4./5. Mai 1945 – Schloßinsel Barmstedt: Marinechefrichter Lorenzen vernichtet Akten und erschießt sich

Dr. jur. Erich Lorenzen. Er war von Oktober 1936 bis Juli 1941 erst Rechtsberater, später Chefrichter beim Stationskommando Nordsee. Sein Nachfolger dort wurde Wilhelm Bucholz. Anschließend war er als Reichskriegsanwalt bis September 1943 am Reichskriegsgericht. Bis zu seinem Tod war er Marineoberstkriegsgerichtsrat, später als Chefrichter bei der Marinestation der Ostsee. 1944 wurde er Admiralrichter. Zum Kriegsende erschoss er sich. (Foto: Familie Lorenzen)
Bildunterschrift: Das ehemalige Amtsgericht auf der Schloßinsel in Barmstedt, Sitz des Marinechefrichters Ostsee von Sept. 1944 bis zu dessen Tod am 4./5. Mai 1945.  Heute befindet sich hier das Museum der Grafschaft Rantzau:   https://www.museum-grafschaft-rantzau.de/ Bild: R. Arendt
4. Mai 1945
Rantzau 11, Barmstedt

Am 5. Mai befreien in den Morgenstunden Aufklärungseinheiten der 7. britischen Panzerdivision das Gebiet um Barmstedt. Nahezu zeitgleich erschießt sich der Marinechefrichter Ostsee auf der Schloßinsel in Barmstedt.[1] 

Admiralrichter Dr. Erich Lorenzen (19.06.1896 bis 4.05.1945) hatte als Marinechefrichter Ostsee seit September 1944 seine Dienststelle auf Rantzau in Barmstedt. Durch Ausbombung in Kiel wurde sein Dienstsitz ins hiesige Amtsgericht (heute Museum der Grafschaft Rantzau) verlegt. Auf der Dienststelle arbeiteten auch Amtmann Sönnichsen und Marinejustizinspektor Jansen. Sein Chef war Admiralstabsrichter Dr. Rudolphi, sein Kollege Geschwaderrichter Dr. Latwesen.

Lorenzen beging am 4. Mai 1945, kurz vor 16.00 Uhr auf der Toilette des Gerichtsgebäudes mit einer Pistole Selbstmord, wo ihn Jansen noch lebend auffand. Er wurde vom herbeigerufenen Marinestabsarzt Dr. Voigt vom Reservelazarett Barmstedt ins Krankenhaus verlegt, starb dort in der Nacht kurz nach zwei Uhr. Lorenzen stammte aus Glücksburg, wo auch seine Schwester lebte. In Barmstedt kursierte das Gerücht, dass „feindliche Panzerspitzen in Elmshorn eingedrungen“ seien und sich „auf dem Weg nach Barmstedt“ befänden. In einem Brief an Latwesen schreibt er: „Ich kann nicht lebend in Gefangenschaft fallen und auf die Dauer all die künftigen Demütigungen Deutschlands hinnehmen, die uns nun bevorstehen! Es ist zu bitter!“ Zeitzeugen berichten, dass sie in den letzten Kriegstagen erlebten, wie der Admiralrichter und das übrige Gerichtspersonal vor dem Gerichtsgebäude einen Haufen Akten verbrannt habe.

Lorenzen wohnte während seiner Barmstedter Dienstzeit im Hotel Stadt Hamburg, wo seine Sachen und Koffer lagen. In der Dienststelle gab es einen Panzerschrank.

Am 9.5.45 wurde er auf dem Friedhof Barmstedt von Pastor Beine beerdigt. Sein Sohn Harald war im Forstamt Schultze in Bayrisch-Eisenstein. Später wurde sein Leichnam ins Familiengrab nach Schleswig überführt. Er war in Glücksburg verheiratet und hatte 6 Kinder.

Sein Enkel Dirk H. Lorenzen hat sich an das Museum der Grafschaft gewendet und einige Dokumente geschickt. Darin ein handgeschriebener Lebenslauf, in dem der Marinechefrichter schreibt, er habe als aktiver Beamter nicht NSDAP-Mitglied sein können, aber gehöre seit 1934 dem NS-Richterbund an.[2]

Das Leitbild von Großadmiral Dönitz für die Kriegsmarine: Fanatische Durchhalteperspektiven ohne Rücksicht auf Verlustbilanzen  

Das z. T. noch heute anzutreffende Positivbild einer unpolitischen, den militärischen Tugenden verpflichtenden Kriegsmarine wurde gerade von ehemaligen Marinebefehlshabern konsequent, allen voran von Karl Dönitz selbst, in die Öffentlichkeit lanciert.[3]

Erst Vertreter der kritischen Marinehistoriographie haben diese idealistisch übertünchte Darstellung einer umfassenden Revision unterzogen: „Tatsächlich stellte sich die Marine am Ende als die NS-Organisation schlechthin dar… Die deutsche Marine unter Dönitz entwickelte sich zu einem hochmodernen Instrument staatlicher Machtausübung und Organisation. All dem haftete ein Zug von Fanatisierung an, aber diese Fanatisierung war zugleich sublimiert und rationalisiert, am besten in der Person von Dönitz selbst.“ [4]

Von einer Marineführung, deren Ethik sich auf die Kombination macht-politisch-sozialdarwinistischer Ambitionen, uneingeschränkter ideologischer Anpassungsbereitschaft und penetranter Fixierung auf Sieg- bzw. Durchhalteperspektiven ohne Rücksicht auf Verlustbilanzen reduzierte, war kein selbstkritisches Nachdenken über Begriffe wie Verantwortung und Schuld zu erwarten. So ließ die Dönitz-Rede vor Befehlshabern der Marine am 24.8.1944 keinen Zweifel darüber zu, in welchem Umfeld der Dienst der Kriegsmarine abzuleisten war. Es zeigten sich zudem die spätestens unter der Führung von Dönitz gültigen Vorgaben, nach denen Marinegerichte strafrechtlich relevante Taten von Marineangehörigen zu beurteilen hatten:

„Jedes Abweichen von diesem fanatischen und geschlossenen Kämpfen bedeutet (….) nur eine Schwächung in Richtung einer Kapitulation. Jeder, der daher im geringsten von diesem nationalsozialistischen Staat abweicht, schwächt die Geschlossenheit und die Einheit und schwächt damit die Kriegsführung (…) Jeder, der sich im geringsten defätistisch äußert, schwächt den Widerstandswillen des Volkes und muß infolgedessen rücksichtslos ausgerottet werden. (…) Der Beruf, die Berufung und die Aufgabe des Soldaten ist zu kämpfen. Er hat in keiner Weise das Recht, hierbei überhaupt einen Gedanken der Zweckmäßigkeit zu haben, wenn er Befehl zum Kämpfen hat, so geht es ihn einen Dreck an, ob er den Kampf für zweckvoll hält oder nicht. Das würde an den Grundlagen des Soldatentums rütteln und bedeutet die Auflösung der Wehrmacht, jeder Manneszucht, jeder Unterordnung.“[5]

 

Dr. Erich Lorenzen stand als Chefrichter im Range eines Admiralrichters an der Spitze des Marine-Gerichtes  beim Marine-Oberkommando Ostsee und war damit zuständig für die Bestätigung von Urteilen, soweit sie nicht einem höherem Befehlshaber oder dem Oberbefehlshaber vorbehalten war.[6]

In der Endphase des zweiten Weltkrieges delegierte das Oberkommando der Marine Bestätigungs- und Gnadenrechte an die nachgeordneten höheren Marinebefehlshaber bzw. die Vollstreckungsentscheidung auf die jeweiligen Gerichtsherren. Damit kam den begutachtenden hochrangigen Marinejuristen der regionalen Marineoberkommandos eine noch wichtigere Rolle zu. Abschreckung und unbedingtes Aufrechterhalten der „Manneszucht“ waren auch hier leitende Motive. Defätismus und politisches Abweichen wurden rigoros bekämpft.[7]

 

Kriegsrichter machen erneut Karriere

Lorenzen entzog sich durch Selbsttötung seiner Verantwortung. Die Nachkriegsgesellschaft nicht nur in Schleswig-Holstein unterließ es, die Verbrechen der NS-Marinejustiz aufzuarbeiten, juristisch zu ahnden und die offensichtlichen Unrechtsurteile aus der NS-Zeit aufzuheben. Im Gegenteil: Mitunter wurden die Hingerichteten von Justiz und Öffentlichkeit nach 1945 ein zweites Mal  ins Unrecht gesetzt. Während die ermordeten Marinesoldaten nach 1945 dem vergessen anheim fielen, organisierten Hitlers Kriegsgerichtsräte in der Bundesrepublik ihre Nachkriegskarrieren. Der Marineoberkriegsgerichtsrat Hagemann ließ sich als Rechtsanwalt in Lauenburg nieder. Sein Kollege Meinert, der noch am 12. Mai ein Exekutionskommando geleitet und den Erschießungsbefehl erteilt hatte, wurde Amtsgerichtsrat in seiner Heimatstadt Elmshorn.[8]

Marinegerichtsrat Dr. Reese vom Gericht des 2. Admirals der Ostseestation, und damit ein Befehlsempfänger von Dr. Lorenzen, war u.a. für den Tod der beiden Marinesoldaten Ehrenhofer und Huckele zuständig, hatte es 1948 schon wieder zum Oberlandesgerichtsrat gebracht. Später avancierte er gar zum Senatspräsidenten am Schleswiger Oberlandesgericht und zum richterlichen Beisitzer am dortigen Dienststrafhof. Die schleswig-holsteinische Nachkriegsjustiz hatte vielfach blutige Hände.[9]

 

Eine Suchanfrage der Geschichtswerkstatt des Museums der Grafschaft Rantzau

Für das Museum der Grafschaft Rantzau werden Informationen zu den Akten von Admiralrichter Dr. Erich Lorenzen gesucht. Vermutetet wird: Es wurden diverse Todesurteile ausgesprochen
Gesucht wird: Welche Gerichtsurteile wurden gesprochen, gibt es evtl. Kopien der Urteile in anderen Archiven?
Da in Barmstedt kein Gefängnis war (vor dem Krieg war es einfach nur ein Amtsgericht gewesen und der Amtsrichter zu der Zeit als Soldat eingezogen) mussten Todesurteile ja irgendwo ausgeführt werden. Wie wurde das gehandhabt? Die Suche gilt auch nach den Kopien der Akten, die damals verbrannt wurden. Evtl. gab es ja auch Gegenstücke die auf Barmstedt bzw. Rantzau hinweisen. Was ist im Bundesarchiv zu finden? Gesucht werden außerdem Urteile aus seiner Zeit bei der Marinestation Nordsee und auch beim Reichskriegsgericht.[10]

 

Rudi Arendt 04.05.2025

[1] Jürgen Proll: „Die Krückauverteidigungslinie am Ende des II. Weltkrieges“ in: Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Pinneberg, 1988

[2] Diese Informationen beruhen auf Recherchen von Michael Theilig und der Geschichtswerkstatt des Museums der Grafschaft Rantzau

[3] Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militärgerichtshof Nürnberg Nd. 13 Nürnberg 1948, S. 337

[4] Michael Salewski in deutsches Marine Institut/ Militärgeschichtliches Forschungsamt, 1995 zit. nach Wallmrath: „lustitia et disciplina“ Strafgerichtsbarkeit in der deutschen Kriegsmarine 1939-1945, Dissertation 1997, S.109

[5] Zit. N. Salewski 1970 Bd. 1 aa.O. S.439, in Wallmrath, Lothar “„lustitia et disciplina“ s. 109

[6]  Jürgen Proll: „Die Krückauverteidigungslinie am Ende des II. Weltkrieges“ in: Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Pinneberg, 1988

[7] Lothar Wallmrath: „lustitia et disciplina“ Strafgerichtsbarkeit in der deutschen Kriegsmarine 1939-1945, Dissertation 1997, S. 282

[8] Personalakte in LAS, Abt. 786/892; zu Meinert auch Klaus-Detlef Godau-Schüttke: Ich habe nur dem Recht gedient. Die ´Renazifizierung` der schleswig-holsteinischen Justiz nach 1945, Baden-Baden 1993, S. 188 ff. Fußnote zit. nach: Gerhard Paul, Landunter – Schleswig-Holstein unter dem Hakenkreuz, westfälisches Dampfboot 2001

[9] Zit. nach: Gerhard Paul:  „Landunter – Schleswig-Holstein unter dem Hakenkreuz“, westfälisches Dampfboot 2001, S. 279

[10]  https://forum-marinearchiv.de/smf/index.php?topic=41213.0

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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