Nach der kampflosen Übergabe Hamburgs ergeht um 24.00 gemäß Fernschreiben des Oberbefehlshaber Nordwest der Befehl, die Truppen aller Wehrmachtsteile auf der Linie Elmshorn-Barmstedt-Alveslohe zurückzuführen, die zu halten sei.[1]
Diese neue Hauptkampflinie (HKL) soll mit einer Auffanglinie Horst-Offenseth-Lutzhorn-Lentföhrden errichtet werden. „Bedenklich scheint allerdings, dass man bei diesen Verhandlungen als militärische Endkonsequenz eine mögliche Verwüstung des Umlandes mit den Kreisen Pinneberg, Süd-Segeberg und Steinburg zur Rettung Hamburgs voll einkalkulierte“, schreibt Jürgen Proll. Die Barrikaden und Sprengladungen an den Elbbrücken werden beseitigt, in Barmstedt jedoch bereiten Pioniere zur gleichen Zeit die Sprengung der Krückaubrücken vor. Zuvor verfehlten drei Bomben der britischen Alliierten die erste Krückaubrücke der Pinneberger Landstraße um 50 m. Die damaligen Hintergedanken des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) und des Wehrmachtsführungsstabes um Dönitz: Hinhaltende Verteidigung und Rückführung der Truppen nördlich des Kanals, um Zeit für politische Verhandlungen zu gewinnen. An Durchhaltebefehlen auf Parteiebene hat es nicht gemangelt, und auch das OKW und der Oberbefehlshaber Nord – Generalfeldmarschall Busch – haben praktisch bis zur letzten Stunde unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass trotz möglicher Teil- und Bereichskapitulationen der Krieg noch nicht beendet war, dass im Gegenteil derartige Gerüchte schärfstens mit Waffengewalt zu bekämpfen wären.[2] Einzelaktionen des „Volkssturmes“ und das jeweilige Verhalten von selbstständig operierenden kleinen Kampfgruppen, die versuchten, die Krückauverteidigungslinie zu unterlaufen, spielte keine so wirksame Rolle, wie man bisher annahm. Der Barmstedter Volkssturm mit seinem Führer Adolf Oppermann, wird befehlsmäßig dem Korps Witthöft unterstellt. In diesem südholsteinischen Frontabschnitt formieren sich Teile der 7. und 8. deutschen Fallschirmjägerdivision, Teile der 3. Flakdivision aus Hamburg, die sich neuauffüllende Marinedivision und das Ersatzbataillion der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“, von denen man wusste, dass sie noch immer – wenn auch nicht volleinsatzfähig – kampfwillig waren.[3]
Bericht aus Elmshorn: Am 2. Mai spitzt sich die militärische Lage so zu, dass Elmshorner Antifaschisten auf breitester Grundlage zur Aktion übergehen.
Um 10.00 Uhr geht Erich Arp mit mehreren Elmshornern zunächst zum Polizei Hauptmann Prehm und zu dem am 1.5. in sein Amt eingeführten Bürgermeister Dr. Küster. Arp stellt sich als ehemaligen führenden Sozialdemokraten vor und fordert Aufklärung über die Lage, nachdem andere von schwerbewaffneten herumlaufenden Hitlerjungen und der Sorge der Bevölkerung über ein Hineingleiten in sinnlose Kampf und Widerstandsgefahren berichtet hatten… Ob Elmshorn in das Hamburger Kapitulationsgebiet einbezogen sei, kann er nicht eindeutig klären…
Am Nachmittag des 2. Mai wird eine Äußerung eines Militär-Kommandanten Major Meissner stadtbekannt, dass Elmshorn Teil der HKL sei. SS-Formationen graben sich rund um Elmshorn ein in Fahltskrug, Bullenkuhlen und nach Bericht von Northorn in Lieth unter dem Schutz der Rotkreuzflagge, wogegen der Lazarettarzt Protest erhebt.
Dem Strom der von Hamburg aus durch Elmshorn nordwärts flutenden Truppen gehen einzelne Verbände entgegen wieder in Richtung Hamburg vor. Für die Bevölkerung, die durch einen kürzere Zeit vorher ohne Alarm erfolgten Luftangriff in Elmshorn-Köllnerchaussee sowieso noch schwer erregt ist, bedeutet vor allem die Lufttätigkeit gegen Verbände auf den Strassen um Elmshorn eine grosse Sorge. Aus Antifaschisten und bürgerlichen Kreisen bildet sich ein Aktionsausschuss, der nach Erwägung evtl. notwendiger Massnahmen zunächst die Durchführung einer Aktion „Weisse Flaggen heraus“ sofort entschlossen in Angriff nimmt.[4]
[1] Das geheime Fernschreiben des Oberbefehlshabers Nordwest enthielt für den Norden des Kreis Pinneberg erschreckende Angaben: „Hamburg wird ab sofort vom Verteidigungsbereich zur offenen Stadt überführt. Aufgabe des Maj.-Gen. Wolz ist es, die Truppen aller Wehrmachtsteile beschleunigt, aber in voller Ordnung und Disziplin aus Hamburg herauszuziehen und in die Linie Elmshorn-Barmstedt-Alveslohe, die zu halten ist zurückzuführen.“
[2] Der Hamburger Kampfkommandant gibt weitere Befehle heraus: “Der Gaubereich Hamburg ist in der Nacht vom 2. zum 3. Mai 13.00 Uhr beschleunigt und kampflos den Engländern zu übergeben Es ist Vorsorge zu treffen, dass die Flak-Geschütze, die heeresüblichen Handwaffen M.G.s (einschließlich Munition), Nachrichten- und Sanitätsgerät sowie Verpflegung, im größtmöglichen Umfange mitgeführt werden. Zurückbleibende, eingebaute ortsfeste Großwaffen sind unzerstört ordnungsgemäß zu übergeben…“
[3] Diese Recherchen wurden von Jürgen Proll unter Hinzuziehung eigener Nachforschnungen und ihm überlassener Berichte in dem Aufsatz „Die Krückauverteidigungslinie am Enden des II. Weltkrieges aus Sicht des Wehrmachtsführungsstabes des Oberkommandos der Wehrmacht“ im heimatkundlichen Jahrbuch für den Kreis Pinneberg 1988 veröffentlicht.
[4] Bericht über die Entwicklung der politischen Lage in Elmshorn bis zum Eintreffen der britischen Truppen am Donnerstag, den 10.5.45 an den Intermediate Military Court, hier Anlage II (berichtet über die Entwicklung am 2. mai – 4. Mai 1945), MF 54-533, Wiener Holocaust Library, London