Wi­der­stand- Rote Fah­ne am Wahl­sonn­tag 1934

Verkaufspavillon von Wilhelm Kahle an der Kieler Straße (rechts), Quickborn 1930er Jahre (Fotograf unbekannt, ca. 1930er Jahre)
Verkaufspavillion von Wilhelm Kahle an der Kieler Straße, Quickborn 1930er Jahre (Foto: Paul Hebold / Sammlung: Matthias Fischer-Willwater)
19. Au­gust 1934
Kie­ler Stra­ße, Quick­born

Auf ei­ner Flä­che nörd­lich der Kir­che an der Kie­ler Stra­ße hat­te Wil­helm Kah­le ei­nen klei­nen Ver­kaufspa­vil­lon, wo er Ta­bak­wa­ren, Sü­ßig­kei­ten und al­ko­hol­freie Ge­trän­ke an die Ein­hei­mi­schen und Durch­rei­sen­den ver­kauf­te. Es war eine ex­po­nier­te Stel­le an der Haupt­ver­kehs­stra­ße mit­ten in der Land­ge­mein­de.[1]

Als am 19. Au­gust 1934 die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten eine Volks­ab­stim­mung zur nach­träg­li­chen Be­stä­ti­gung Adolf Hit­lers als Reichs­prä­si­den­ten an­setz­ten, be­fes­tig­ten ins­ge­heim in der Nacht vor der Schein­wahl Geg­ner des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus eine rote Fah­ne, das Zei­chen der ver­bo­te­nen kom­mu­nis­ti­schen Be­we­gung, auf dem Pa­vil­lon. Die Hei­mat­pres­se be­rich­te­te vol­ler Ab­scheu von die­ser Ak­ti­on (sie­he Quel­le).[2]

Dies war ein äu­ßerst mu­ti­ges Zei­chen des Wi­der­stan­des, denn bei ei­nem Er­grei­fen der „Tä­ter“ wäre die­ses nicht ohne schwer­wie­gen­de Fol­gen ge­blie­ben. Sie blie­ben un­be­kannt. Da Wil­helm Kah­le vor der Macht­über­nah­me der NS­DAP sich in der SPD en­ga­gier­te, fiel auch der Ver­dacht auf ihn. Er selbst wird sich aber si­cher­lich nicht ei­ner sol­chen Ge­fahr aus­ge­setzt ha­ben. Mehr­fach wur­de nach dem Ge­sche­hen sein Pa­vil­lon von den Na­zis mit Pa­ro­len be­schmiert.[3]

Was der Lo­kal­pres­se eben­falls ne­ga­tiv auf­fiel, war der hohe Ge­gen­stim­men­an­teil bei der Volks­ab­stim­mung in der Be­völ­ke­rung, be­son­ders im Orts­teil Quick­born-Hei­de. Die Ab­stim­mung soll­te für das In- und Aus­land die gro­ße Zu­stim­mung zur Po­li­tik Adolf Hit­lers auf­zei­gen und wur­de mit ei­nem er­heb­li­chen Pro­pa­gan­da-Auf­wand be­trie­ben. Al­lein sich an der Ab­stim­mung nicht zu be­tei­li­gen, galt schon als ab­leh­nen­de Hal­tung ge­gen­über dem NS-Re­gime. Trotz­dem ver­wei­ger­te fast ein Drit­tel der Wahl­be­rech­tig­ten in Quick­born-Hei­de den Wahl­gang, stimm­ten mit Nein oder ga­ben ei­nen un­gül­ti­gen Stimm­zet­tel ab. Auch die­ses ist ein Zei­chen da­für, dass in ei­nem Teil der Be­völ­ke­rung Quick­borns auch noch ein­ein­halb Jah­re nach der Macht­über­nah­me das NS-Re­gime auf Ab­leh­nung stieß.

Of­fen­si­ver Wi­der­stand ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus war ge­ra­de in der über­schau­ba­ren Land­ge­mein­de Quick­born kaum mög­lich. Zu sehr wa­ren den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die po­li­ti­schen Kon­tra­hen­ten aus der Zeit der Wei­ma­rer Re­pu­blik be­kannt und zu groß war die Ge­fahr, bei ei­ner il­le­ga­len Ak­ti­on aus­fin­dig ge­macht zu wer­den. Ein Ab­tau­chen in die An­ony­mi­tät der Groß­stadt war in dem dünn be­sie­del­ten Quick­born nicht mög­lich. Den­noch gab es auch hier Er­eig­nis­se, die auf Wi­der­stands­hand­lun­gen hin­deu­ten könn­ten:

  • Im April 1934 berichtete die Lokalpresse, dass im Ortsteil Elsensee versteckte Sprengkapseln aufgefunden wurden. Das Pinneberger Tageblatt schrieb hierüber: „Mutmaßlich sind diese zur Zeit der Umwälzung [gemeint ist die Phase der Machtübernahme der Nationalsozialisten, d. Verf.] in dem Schuppen versteckt worden.[4]
  • Im Dezember 1934 hatten „abseits der Volksgemeinschaft stehende Rüpel[5] in Quickborn-Heide Räumlichkeiten der Hitler-Jugend aufgebrochen, Stahlhelme, Mäntel und Seitengewehre gestohlen, Einrichtungsgegenstände umgestoßen und die Räumlichkeiten sowie den Eingangsbereich „in der gemeinsten Weise beschmutzt“.[6]
  • Etwa fünf Monate später war die Hitler-Jugend erneut von einem Einbruch betroffen gewesen. Diesmal suchten Unbekannte nachts das HJ-Heim im Werkhaus nahe des Bahnhofs auf und „ließen deutliche Spuren ihrer niedrigen, erbärmlichen Gesinnung zurück[7]. Hier wurde ebenfalls die Eingangstür aufgebrochen sowie das Mobiliar umgeworfen und beschädigt. Zudem wurden zwei Kavalleriedegen entwendet.[8] Dieser Einbruch wiederholte sich eine Woche später noch einmal. Obwohl inzwischen die Türen besser gesichert waren, kam es in der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1935 erneut dazu, dass „Rüpels dort ihr verwerfliches Wesen getrieben hatten.[9]
  • 1935 ermittelte die Gestapo gegen den illegal tätigen Kommunistischen Jugendverband des Bezirks Wasserkante. Anlass der Ermittlungen war ein mit Namen versehenes Notizbuch, das die Polizei einem festgenommenen Hamburger Funktionär der Jugendorganisation abgenommen hatte. Hierin aufgeführt war auch Wilhelm Burmeister aus Quickborn-Heide.[10] Der 1910 in Quickborn geborene Burmeister war vor der Machtübernahme 1933 in der Landgemeinde Quickborn als KPD-Mitglied bekannt, beteiligte sich an Streiks und an Auseinandersetzungen gegen Nationalsozialisten.[11]
  • In der Zeit der Ende März 1936 angesetzten Reichstagswahl der Nationalsozialisten wurden in der Kieler Straße und in der Friedrichsgaber Chaussee zwei Hakenkreuzfahnen gestohlen und hierbei auch ein Fahnenmast umgestoßen, was die Lokalpresse mit den Worten kommentierte: „Hoffentlich gelingt es noch, diese unverschämten Frevler zu fassen, damit man diese einmal richtig erziehen kann.[12]
  • Ein wichtiger nationaler Feiertag der Nationalsozialisten war der Jahrestag der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar. Jährlich wurde dieser Jahrestag durch öffentliche Versammlungen mit Radioübertragungen der Reden von Hitler und Goebbels begangen. Im Vorwege berichtete die Lokalzeitung: „Während des Volksempfanges hat die Arbeit zu ruhen. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass jeder einzelne, ob im Betrieb oder im Haus, die wichtige Sendung durch den Rundfunk vernimmt und somit teil hat an dem Geschehen. Volksgenossen, die keine Apparate haben, wollen sich bei Nachbarn oder in Gaststätten einfinden.[13] Durch einen Stromausfall, der durch das Fällen eines Baumes verursacht wurde, der die Hochspannungsleitung zerstörte, konnte am 30. Januar 1937 der „Gemeinschaftsempfang“ nicht in der gewünschten Form durchgeführt werden. Die Presse schrieb: „Am 30. Januar, um 8.30 Uhr, war Quickborn plötzlich ohne Strom und zwar bis 11.25 Uhr. Die Erregung war allgemein groß, da die Uebertragung der Rede des Reichsministers Dr. Goebbels ausfallen musste und auch noch nicht die Gewissheit vorlag, dass die spätere Uebertragung der Führerrede möglich sein werde.[14]
  • Am 12. Februar 1943 meldete der Sicherheitsdienst der SS in einem geheimen Lagebericht unter der Rubrik „Sabotage“: „Seit Ende Dezember 1942 wurden, wie die Stapostelle Kiel mitteilt, in Quickborn und Umgebung (Provinz Schleswig-Holstein) wiederholt Telefon- und Hochspannungsleitungen zerschnitten, Kabelfasern abgetrennt und die Kabelverschlüsse zerstört. Zahlreiche Betriebsstörungen waren die Folge.[15]

Eine Form des Wi­der­stan­des war die So­li­da­ri­tät mit po­li­tisch Ver­folg­ten, die sich dar­in aus­drück­te, ge­such­te Per­so­nen für ei­nen Zeit­raum zu ver­ste­cken.  Drei Fäl­le sind an­hand der Quel­len be­kannt:

  • Das KPD-Mitglied Carl Just, der mit seiner ebenfalls politsch engagierten Frau Henny am Elsensee wohnte und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten selbst mehrere Monate inhaftiert war, gab in der Nachkriegszeit an, flüchtigen Genossen in seiner Wohnung in Quickborn Unterschlupf gewährt zu haben.[16]
  • Der Zeitzeuge Willi Malmberg erinnerte sich daran, dass sein Vater Wilhelm Malmberg, ehemaliges Mitglied der KPD, unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten für ein paar Tage einen KPD-Funktionär  aus Hamburg in seiner Wohnung im Harksheider Weg versteckte: „Ein paar Tage war einer bei uns, der kam aus Hamburg. Das war auch 1933 gleich nach dem Umsturz. Und zwar ein gewisser André. War auch ein Führer von der KPD. Irgendwie haben sie den, glaub ich, auch hingerichtet. Ein paar Tage haben sie den noch bei uns in der Abseite versteckt. Ich glaub der hieß Paul André. (…) Und nachher ist er dann bei Nacht und Nebel wieder stiften gegangen.[17]
  • Mitte Mai 1933 berichtete die Lokalpresse: „Festgenommen wurde am 10. Mai, abends von der Hilfspolizei der KPD.-Funktionär H. aus Itzehoe, der sich hier im Ort verborgen hielt und schon seit längerer Zeit von der Kriminalpolizei Itzehoe gesucht wurde. H. wurde am gestrigen Tage von Itzehoer Polizeibeamten von hier abgeholt und dem Gerichtsgefängnis in Itzehoe ausgeliefert.[18] Bei dem Festgenommenen handelte es sich um den Monteur Conrad Heck, der sich seit 1927 in Itzehoe in der KPD engagierte, hier den „Kampfbundes gegen den Faschismus“ leitete und für die Partei als Landessekretär tätig war. Er wurde bereits Ende Februar 1933 das erste Mal kurzfristig festgenommen und bei der Vernehmung misshandelt und bewusstlos geschlagen. Als nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 seine erneute Verhaftung drohte, tauchte er in Quickborn bei seinem Onkel unter. Hier nahm er mehrere kurzfristige Beschäftigungen an und arbeitete u.a. in einem Gärtnereibetrieb. Auf eine anonyme Anzeige hin wurde sein Aufenthalt am 10. Mai 1933 verraten und Heck verhaftet. Bis Mitte März 1934 war er im KZ Esterwegen in „Schutzhaft“.[19]

Über ei­nen Ver­such des Auf­baus ei­nes be­waff­ne­ten Wi­der­stan­des, be­rich­te­te der Funk­tio­när des In­ter­na­tio­na­les So­zia­lis­ti­schen Kampf­bun­des (ISK) Hell­mut Kal­bit­zer in sei­nem Be­richt über die Nazi-Zeit. Der ISK war eine in der Wei­ma­rer Re­pu­blik her­vor­ge­gan­ge­ne po­li­ti­sche Grup­pie­rung, die sich aus Kri­tik an der Po­li­tik der Par­tei­füh­rung von der SPD ab­wen­de­te. In der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus un­ter­hielt er in Deutsch­land ein il­le­ga­les Wi­der­stands­netz und Kon­tak­te zu den Eng­län­dern. Ähn­lich wie in den von Deut­schen be­setz­ten Ge­bie­ten, in de­nen Par­ti­sa­nen über den Luft­weg von Al­li­ier­ten mit mi­li­tä­ri­schen Gü­tern be­lie­fert wur­den, gab es auch in Deutsch­land an­fangs die Über­le­gung, Wi­der­stands­kämp­fer mit Waf­fen zu ver­sor­gen, um das NS-Re­gime schnel­ler zu Fall zu brin­gen. So soll­te 1944 in der Nähe von Ham­burg eine ge­eig­ne­te Stel­le aus­fin­dig ge­macht wer­den, über die ins­ge­heim Waf­fen ab­ge­wor­fen wer­den konn­ten. Hell­mut Kal­bit­zer be­nann­te hier­auf die Ge­gend um Quick­born-Hei­de, die er im Herbst 1944 mit ei­nem Pin­ne­ber­ger Ge­nos­sen in­spi­zier­te. Hier schien ein Fall­schir­m­ab­wurf auf­grund des weit­läu­fi­gen, ge­ring be­sie­del­ten Ge­bie­tes und der Mög­lich­keit des Wei­ter­trans­ports mit der AKN-Bahn noch am ehes­ten mög­lich. Doch zu ei­ner Waf­fen­lie­fe­rung durch die Eng­län­der war es dann nicht mehr ge­kom­men.[20] Der Ab­bruch des Vor­ha­bens wird ver­mut­lich mit ei­ner Neu­ein­schät­zung der tat­säch­li­chen Stär­ke des deut­schen Wi­der­stan­des zu­sam­men­hän­gen.

 

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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