Jens Hansen – Verurteilung vor dem Volksgerichtshof wegen „Wehrkraftzersetzung“

Jens Hansen, Hamburg ca. 1945 (Sammlung: Wahrlich)
Haus Hansen, vormals Dieling, in der Schulstraße, Quickborn 1920er Jahre (Sammlung: Matthias Fischer-Willwater)
14. April 1944
Schulstraße 2, Quickborn

Jens Hansen wurde am 23. Februar 1923 in Altona geboren. Er war der Sohn des Eisenbahnrats Fritz Hansen, wuchs mit seiner Schwester Ingeborg behütet in Altona auf und besuchte die Oberrealsschule für Jungen in Eimsbüttel. Die Familie wohnte in Altona in der Kaltenkirchener Straße Nr. 1[1] und unterhielt ein zweites Wohnhaus in Quickborn in der heutigen Schulstraße Nr. 2.[2] Im Jahr 1935 war der Jens Hansen als Junge in einem Autounfall involviert, der bleibende körperliche Schäden hinterließ, die dazu führten, dass er von der Wehrmacht befreit blieb.[3] Der Vater verstarb früh mit 58 Jahren Anfang März 1943 in Quickborn.[4] Wenige Tage später absolvierte Jens Hansen das Abitur und ließ sich für das Sommersemester 1943 an der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften der Universität Hamburg für ein Studium der Volkswirtschaft einschreiben.

Als die Royal Air Force Ende Juli/Anfang August 1943 unter der Bezeichnung „Gomorrha“ über Hamburg ihre Flächenbombardements durchführte, wurde die Wohnung der Familie Hansen in Altona beschädigt und Jens Hansen am Kopf verletzt. Hieraufhin verbrachte er zur Genesung eine Zeit bei Familienangehörigen in Schleswig.[5]

Jens Hansen hielt nichts von den Nationalsozialisten, und er machte mit seinen 20 Jahren gegenüber Familienangehörigen und Außenstehenden hieraus unvorsichtigerweise keinen Hehl. So fragte er im August 1943 seine Tante: „Seid Ihr noch immer Nazis?“ In einem Gespräch in einem Hotel in Schleswig mit einem ehemaligen Mitschüler, seinen beiden Cousinen und hier verweilenden Schauspielern gab er sich sehr offen in seinen Ansichten und äußerte, dass in vier bis sechs Wochen der Umsturz komme, die Nazis dann dran glauben müssten, Hamburg nach Kriegsende den Engländern zugesprochen werde und Schleswig-Holstein den Dänen. Auch gab er hier an, Sympathien mit Widerstandskreisen zu haben. Darüber hinaus äußerte er sich in Unterhaltungen mit einem im Bürgermeisteramt in Eggebek, Kreis Flensburg, beschäftigten Prokuristen aus Dänemark abfällig über die nationalsozialisitische Regierung. Ein Teil dieser Gesprächsinhalte gelangte zu seinem Onkel Peter Hansen, der in Eggebek eine Schlosserei für Landmaschinen betrieb und ein altes Parteimitglied der NSDAP war. Die Familienzugehörigkeit hinderte Peter Hansen nicht daran, den Sohn seines verstorbenen Bruders bei der Polizei zu denunzieren.[6] Am 20. August 1943 wurde Jens Hansen in Hamburg von der Gestapo festgenommen und in das KZ Fuhlsbüttel gebracht. Die Vernehmungen weiterer Familienangehöriger und Zeugen der Gespräche erwiesen sich als so schwerwiegend, dass die Gestapo Berlin die Ermittlungen übernahm und Ernst Kaltenbrunner als Chef des Reichssicherheitshauptamtes persönlich den Schutzhaftbefehl unterzeichnete, in dem angeführt wurde: „Er gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und des Staates, indem er durch defaitistische Äusserungen den Zusammenhalt der inneren Front zu untergraben sucht.[7] Die Staatsanwaltschaft des Volksgerichtshofs in Berlin prüfte eine Anklage wegen Wehrkraftzersetzung und Hochverrat[8] und ließ Jens Hansen am 11. Janaur 1944 von Fuhlsbüttel in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit überführen.[9]

Während der Nationalsozialist Peter Hansen sich im Vorwege des anstehenden Prozesses in einem Schreiben an einen Familienangehörigen ausführlich für sein Handeln rechtfertigte und kein Mitleid für seinen Neffen empfand (siehe Quelle), bemühte sich insbesondere Jens Hansens Onkel Gustav Sundermann aus Hamburg-Niendorf intensiv um ihn. Dieser stand dem verstorbenen Vater des Angeklagten sehr nahe und fühlte sich daher verpflichtet, seinem Neffen zu helfen. Er versuchte durch Eingaben beim Reichssicherheitshauptamt und bei dem Oberreichsanwalt mäßigend auf das Verfahren einzuwirken und stand in einem regen Kontakt zu dem Verteidiger von Jens Hansen. Dieser schrieb ihm am 12. Februar 1944 zurück: „Wenn in der Gerichtsverhandlung all die von Ihnen angeführten Punkte zeugeneidlich behandelt werden, dann bangt es mir um den Kopf von Jens.“ Letztlich versuchte die Verteidigung im Verfahren, Jens Hansen als eingeschränkt zurechnungsfähig anzuerkennen. Gustav Sundmann hatte zu diesem Zweck den ehemaligen Klassenlehrer von Jens Hansen dazu gewinnen können, entsprechende Bewertungen abzugeben. Dieser bestätigte u.a.: „Der Junge Hansen hatte seit seinem schweren Unfall so oft an Kopfbeschwerden zu leiden, daß er bedeutende Schulversäumnisse aufwies, vor und nach seinem Fehlen deutliche Depressionszustände durchmachte und dann zu keiner geistigen Konzentration fähig war; er litt unter dem Gefühl einer Minderwertigkeit.“ Ein gerichtliches Gutachten kam jedoch zu einem weniger günstigen Ergebnis: „An der vollen strafrechtlichen Verantwortlichkeit bestehen keine Bedenken.[10]

Jens Hansen hatte jedoch noch einmal „Glück“ gehabt und wurde nicht zum Tode verurteilt. Der 3. Senat des Volksgerichtshofs verurteilte ihn wegen „Wehrkraftzersetzung“. Im Urteil vom 14. April 1944 hieß es: „Der Angeklagte Jens Hansen hat sich im August 1943 einer Tante gegenüber defaitistisch geäußert. Da er damals noch unter dem Einfluß eines Terrorangrifs stand, bei dem sein Elternhaus zerstört wurde und da es sich bei ihm um eine unreife und unausgeglichene Persönlichkeit handelt, wird er mit 5 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust bestraft.“ Ein Gnadengesuch wurde im Juni 1944 abgelehnt. Die Haftstrafe saß er bis zum Einmarsch der Briten im Zuchthaus Celle ab. Nach einer Haftzeit von insgesamt etwas über 20 Monaten wurde er hier am 26. April 1945 befreit.[11]

Nach dem Ende des Krieges lebte er dauerhaft in Quickborn bei seiner Mutter und seiner Schwester und hatte hier zeitweise bis Ende der 1950er Jahre seinen ersten Wohnsitz.[12]  Unter den Quickborner Zeitzeugen wird er als arrogant bezeichnet, wohl, weil er als ehemaliger Verfolgter sich nicht zurückhielt mit seiner Abneigung gegenüber den Nationalsozialisten und damit die Personen in seinem Umfeld mit ihrer eigenen braunen Vergangenheit konfrontierte. Treffend wird dieses in den vertonten Tagebuchaufzeichnungen von Uwe Storjohann, die unten in der gekürzten Audiodatei wiedergegeben werden, aufgezeigt.[13] Ausdruck von dieser Abneigung war sicherlich auch seine Eintragungen in Anträgen und Unterlagen hinsichtlich der Staatszugehörigkeit, die er mit „Dänemark“[14] oder „staatenlos“[15] angab.

In den 1950er Jahren entschloss sich Jens Hansen dazu, sein Studium fortzuführen, das er wegen der Verhaftung abbrechen und nach dem Beschluss der Universität Hamburg vom 31. Mai 1944 an keiner deutschen Universität mehr aufnehmen sollte. Um das Studium zu finanzieren, beantragte er 1954 gegenüber der Hamburger Sozialbehörde eine Entschädigung für Ausbildungsschaden. Die Behörde zweifelte jedoch die politischen Hintergründe der Verfolgung an und bezog sich hierbei auf das Volksgerichtsurteil. Mit einer fragwürdigen Begründung wurde der Antrag abgelehnt: „In der Verurteilung wegen Wehrkraftzersetzung nach Maßgabe der Kriegsstrafrechtsverordnung ist aber nicht ohne weiteres eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne der Entschädigungsgesetze zu sehen. Denn die Verbotsnormen der Kriegssonderstrafrechtsverordnung waren für die gesamte Bevölkerung verbindlich und richteten sich nicht gegen einen bestimmten Personenkreis. Bei einem Verstoß wurden nicht nur etwa politische Gegner, sondern auch Angehörige der NSDAP bestraft. Eine Verfolgungsmaßnahme kann in der Verurteilung auf Grund der Kriegsstrafrechtsordnung und einer damit verbundenen Inhaftierung nur dann gesehen werden, sofern der Beroffene mit seinen defaitistischen Äußerungen zugleich seine gegen den nationalsozialistischen Staat gerichtete politische Auffassung zum Ausdruck bringen wollte und außerdem wegen seiner politischen Gegnerschaft zum n.s. [nationalsozialistischen, d. Verf.] Regime in Haft genommen und verurteilt worden ist. Dies ist hier nicht der Fall. Der Antragsteller hat sich vielmehr im engsten Familienkreis, nämlich seiner Tante gegenüber, wie es in der Entscheidungsformel heißt, defaitistisch geäußert, da er noch unter dem Einfluß eines Terrorangriffs gestanden habe, bei dem sein Elternhaus zerstört worden sei. Derartige defaitistische Äußerungen können aber nicht ohne weiteres als Ausdruck einer achtbaren und gefestigten politischen Überzeugung gewertet werden, zumal das Gericht nicht versäumt hat, darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem Antragsteller um eine unausgeglichene und unreife Persönlichkeit gehandelt hat.[16] Dass sich Jens Hansen und sein Verteidiger im Rahmen des Volksgerichtsprozesses bemühten, die Äußerungen als möglichst unpolitisch darzustellen und anderen Umständen zuzuschreiben versuchten, um Schlimmeres – etwa die Todesstrafe – zu verhindern, sollte zehn Jahre später zum Anlass genommen werden, dem ehemaligen Inhaftierten seine politische Motivation und damit seinen Entschädigungsanspruch abzuerkennen. Erfolgreich war die Sozialbehörde mit dem Bemühen der Aberkennung des Verfolgtenstatus jedoch nicht. Beide Seiten verständigten sich im November 1954 auf einen Vergleich.[17]

Jens Hansen verkaufte in den 1960er Jahren das Haus in der Schulstraße. Inzwischen ist es abgerissen und einem neuen Einfamilienhaus gewichen.[18] Er lebte zuletzt in Bremervörde und verstarb vor ca. 10 Jahren.[19]

Veröffentlicht von Jörg Penning am

Kommentieren Sie den Beitrag

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert **

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Navigiere zu
Themen
  • Arbeitslager
  • Ereignis
  • Jugend
  • Nazi-Organisation
  • Person
  • Verfolgung
  • Widerstand
  • Alle Kategorien aktivieren