17. Februar 1949 – städtisches Krankenhaus Elmshorn: Entnazifizierungsausschuss entlastet Dr. Franz Lucas, späterer Hauptangeklagter im Auschwitzprozess  

Bild 1: Entnazifizierungsausschuss entlastet Dr. Franz Lucas, Quelle LaSH
Bild 2: Dr. Franz Lucas Bild: Wikipedia
Bild 3: Erkennungsdienstliche Ermittlung des Dr. Franz Lucas in Pinneberg Bild: Fritz Bauer Institut
Bild 4: Dr. Lucas bei der in Augenscheinnahme des KZ Auschwitz zu Beginn des Prozess Bild: Fritz Bauer Institut
Bild 5: Lebenswege nach Mauthausen - Franz Lucas: Unterrichtsmaterial für Schulen
Bild 6: NDR-Zeitreise 2016 im Schleswig-Holstein Magazin
Amandastraße 45, Elmshorn städtisches Krankenhaus

„Herrn Dr. med. Franz Lucas, geb. 15.9.11 Anschrift: Elmshorn, städtisches Krankenhaus wird gem. §7 des Gesetzes zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung bestätigt, dass er keinerlei Bindungen zur NSDAP oder ihren Gliederungen hatte und von dem Gesetz zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung nicht betroffen ist.“ [1] Bild1

 

Im Fragebogen des Military Government of German hatte Dr. Lucas lediglich die Mitgliedschaft im NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge 1937 bis 1945), zugegeben. Davor sei er im Reichsbund für Leibesübungen, sowie Mitglied der Deutschen Studentenschaft gewesen. Zum Zeitpunkt der Ausstellung  dieser Unbedenklichkeitsbescheinigung durch den Entnazifizierungsausschuss arbeitete der Mediziner schon dreieinhalb Jahre beim Elmshorner Krankenhaus. Wertvolle Zeit um sich einen Namen als Assistenzarzt zu machen und gesellschaftlich zu etablieren. Für seinen beruflichen Werdegang gibt Dr. Lucas für die Jahre 1942, 1943 und 1944  sowie noch Anfang 1945 (From 1.9.42 to 1.2.45) das städtische Krankenhaus Danzig an, um dann nach der „Flucht“ mit dem Fahrrad nahtlos  zum 27.4. 1945 ins städtische Krankenhaus Elmshorn gewechselt zu haben. Den Fragebogen unterschreibt der Mediziner am 9. September 1946, ebenso wie sein Chefarzt Dr. med. Specht.[2]

 

Entnazifizierung per Fragebogen – eine Farce

„Die Umsetzung der „Entnazifizierung“ erfolgte also mittels eines Fragebogens, der zum Symbol des Massenverfahrens werden sollte und in Schleswig-Holstein hunderttausendfach (zum Teil drei- bis viermal) vorgelegt wurde. (Dr. Lucas hatte angeblich bereits im „Sommer 1945“ erstmals einen Fragenbogen ausgefüllt.) 133 Fragen zur Person und Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 waren zu beantworten; fast alle ermittelten rein formell etwa die Mitgliedschaft in NS-Organisationen. Zur eigenen Entlastung aber durften die Betroffenen Leumundszeugnisse, so genannte „Persilscheine“ – orientiert am Namen des bekannten Waschmittels – vorlegen. Die (deutschen) Entnazifizierungs-Ausschüsse gaben darauf Empfehlungen ab, die Besatzungsbehörden entschieden dann über Geldbußen, die Einschränkung von Bürgerrechten, den Verlust von Pensionsansprüchen, über Verbleib oder Entfernung aus Positionen. Dafür gab es Entnazifizierungs-Kategorien: „ „Hauptschuldige“ (I), „Belastete“ (II), „Minderbelastete“ (III), „Mitläufer“ (IV) und „Entlastete“ (V).[3]

 

Im Herbst 1947 ging die Entnazifizierung in SH vollständig in deutsche Hände über. Zu diesem Zeitpunkt schon erachteten viele das Großexperiment der politischen Säuberung als gescheitert. Das aufgrund der hohen Zahl der Betroffenen oft formale Vorgehen, die Umkehrung der Beweislast, die Möglichkeit sich mit Persilscheinen reinzuwaschen, und die Tatsache, dass zunächst die Fälle der kleinen ehemaligen „Parteigenossen“ behandelt wurden, während viele wichtige NS-Täter noch in Internierungslagern saßen, fühlte sich die Mehrheit zu Unrecht „verfolgt“. Denn die Verfahren schienen untauglich zu sein, tatsächliche Schuld zu ermitteln. Tatsächlich produzierten sie am Fließband „Mitläufer“, „Minderbelastete“ und „Entlastete“. In der Tat gab es in ganz Schleswig-Holstein niemanden, der in Kategorie I, „hauptschuldig“, oder II, „belastet“, landete. Und von 406.000 Verfahren endeten gerade einmal 2.217 mit Kategorie III „Minderbelastet“. Der Rest, mehr als 99 Prozent der Betroffenen, hatte überhaupt keine oder nur sehr geringe Maßnahmen auszuhalten. Eine Farce!“[4]

 

Entnazifizierung – vorbei an den Eliten in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat

Uwe Danker schreibt weiter: „Indem die Entnazifizierung so an den Eliten in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat vorbeizielte, verkleinerte sich im öffentlichen Bewusstsein der Deutschen die Gruppe jener, die `wirklich schuldig´ seien, immer weiter und schließlich bis auf den engsten Führungszirkel von NSDAP und Staatsführung. Nicht einmal die Tatsache, dass zum Beispiel Landräte, Bürgermeister, Besatzungsbeamte im Osten, Wirtschaftsführer oder Verbandsspitzen eine besondere Schuld auf sich geladen hatten, wurde noch gesehen. Diese verschobene Wahrnehmung der Deutschen führte noch viele Jahre später dazu, dass selbst Strafprozesse wegen NS-Gewaltverbrechen weitgehend auf Unverständnis stießen.“[5]

Und: „Der „Schlußstrich“ unter das Thema NS-Vergangenheit wurde sehr schnell zum Mehrheitsziel der Deutschen, eine eingehende Beschäftigung mit dem eigenen Anteil der Schuld wurde verdrängt. Ein Klima, indem zum Beispiel auch schleswig-holsteinische Behördenleiter sich nicht fragen mussten, wie weit sie persönlich in die bürokratische Umsetzung des Holocaust verwickelt waren, welchen alternativen Handlungsspielraum sie vielleicht besessen hätten.“[6]

Bild 2

Rücktritt aus dem Entnazifizierung-Ausschuss des Kreises Pinneberg – Schreiben an den Landrat

Noch ein Jahr vor Ausstellung des entlastenden Dokumentes durch den Entnazifizierungsausschusses des Kreises an Dr. Lucas bittet der angesehene Unternehmer Ulrich Leppien aus Pinneberg, ein Liberaler, den Landrat, ihn aus der Mitgliedschaft des Ausschusses zum entbinden:

 

„Sehr geehrter Herr Landrat!

 … Der Entschluss, mein Rücktrittsgesuch einzureichen, ist für mich eine dringende Notwendigkeit, angesichts des völligen Zusammenbruchs des Entnazifizierungsverfahrens in unserem Lande. Als ich vor nunmehr fast 2 Jahren in den ersten E-Ausschuss berufen wurde, übernahm ich die schwere Arbeit, in dem festen Bewusstsein beim Wideraufbau Deutschlands hierdurch wieder mithelfen zu können. Vom ersten Tage bis heute habe ich mich bemüht, einen klaren antifaschistischen Standpunkt zu vertreten, trotz aller persönlichen Angriffe, die ich erfahren musste. In immer stärkeren Masse musste ich aber erkennen, dass die politische Entwicklung letzten Endes doch andere Formen annahm. Mit tiefem Verantwortungsgefühl habe ich im E-Ausschuss meine meist nicht leichten Pflichten erfüllt. Unsere Arbeiten werden durch eine grosse Anzahl einander jagenden Verordnungen und sonstige Einflussnahmen erschwert und schliesslich jetzt zum Schluss geradezu unmöglich gemacht. Ich versage es mir, auf die näheren Zusammenhänge und auch die Schuldfrage für diese Entwicklung einzugehen.  Es ist für mich ein unerträglicher Zustand, in steigendem Masse feststellen zu müssen, dass im Jahre 1946 unbedeutendere Parteigenossen entnazifiziert wurden, während jetzt belastete Parteigenossen mehr oder weniger unbehelligt sein werden. Zusammen mit verschiedenen anderen Ausschussmitgliedern habe ich viele Monate lang gegen diese sich immer deutlicher abzeichnende Entwicklung angekämpft. Jetzt sehe ich die völlige Aussichtslosigkeit unserer Bemühungen ein, wie ich mir auch nicht vorstellen kann, dass das zu erwartende Gesetz in unserem Lande diesbezüglich eine durchgreifende Änderung wird bringen können. Eine ganz besondere Enttäuschung erfüllt mich, wenn ich feststellen muss, dass belastete Nationalsozialisten von Kreisen und Personen geschützt werden, die einen antifaschistischen Standpunkt vertreten wollen. Ich befürchte, dass eine Entwicklung Platz greifen wird, welche die demokratisch und antifaschistisch eingestellten Kreise unseres Landes nicht wünschen können.“[7]

 

Aus diesem Schreiben klingt auch die Verbitterung, sich plötzlich in der Rolle der gesellschaftlich abgelehnten Denunzianten und „Handlanger“ zu fühlen, und zu erkennen, dass kaum noch jemand ein Interesse an der Vergangenheitsbewältigung hatte.

 

Die Legende vom „guten KZ-Arzt“ – Vergangenheitsbewältigung des Dr. Lucas – gesellschaftliche Verankerung durch fachliches Können 

Ob sich Dr. Lucas nach dem Spruch des Entnazifizierungsausschusses in Sicherheit wog, ist nicht zu rekonstruieren. Er nutzte aber die Zeit bis zu seiner Enttarnung weiter um sich ein Schutzschild mittels gesellschaftlicher Verankerung durch fachliches Können zu erarbeiten.  Schnell steigt er vom Assistenzarzt zum Chefarzt der Gynäkologischen Abteilung auf. Die Vergangenheit scheint vergessen. Doch 1963 werden Anschuldigungen gegen ihn laut. Die Klinikleitung entlässt ihren Chefarzt, der wenig später eine Privatpraxis eröffnet. Am 20. Dezember beginnt in Frankfurt der größte Strafprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte. Angeklagt sind 22 ehemalige Angehörige der Lagermannschaft von Auschwitz – einer von ihnen ist Franz Lucas.[8]

Bild 3

Die Verstrickung in die NS-Verbrechen und seine Täterbiografie liest sich wie folgt: Ab 09.11.1937 Mitglied der NSDAP sowie Mitglied der Allgemeinen SS (Mitglieds Nu. 350 030). Ebenso ab diesem Zeitpunkt
Beförderung zum SS-Schützen (Allgemeine SS). Dann im Februar 1939 Beförderung zum SS-Rottenführer (Allgemeine SS). Nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf Polen kurzer Dienst in der Wehrmacht (Oktober bis Ende Dezember 1939). Während des Medizinstudiums in Rostock (ab 1942 Danzig) Mitglied der Bewaffneten Verbände der SS. 1942 promoviert Lucas zum Dr. med. Es folgt eine
zweimonatige Ausbildung im Rahmen eines Führeranwärterlehrgangs bei der SS-ärztlichen Akademie der Waffen-SS in Graz. Er wird zum SS-Hauptscharführer als auch SS-Untersturmführer befördert und Truppenarzt in Nürnberg und Belgrad.

Wegen „defätistischer Äußerungen“ erfolgt kurzfristig eine Versetzung zu einer Bewährungseinheit.
(Nach eigenen Angaben zu einer Bewährungseinheit nach Jugoslawien versetzt war er kurze Zeit bei Belgrad stationiert.)

Im Oktober 1943 zum Führungshauptamt – Amtsgruppe D – Sanitätswesen der Waffen-SS Berlin beordert, erfolgt darauf die Beförderung zum SS-Obersturmführer.

Ab Dezember 1943 erfolgen Einsätze in verschiedenen Konzentrationslagern:
15.12.1943 – Versetzung zum Amt D III für Sanitätswesen und Lagerhygiene des WVHA in Oranienburg
Ende Dezember 1943 – Spätsommer 1944 Lagerarzt im KZ Auschwitz I (Truppenarzt) (zeitweise Auschwitz-Birkenau, Zigeunerlager, Theresienstädter Familienlager)
1944 – KL Mauthausen, KL Stutthof u. KL Ravensbrück
00.01.1945 – KL Sachsenhausen[9]

Beihilfe zum Mord in 1000 Fällen

Zu Anfang des Prozesses geschieht Überraschendes. Viele ehemalige Häftlinge nehmen den Arzt in Schutz. „Die Behandlung der Häftlinge durch Dr. Lucas war anständig“, sagt etwa der Zeuge Wojciech Barcz am 9. April 1964, dem 34. Verhandlungstag, aus. „Dass ein SS-Offizier einem jüdischen Häftlingsarzt oder einem Kranken Verpflegung bringt, war so etwas, das grenzt an Wunder“, äußerte sich Aron Bejlin am 28. August 1964, dem 83. Verhandlungstag. In der Öffentlichkeit gilt Lucas damit rasch als „guter Mensch von Auschwitz“, was macht es da, dass ihn der Mitangeklagte Stefan Baretzki beschuldigt, Zehntausende von Häftlingen ins Gas geschickt zu haben, oder ein Zeuge angibt, von Lucas im KZ Ravensbrück sterilisiert worden zu sein. Dieser ist der einzige Angeklagte, der zur „Augenscheinseinnahme“ im Dezember 1964 mit nach Auschwitz reist – ein symbolträchtiges Bild, das um die Welt geht. Bild 4

Möglicherweise leitet der Besuch seiner früheren Wirkungsstätte bei ihm einen Sinneswandel ein. Jedenfalls gibt Lucas am 11. März 1965, dem 143. Verhandlungstag, erstmals zu, entgegen seinen früheren Äußerungen „drei- bis viermal an Selektionen in Auschwitz teilgenommen“ zu haben – auf Befehl. Vor allem dieser Aussage wegen wird er am 20. August 1965 wegen Beihilfe zu gemeinschaftlichem Mord in mindestens 1000 Fällen bei mindestens vier Selektionen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, eine Strafe, die Lucas bis 1968 verbüßt.

Verhalten war „verurteilenswert“

Im Februar 1969 jedoch hebt der BGH das Urteil auf. In einer Neuverhandlung vor dem Frankfurter Landgericht wird Lucas freigesprochen, weil er „nicht mit Täter-, sondern nur mit Gehilfenwillen“ gehandelt habe. Eine Entschädigung für die verbüßte Untersuchungshaft erhält er nicht.

Denn bei „aller strafrechtlich schuldlosen Verstrickung des Angeklagten“, heißt es im Beschluss des Schwurgerichts vom 8. Oktober 1970, sei „sein Verhalten vom allgemeinen sittlichen Standpunkt aus doch verurteilenswert“ und es bleibe „nach den festgestellten Umständen eine grobe Unsittlichkeit der zur Untersuchung gezogenen Tat des Angeklagten bestehen“.

Dafür, dass er im KZ Ravensbrück an Häftlingen Sterilisationen vorgenommen hat, wird er nicht belangt. Bis 1983 kann Lucas weiter als Privatarzt tätig sein und stirbt 1994 in Elmshorn.

„Lucas hat in Auschwitz an Mordtaten mitwirken müssen, die er wohl abgelehnt hat“, so die Einschätzung von Werner Renz, Mitarbeiter des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main.

„Die Tatsache aber, dass er nicht alles unternahm, um sich der Tatbeteiligung zu entziehen, macht ihn mitschuldig.“

Den häufig strapazierten Hinweis auf den Befehlsnotstand oder die so genannte Putativnotwehr lässt Renz nicht gelten: „Alle Nachforschungen der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg haben keinen Fall ergeben, bei dem ein die Tötungsbefehle verweigernder Angehöriger der SS entsprechend belangt worden wäre. Man konnte sich der Teilnahme an Selektionen entziehen.“[10]

Lebenswege nach Mauthausen – Unterrichtsmaterial und weitere Recherchen zu Dr. Lucas

 Zum Fall Dr. Lucas gibt es umfängliche Recherchen und auch Unterrichtsmaterial für Schulen. Die „Lebenswege nach Mauthausen – Franz Lucas“ von Oksana Dmytruk Kolarik und Michael Car versuchen für Schülerinnen und Schüler die Verbrechen in diesem Konzentrationslager und den Prozeß um Dr. Lucas anschaulich zu vermitteln:    Bild 5

https://lebenswege.mauthausen-memorial.org/fileadmin/storage/Franz_Bernhard_Lucas.pdf

 

Informationen zu Dr. Lucas im Prozess können hier nachgelesen werden:

http://www.auschwitz-prozess-frankfurt.de/index.php?id=133

 

https://www.auschwitz-prozess.de/zeugenaussagen/Gestaendnis_des_Angeklagten_Lucas/

 

Zuletzt widmete auch der NDR seine „Zeitreise: Die zwei Leben des Dr. Franz Lucas“ aus dem Jahre 2016 dem Frauenarzt aus Elmshorn. In der Textversion heißt es: „Aus heutiger Sicht unfassbar: Elmshorner Frauen schenken einem Gynäkologen ihr Vertrauen, obwohl er nachweislich an der Ermordung von Juden beteiligt war. Die Rede ist von Dr. Franz Lucas, Jahrgang 1911, SA-Mann der ersten Stunde, ab 1937 SS-Obersturmführer und später Auschwitz-Arzt. Er war beteiligt an Selektionen an der Rampe, verurteilt wegen gemeinschaftlichen Mordes in 1.000 Fällen im ersten Ausschwitz-Prozess von 1963 bis 1965, dem bis dahin größten Prozess in der Bundesrepublik.

Als Frauenarzt in Elmshorn tätig: Derselbe Franz Lucas hat nach dem Dritten Reich fast 40 Jahre lang als hochgelobter Frauenarzt in Elmshorn gearbeitet. Er hat im Krankenhaus Frauen geholfen, Babys zur Welt zu bringen, im OP Leben gerettet. Auch nach seiner Haftentlassung praktizierte er. Zwar wird er in einem Revisionsprozess freigesprochen, weil er offensichtlich glaubhaft vermitteln konnte, dass er zum Dienst an der Rampe gezwungen worden sei. Dennoch er hat selektiert. Und doch ist seine Privatpraxis bis Anfang der 1980er Jahre immer gut gefüllt. Nahezu alle Patientinnen kommen zu ihm zurück, obwohl seine Vergangenheit allen bekannt gewesen sein muss.

Wie passt das zusammen? Die Zeitreise geht dieser Frage nach und versucht Ambivalenzen der damaligen Zeit herauszuarbeiten. Wie war die Stimmung damals? Gab es eine Kultur der Verdrängung? Was war also mit den Elmshornerinnen? War es für sie in Ordnung, dass einer in einem KZ an der Rampe Menschen selektiert hat? Waren viele Elmshorner insgeheim der Meinung, er könne ja nichts dafür, schließlich hätte er nur Befehle ausgeführt? So hat er es im Prozess zumindest selbst dargestellt. Oder haben sie einfach nur verdrängt?“ [11]

 

Die Kommentare zu diesem Beitrag des NDR hatten zu einem großen Teil die Intention einen Schlussstrich ziehen zu wollen. Der Zeitreisebeitrag ist nicht mehr aufrufbar. Die Fragen aber bleiben. Bild 6

 

Rudi Arendt 6. Mai 2023

 

 

[1] Entnazifizierungs-Hauptausschuß für den Kreis Pinnberg, Bestätigung gem. §27d des Gesetzes zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung vom 17. Febr. 1949 LaSH Abt. 460.9 Nr. 385

[2] Military Government of Germany, Fragebogen, LaSH Abt.460.9 Nr.385

[3] Entnazifizierung / Umgang mit Vergangenheit in: Schleswig-Holstein 1800 bis heute – Eine historische Landesunde; Uwe Danker und Utz Schliesky (Hrsg.) S. 291 ff

[4] ebenda

[5] Uwe Danker: „Internieren, entnazifizieren umerziehen – Erste Vergangenheitsbewältigung nach 1945“, S. 290 in: Geschichtsumschlungen – Sozial- und Kulturgeschichtliches Lesebuch, Dietz-Verlag 1996

[6] ebenda

[7] Julius Leppien, Pinneberg, den 6. Januar 1948 an den Landrat des Kreises Pinneberg; Quelle: Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Abt.320.12 Nr. 60

 

[8] „Franz Bernhard Lucas, Facharzt für Frauenkrankheiten in Elmshorn.
Seine Patientinnen, die ihn im Elmshorner Krankenhaus aufsuchen, sprechen voller Hochachtung von seinen medizinischen Fertigkeiten. Daß man ihn Anfang 1963, als seine Tätigkeit in Auschwitz bekannt wurde, von der Leitung der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des Hospitals ablöste, hat seinem Ansehen nicht geschadet. Seine Praxis geht gut. Es wird berichtet, er benutze die Flugverbindung Frankfurt–Hamburg, um in den prozeßfreien Tagen seine Sprechstunden zu halten und im Krankenhaus seine Privatpatientinnen zu behandeln. Ein gewissenhafter, auf das Wohl seiner Kranken bedachter Arzt also, der Schmerzen lindert, Frauen von ihren Gebrechen befreit, sie mit geschickten Händen heilt, ein Samariter. Er geht, wie es heißt, in seinem Beruf auf.“ Familie Tenhumberg http://www.tenhumbergreinhard.de/taeter-und-mitlaeufer/1933-1945-biografien-les/lucas-franz-dr.html

 

[9] ebenda

[10] https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Auschwitz-Arzt-Lichtgestalt-Mordhelfer-343806.html

 

[11] Dieser Beitrag war aufrufbar unter der Adresse: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/schleswig-holstein_magazin/zeitreise/Zeitreise-Diezwei-Leben-des-Dr-Franz-Lucas.zeitreise1200.html

 

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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