Das Interview erschien 1985 in der Ortszeitzung der DKP Rellingen „Rund um den Krupunder See“ – Ausgabe 4/1985
Frage: Was bedeutet für Euch der 8. Mai 1945, und wie habt Ihr diesen Tag in Erinnerung?
M.u.W. Gunkel: „Die Engländer standen in Rellingen. Das, was wir uns vorgestellt hatten, daß an jedem Baum ein Deutscher von den Engländern aufgehängt würde, traf nicht ein. Eine Nachbarin, deren Sohn als Soldat bei einem Angriff getötet worden war, kam mit einer Heugabel und wollte die Engländer vertreiben.“
Frage: Wie sah es denn damals in Eurer Straße, in Rellingen aus?
M.u.W .Gunkel: „Hier in der Straße standen vier, vielleicht fünf Häuser. Alles andere waren Baumschulen. Rellingen war von den Bombenangriffen fast verschont geblieben. Wenn Bombenalarm kam, gingen wir zu einem Nachbarn. Der war Nazi, aber er mußte uns Kommunisten in den Luftschutzkeller hineinlassen. Einmal waren meine Eltern unterwegs zu dem Luftschutzbunker, als vor ihnen eine Bombe auf die Straße fiel. Sie konnten nur noch in den Graben springen. Meine Eltern kamen mit einem Schock davon. Aber ich kann erzählen, daß wir am Krupunder Ring, dort wo heute die Hochhäuser stehen, eine Flakstellung hatten. Sowjetische Kriegsgefangene lebten dort in Baracken und sie mußten Hilfsdienste leisten wie z.B. Scheinwerfer putzen. “
Frage: Hattet Ihr Kontakt zu ihnen?
M.u.W. Gunkel:“An die Geräte ließ man die Russen selbstverständlich nicht heran. Oft mals gab meine Mutter den Russen, wenn sie Wasser bei uns holten, Brot zu essen. Mein Vater hatte im Schuppen einen Sack mit Tabakblättern. Davon gab er ihnen auch. Und nachts schlich sich meine Mutter einmal an die Baracken, denn die Gefangenen froren. Sie schmuggelte von hinten Decken und Brot hinein, die aber am nächsten Morgen wieder herausgebracht werden mußten, damit die Aufseher nichts davon merkten. Der Mann wunderte sich nur, daß am Morgen ihm die Gefangenen nicht entgegen fielen vor Kälte und Hunger.“
Frage: Eure Familien hatten während des Faschismus trotz eigener Gefährdung den noch härter Betroffenen geholfen. Ihr habt bestimmt auch gehofft, daß die Verantwortlichen, die Nazis härter bestraft würden, als es dann geschehen ist.
M.u.W. Gunkel: „Wir haben hier noch Glück gehabt. Nach der Kapitulation haben wir erfahren, daß ein Nachbar uns noch im April 45 ins Konzentrationslager schaffen wollte. Vielleicht haben die Nazis in der Ortsgruppe auch nicht mehr an Deutschlands Sieg geglaubt, und das hat uns gerettet. “
Frage: Was haben die Engländer denn als Besatzungsmacht hier in Rellingen mit den Nazis gemacht?
M.u.W. Gunkel: „Ich möchte sagen: gar nichts. Die meisten Nazis sind im Ort geblieben. Viele sind später in die neuen Parteien eingetreten. Der Rellinger Bürgermeister, der Nazi war, wurde später wieder als Bürgermeister eingesetzt. Auch auf den Baumschulen wurden polnische Zwangsarbeiterinnen mißhandelt. Die Verantwortlichen wurden nicht bestraft.“
Frage: Was wünscht Ihr Euch heute, 40 Jahre danach?
M.u.W. Gunkel: „Du weißt ja heute nicht, was kommt. Aber wir wollen hoffen, daß auf der Genfer Konferenz [1] ein bißchen rauskommt. Wir haben in den fünfziger Jahren, als die KPD verboten war, gedacht, daß das Ganze von vorne anfängt. Für unsere Kinder und die jüngere Generation wünschen wir vor allem Frieden.“
Frage: Seid Ihr der Meinung, daß wir heute den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung feiern sollten?
M.u.W. Gunkel: „Wir haben damals den 8 . Mai als einen Tag der Befreiung erlebt und gefeiert. Denn wir wurden von den Alliierten befreit. Den Hauptteil dieser Befreiung hat die Sowjetunion geleistet. Das dürfen wir nicht vergessen.“