Pastor Johannes Schmidt – als Mitglied der Bekennenden Kirche verschiedenen Anfeindungen der Nazis ausgesetzt

Bildnis von Pastor Johannes Schmidt in der Klosterkirche (Foto: E. Vogt 2007)
Grabstein von P. Johannes Schmidt auf dem (Neuen) Friedhof in Uetersen (Foto: E. Vogt 2020)
"Die echte Kirche" Titel. Download von der Webseite "geschichte-bk-sh.de"
Vorderseite des Schreibens der Pastoren an Amandus Schmidt (Akte 529 im Kirchenkreisarchiv)
Rückseite des Schreibens an A. Schmidt (Akte 529 im Kirchenkreisarchiv)
Mose in der Klosterkirche Uetersen (Foto: E. Vogt 2023)
Aaron in der Klosterkirche Uetersen (Foto: E. Vogt 2023)
  1. Kindheit, Jugend und Schulzeit

Johannes Friedrich Wilhelm Schmidt wurde am 16. Februar 1891 in Breitenfelde, Kreis Hzgt. Lauenburg, geboren. Seine Eltern waren der Landwirt Joachim Hans Heinrich Schmidt (1843-1907) und Margarethe Maria Katharina Schmidt, geb. Heitmann (1853-1933)[1]. Es gab bereits vier ältere Geschwister (eine Schwester und drei Brüder).

Johannes Schmidt besuchte die Volksschule in Breitenfelde und wechselte nach der 6. Klasse auf die Gelehrtenschule (= Gymnasium) in Ratzeburg. Der bis dahin fehlende Lateinunterricht wurde wohl durch den Ortspastor von Breitenfelde nachgeholt. Der Schulweg zum Bahnhof in Mölln wurde so oft wie möglich per Pferd zurückgelegt[2].

  1. Studium und Militärdienst

Johannes Schmidt studierte anfänglich Medizin. Der ständige Anblick von Blut schreckte ihn jedoch ab und so wechselte er zum Studium der Theologie. Seine Studienorte waren Berlin, Halle und vor allem Heidelberg[3].

Schmidt war von Beginn an Soldat im 1. Weltkrieg. Wegen seiner Körpergröße wurde er bei der kaiserlichen Garde aufgenommen. In der Schlacht um Verdun (1916) wurde er jedoch am Bein verwundet und konnte so das Studium fortsetzen und beenden[4]. Sein ältester Bruder Joachim fiel im gleichen Jahr.

Schmidt wurde am 2. November 1919 in Kiel ordiniert. Er begann als Vikar in Schleswig und wurde dann Hilfsgeistlicher in Todesfelde, Kreis Segeberg[5].

  1. Pastor in Kiebitzreihe

Am 16. Mai 1920 erhielt Schmidt die Pfarrstelle Süderau II (= Kiebitzreihe), Kreis Steinburg.

Am 7. Dezember 1920 heiratete er in Hamburg-Groß Flottbek[6] Klara Auguste Elisabeth Leiser (*1895). In Kiebitzreihe wurden 1921 Tochter Gisela und 1924 und 1926 die Söhne Hans-Joachim und Helmut geboren.

  1. Pastor in Uetersen (vor 1933)

Am 7. August 1927 wurde Johannes Schmidt in Uetersen zum Pastor für den Nordbezirk (= 2. Pfarrstelle) gewählt und am 25. September 1927 in sein Amt eingeführt. Die fünfköpfige Familie wohnte im Pastorat Mühlenstraße 7.

Ende 1928 vergrößerte sich die Familie noch einmal: Sohn Ludwig wird geboren.

Seit 1930 war Schmidt Vorsitzender des Kirchenvorstandes. – Er stellte dazu in der Chronik fest, „… dass es .. das erste Mal seit Bestehen der Kirchengemeinde ist, dass der Pastor, der in der Mühlenstraße wohnt, den Vorsitz im Kirchenvorstand führt …“[7]. – In dieser Eigenschaft war er für den Schriftverkehr mit der Propstei und der Landeskirche zuständig. Die Schreiben des Kirchenvorstandes wurden von ihm handschriftlich abgefasst.

  1. Pastor während des Nationalsozialismus

Hier verweise ich auf meinen Beitrag „Kirchenkampf in Uetersen – Konflikt zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche ab 1933“, der im Heimatkundlichen Jahrbuch für den Kreis Pinneberg 2021 erschienen ist.

Beide Pastoren in Uetersen zählten bereits im Herbst 1932 zum „Bruderkreis junger Theologen“ in Schleswig-Holstein[8] und wurden ab November 1934 Mitglied der Bekenntnisgemeinschaft (= Bekennende Kirche).

Im Januar 1935 fand in der Klosterkirche eine kirchliche Aufbauwoche unter dem Thema „Die echte Kirche“ statt.

Im Herbst 1935 gab es eine Zuspitzung der kirchlichen Lage. In der Chronik verwendete Schmidt sogar den Begriff „Kirchenkampf“. Belegt sind folgende Ereignisse, die für die Zuspitzung der kirchlichen Lage stehen:

  • Ein Brief von Propst Schetelig vom 14. November 1935 an Pastor Schmidt, in dem dieser den amtlichen Schriftwechsel vorläufig abbricht[9].
  • Der Kirchenaustritt des Ortsgruppenleiters Schröter, der sein Amt als Kirchenältester niederlegt[10].
  • Die beiden Pastoren erklären am 6. Dezember 1935 dem Kirchenältesten Amandus Schmidt und dem Kirchenvertreter Johannes Laß schriftlich, dass ihre Mitgliedschaft in den kirchlichen Körperschaften durch den Verlust der Wählbarkeit erloschen ist[11]. – Beiden wird vorgeworfen, das Wohl der Kirche nicht gefördert zu haben, weil sie nicht am gottesdienstlichen Leben und der kirchlichen Gemeindearbeit teilgenommen hatten. – Die Schreiben der Pastoren wurden von der Kirchenvertretung erst in der Sitzung am 20. Dezember 1935 genehmigt.

Amandus Schmidt erhob am 10. Dezember 1935 gegenüber dem Landesbischof „allerschärfsten Protest“ und begründete ihn in sieben verschiedenen Punkten[12]:

Punkt 1 – Pastoren sind Mitglieder der „separatistischen Bekenntnisfront“.

Punkt 2 – direkter Vorwurf gegenüber Pastor Schmidt, Obstruktion zu betreiben … „U.a. hat neulich der Pastor Schmidt dem zuständigen Propsten, Herrn Schetelig in Blankenese erklärt, er werde künftig in Finanzfragen mit dem Landeskirchenamt direkt verkehren unter Umgehung der zuständigen Propstei-Synode. Obwohl ein solches Verhalten ganz offenkundig der geltenden Ordnung widerspricht, hat er dieses Schreiben mit „Der Kirchenvorstand“ unterzeichnet, ohne uns von seinem beabsichtigten Schritte Kenntnis zu geben.“

Punkt 3 – „Beide Pastoren haben durch ihre stockorthodoxe und reaktionäre Predigtart die Gemeinde förmlich aus der Kirche herausgepredigt …“.

Punkt 4 – andersdenkende Volksgenossen als „Säue“ bezeichnet … „Darüber herrscht bei vielen Kindern und ihren Eltern berechtigte Empörung. Es ist so weit gekommen, dass eine Anzahl Kinder nicht konfirmiert werden, sondern in einer gesonderten Unterweisung auf eine Art Jugendweihe vorbereitet werden.“

Punkt 5 – Beschuldigung der Unterschlagung eines amtlichen Schriftstücks.

Punkt 6 – Einstellung eines Vikars (bei P. v. Dorrien) ohne Zustimmung des KV.

2. Punkt 6 – A. Schmidt rechtfertigt sein Fernbleiben vom Gottesdienst damit, dass „man es wirklich einen aufrechten Nationalsozialisten nicht zumuten kann, den schon fast katholischen, stockorthodoxen und rein dogmatischen Salbadereien der Herren zuzuhören …“.

So die Darstellung eines überzeugten Nazis, der jedoch nicht am gemeindlichen Leben – und damit auch nicht am Gottesdienst teilgenommen hatte.

Pastor Schmidt antwortete für den Kirchenvorstand in einem Schreiben vom 21. Januar 1936 an den Synodalausschuss[13]. Lehrer Schmidt „.. hatte wie er sagte, den Vorsatz, am Neubau der Kirche mitzuarbeiten, war aber nicht kirchlich frei genug, so dass, wie dem Unterzeichneten aus den Kreisen der kirchlichen Körperschaften gesagt wurde, er im Grund gegen die Kirche arbeitete[14]. – Am 29. September 1936 äußerte der Synodalausschuss Verständnis dafür, dass der Kirchenvorstand die Mitgliedschaft für untunlich hielt, weil A. Schmidt sich nicht am gottesdienstlichen Leben beteiligt habe. Die Absetzung des Kirchenältesten sei jedoch rechtlich ungültig, weil der gewählte Weg im Widerspruch zur Verfassung stand und dadurch ungangbar sei.[15]

In diese Zeit gehört ein Vorkommnis, das nicht schriftlich, sondern nur mündlich überliefert wurde: In der Klosterkirche sind links und rechts vom Altar Mose und Aaron zu finden; die beiden Stifterfiguren aus dem Alten Testament und damit aus der jüdischen Tradition der (Amts-)kirche. Gemäß den Richtlinien der „Deutschen Christen“ von 1932 war jedoch eine „Entjudung“ der kirchlichen Botschaft durch Abkehr vom Alten Testament vorgesehen[16]. Daher seien Mose und Aaron – aus Sicht der Nazis – aus der Kirche zu entfernen und öffentlich zu zerschellen. Ein Schulmeister aus einem der zugehörigen Dörfer soll diesen Plan propagiert haben. Pastor Schmidt soll in der Kirche gegen dieses Vorhaben von der Kanzel herab gewettert haben: „Mose und Aaron bleiben hier“. – Mose und Aaron sind in der Kirche geblieben und stehen bis heute hier[17].

Zwischen 1937 und 1941 wurden die drei ältesten Kinder konfirmiert. Tochter Gisela heiratete im September 1942 und wohnte mit ihrem Mann im Pastorat. 1943 wird der älteste Enkel von Pastor Schmidt geboren. In diesem Jahr zählt Sohn Hans-Joachim zu den Gefallenen der Kirchengemeinde.

  1. Pastor in Uetersen (nach 1945)

Nach dem Krieg hat auch P. Schmidt mit der Entnazifizierung zu tun: Zwei „Persilscheine“, die Pastor Schmidt ausgestellt hat, sind überliefert und liegen vor. Sie stammen aus den Entnazifizierungsakten im Landesarchiv in Schleswig. Ausgerechnet der ehem. Ortsgruppenleiter Voß und der ehem. Kirchenälteste Amandus Schmidt treten 1947 und 1948 als Bittsteller bei ihm auf!

Pastor Schmidt setzte sich nach dem Krieg dafür ein, dass auf dem (Neuen) Friedhof das Ehrenmal für die Toten des 1. Weltkrieges um ein großes Holzkreuz ergänzt wird. „Das Kreuz will eine doppelte Aufgabe erfüllen, hinweisen auf das Leid der Welt und auf den, der alles Leid wendet, Jesus Christus“ so schreibt er in der Kirchenchronik[18]. Von der Einweihung am 22. Mai 1955 gibt es einen großen Presseartikel in der UeNa, in dem Pastor Schmidt ausführlich zitiert wird. Das Kreuz sei „… ein Zeichen der Gnade Gottes, sei also ein Gnadenkreuz[19]. „Die Besinnung auf sich selbst beginne in Kriegszeiten mit der Einberufung und finde ihren furchtbaren Höhepunkt beim Verlust eines lieben Angehörigen.“[20] – Das hat die Familie Schmidt 1943 selbst erfahren. Das Kreuz nahm in den Erzählungen innerhalb der Familie einen wichtigen Platz ein. Vermutlich ist der Tod des Sohnes der Hintergrund. Gegenüber seinem ältesten Enkel hat sich P. Schmidt dazu nie geäußert, dafür umso mehr seine Frau, die die Trauer um ihren Sohn ihr Leben lang begleitet hat[21].

Am 1. Oktober 1956 trat Johannes Schmidt in den Ruhestand. Am Tag zuvor hielt er in seinem Abschiedsgottesdienst letztmalig die Predigt. Das Ereignis wurde am 29. September in der UeNa angekündigt. Darin wird Pastor Johannes Schmidt auch charakterisiert:

„In all den Jahren seines ‚dienenden‘ Lebens hat die Kirchengemeinde ihren Pastor schätzen gelernt auf Grund seines einfachen, offenen Wesens. Seine Freunde wissen vom Menschen Johannes Schmidt zu sagen, dass er wohl einmal mit den Fröhlichen fröhlich sein kann, dass aber seine nie ermattende Arbeitsfreudigkeit, sein Streben nach Wissen und Wahrheit und nach des Lebens ernsten Dingen ihn fernhalten von allen Dingen, die nur der Zerstreuung dienen.

Es lag während der vergangenen Jahre nicht in seiner Art, im öffentlichen Auftreten Erfolge zu suchen. Seine Begabung führte ihn oft vielmehr an den Schreibtisch, in die stille Arbeit. Gerade für diese Arbeit brachte er mit, was dafür unentbehrlich war: einen scharfen, kritischen Blick, die Fähigkeit selbstlos zu dienen und zu helfen.“[22]

Eine Befragung von drei ehem. Kirchenvorstehern im Frühjahr 2021 ergab, dass Schmidt als streng, aber auch als zugänglich empfunden wurde. In seinen Predigten thematisierte er z.B. auf humorvolle Weise auch das aktuelle Wetter. Darauf wartete man schon, wie es Mitglieder der Ev. Jugend unter Pastor Boldt berichten. Im Konfirmandenunterricht musste das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ (EG 362) auswendig gelernt werden und nach der Einsegnung machte P. Schmidt Besuche im Elternhaus aller Konfirmanden.

Pastor Johannes Schmidt starb am 3. Dezember 1971 in Uetersen; er wohnte mit seiner Frau zuletzt im Tornescher Weg 104.

Da er seine letzte Pfarrstelle in Uetersen innehatte, wurde auch von Schmidt ein Bildnis angefertigt (Kurt Roth), das sich bereits seit 1967 im „Pastorenraum“ der Klosterkirche befindet.

Die Kirchengemeinde schreibt in ihrer Traueranzeige „Wir nehmen Abschied von ihm im Namen aller, die von ihm in fast dreißig Jahren Wegweisung und Hilfe erfahren haben. Im Dank bleiben wir ihm und seiner Frau verbunden, die sein Leben mitgelebt und mitgetragen hat.“[23] Beerdigt wurde Pastor Schmidt nach Trauerfeier in der Klosterkirche am 8. Dezember 1971 auf dem Neuen Friedhof. Er erhielt ein sog. „Pastorengrab“ bei der Neuen Kapelle, das noch heute erhalten ist.

Seine Witwe, Klara Auguste Elisabeth Schmidt, geb. Leiser, starb am 10. Mai 1973 im Alter von 77 Jahren in Uetersen und wurde am 16. Mai 1973 an seiner Seite beigesetzt.

  1. Was von Pastor Schmidt bleibt

Neben den sichtbaren Zeichen – Bildnis in der Kirche und Grab auf dem Friedhof – ist es das Wissen über seine Haltung im Nationalsozialismus, die in der Gemeinde jedoch nicht mehr präsent ist. Schmidt hat sich zusammen mit Pastor v. Dorrien im Rahmen der Bekennenden Kirche engagiert und damit in den Gegensatz zur offiziellen Kirchenpolitik der Nationalsozialisten begeben. Die Bewunderung und Hochachtung für dieses Bekenntnis steigt umso mehr, seit ich davon Kenntnis habe, dass Aktivitäten der Bekennenden Kirche in der damaligen Propstei Pinneberg – fast nur – in Uetersen stattfanden.

 

Erhard Vogt, November 2021

Veröffentlicht von Erhard Vogt am

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