und „ließen deutliche Spuren ihrer niedrigen, erbärmlichen Gesinnung zurück“ . Hier wurde ebenfalls die Eingangstür aufgebrochen sowie das Mobiliar umgeworfen und beschädigt. Zudem wurden zwei Kavalleriedegen entwendet. Dieser Einbruch wiederholte sich eine Woche später noch einmal. Obwohl inzwischen die Türen besser gesichert waren, kam es in der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1935 erneut dazu, dass „Rüpels dort ihr verwerfliches Wesen getrieben hatten.“
- 1935 ermittelte die Gestapo gegen den illegal tätigen Kommunistischen Jugendverband des Bezirks Wasserkante. Anlass der Ermittlungen war ein mit Namen versehenes Notizbuch, das die Polizei einem festgenommenen Hamburger Funktionär der Jugendorganisation abgenommen hatte. Hierin aufgeführt war auch Wilhelm Burmeister aus Quickborn-Heide. Der 1910 in Quickborn geborene Burmeister war vor der Machtübernahme 1933 in der Landgemeinde Quickborn als KPD-Mitglied bekannt, beteiligte sich an Streiks und an Auseinandersetzungen gegen Nationalsozialisten.
- In der Zeit der Ende März 1936 angesetzten Reichstagswahl der Nationalsozialisten wurden in der Kieler Straße und in der Friedrichsgaber Chaussee zwei Hakenkreuzfahnen gestohlen und hierbei auch ein Fahnenmast umgestoßen, was die Lokalpresse mit den Worten kommentierte: „Hoffentlich gelingt es noch, diese unverschämten Frevler zu fassen, damit man diese einmal richtig erziehen kann.“
- Ein wichtiger nationaler Feiertag der Nationalsozialisten war der Jahrestag der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar. Jährlich wurde dieser Jahrestag durch öffentliche Versammlungen mit Radioübertragungen der Reden von Hitler und Goebbels begangen. Im Vorwege berichtete die Lokalzeitung: „Während des Volksempfanges hat die Arbeit zu ruhen. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass jeder einzelne, ob im Betrieb oder im Haus, die wichtige Sendung durch den Rundfunk vernimmt und somit teil hat an dem Geschehen. Volksgenossen, die keine Apparate haben, wollen sich bei Nachbarn oder in Gaststätten einfinden.“ Durch einen Stromausfall, der durch das Fällen eines Baumes verursacht wurde, der die Hochspannungsleitung zerstörte, konnte am 30. Januar 1937 der „Gemeinschaftsempfang“ nicht in der gewünschten Form durchgeführt werden. Die Presse schrieb: „Am 30. Januar, um 8.30 Uhr, war Quickborn plötzlich ohne Strom und zwar bis 11.25 Uhr. Die Erregung war allgemein groß, da die Uebertragung der Rede des Reichsministers Dr. Goebbels ausfallen musste und auch noch nicht die Gewissheit vorlag, dass die spätere Uebertragung der Führerrede möglich sein werde.“
- Am 12. Februar 1943 meldete der Sicherheitsdienst der SS in einem geheimen Lagebericht unter der Rubrik „Sabotage“: „Seit Ende Dezember 1942 wurden, wie die Stapostelle Kiel mitteilt, in Quickborn und Umgebung (Provinz Schleswig-Holstein) wiederholt Telefon- und Hochspannungsleitungen zerschnitten, Kabelfasern abgetrennt und die Kabelverschlüsse zerstört. Zahlreiche Betriebsstörungen waren die Folge.“
Eine Form des Widerstandes war die Solidarität mit politisch Verfolgten, die sich darin ausdrückte, gesuchte Personen für einen Zeitraum zu verstecken. Drei Fälle sind anhand der Quellen bekannt:
- Das KPD-Mitglied Carl Just, der mit seiner ebenfalls politsch engagierten Frau Henny am Elsensee wohnte und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten selbst mehrere Monate inhaftiert war, gab in der Nachkriegszeit an, flüchtigen Genossen in seiner Wohnung in Quickborn Unterschlupf gewährt zu haben.
- Der Zeitzeuge Willi Malmberg erinnerte sich daran, dass sein Vater Wilhelm Malmberg, ehemaliges Mitglied der KPD, unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten für ein paar Tage einen KPD-Funktionär aus Hamburg in seiner Wohnung im Harksheider Weg versteckte: „Ein paar Tage war einer bei uns, der kam aus Hamburg. Das war auch 1933 gleich nach dem Umsturz. Und zwar ein gewisser André. War auch ein Führer von der KPD. Irgendwie haben sie den, glaub ich, auch hingerichtet. Ein paar Tage haben sie den noch bei uns in der Abseite versteckt. Ich glaub der hieß Paul André. (…) Und nachher ist er dann bei Nacht und Nebel wieder stiften gegangen.“
- Mitte Mai 1933 berichtete die Lokalpresse: „Festgenommen wurde am 10. Mai, abends von der Hilfspolizei der KPD.-Funktionär H. aus Itzehoe, der sich hier im Ort verborgen hielt und schon seit längerer Zeit von der Kriminalpolizei Itzehoe gesucht wurde. H. wurde am gestrigen Tage von Itzehoer Polizeibeamten von hier abgeholt und dem Gerichtsgefängnis in Itzehoe ausgeliefert.“ Bei dem Festgenommenen handelte es sich um den Monteur Conrad Heck, der sich seit 1927 in Itzehoe in der KPD engagierte, hier den „Kampfbundes gegen den Faschismus“ leitete und für die Partei als Landessekretär tätig war. Er wurde bereits Ende Februar 1933 das erste Mal kurzfristig festgenommen und bei der Vernehmung misshandelt und bewusstlos geschlagen. Als nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 seine erneute Verhaftung drohte, tauchte er in Quickborn bei seinem Onkel unter. Hier nahm er mehrere kurzfristige Beschäftigungen an und arbeitete u.a. in einem Gärtnereibetrieb. Auf eine anonyme Anzeige hin wurde sein Aufenthalt am 10. Mai 1933 verraten und Heck verhaftet. Bis Mitte März 1934 war er im KZ Esterwegen in „Schutzhaft“.
Über einen Versuch des Aufbaus eines bewaffneten Widerstandes, berichtete der Funktionär des Internationales Sozialistischen Kampfbundes (ISK) Hellmut Kalbitzer in seinem Bericht über die Nazi-Zeit. Der ISK war eine in der Weimarer Republik hervorgegangene politische Gruppierung, die sich aus Kritik an der Politik der Parteiführung von der SPD abwendete. In der Zeit des Nationalsozialismus unterhielt er in Deutschland ein illegales Widerstandsnetz und Kontakte zu den Engländern. Ähnlich wie in den von Deutschen besetzten Gebieten, in denen Partisanen über den Luftweg von Alliierten mit militärischen Gütern beliefert wurden, gab es auch in Deutschland anfangs die Überlegung, Widerstandskämpfer mit Waffen zu versorgen, um das NS-Regime schneller zu Fall zu bringen. So sollte 1944 in der Nähe von Hamburg eine geeignete Stelle ausfindig gemacht werden, über die insgeheim Waffen abgeworfen werden konnten. Hellmut Kalbitzer benannte hierauf die Gegend um Quickborn-Heide, die er im Herbst 1944 mit einem Pinneberger Genossen inspizierte. Hier schien ein Fallschirmabwurf aufgrund des weitläufigen, gering besiedelten Gebietes und der Möglichkeit des Weitertransports mit der AKN-Bahn noch am ehesten möglich. Doch zu einer Waffenlieferung durch die Engländer war es dann nicht mehr gekommen. Der Abbruch des Vorhabens wird vermutlich mit einer Neueinschätzung der tatsächlichen Stärke des deutschen Widerstandes zusammenhängen.