Im Jahr 1948 verfasst Wolfgang von Strernenfels einen – sicherlich lyrisch überarbeiteten – Erlebnisbericht vom Mai 1948, den er einer Publikation der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zusandte.[1] Der Text schildert ein Dialog zwischen Wolfgang von Stenenfels und drei als „Militaristen“ bezeichneten ehemaligen Soldaten während der Bahnfahrt in der AKN. Er spiegelt die gesellschaftliche Auseiandersetzung um die Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges wider.
„Krieg dem Kriege!“[2]
Sozialist: hat sich in einer Kleinbahn eben in eine Ecke gesetzt und kam – ohne es zu wollen – in’s Gespräch mit seinem Nachbarn über den unseligen Angriffskrieg, dem Europa beinahe völlig zum Opfer gefallen ist.
3 Militaristen: „Haben Sie als Soldat gedient?“
Sozialist: „Nein.“
Militaristen: „Sie Vaterlandsverräter! Man hätte Sie gleich erschiessen sollen!“
Sozialist: „Das habe ich schon öfter gehört, im Konzentrationsgefängnis und sogar erst kürzlich, – es könnte ja etwas Wahres dran sein – nur müssten Sie, meine Herren, beweisen, dass Sie Ihr Vaterland etwa in Stalingrad verteidigen mussten.“
Militaristen: werden sichtlich unruhig und erheben sich von ihren Plätzen, schauen hasserfüllt herüber.
Sozialist: „Goethe ist ein Deutscher, vielleicht haben Sie gelegentlich auch nach Ihrer Schulzeit noch einmal von diesem europäischen Dichter und Denker etwas gehört? Wollen Sie mir mal eine Stelle aus seinem umfangreichen Werk nennen, uns Deutschen dürfte dies ja nicht schwer fallen, denn sogar im ‚feindlichen Ausland‘ – das Sie ja vermutlich besser als ich in den 10 Kriegsjahren[3] kennengelernt haben, ist er bekannt!“
Militaristen: schweigen – „Clemenceau[4] hat gesagt, es gäbe 20 Millionen Deutsche zu viel. Er hat wohl wenig Wert darauf gelegt, etwas von Goethe zu wissen und die Deutschen werden nicht geachtet. – Sie sind ein Vaterlandsverräter, das steht fest!“
Sozialist: denkt über diesen Ausspruch eines französischen Militaristen nach, welcher eben in der Vernichtung von 20 Millionen deutscher Soldaten (Militaristen) die einzige Lösung der Konflikte sah. „‚Krieg erzeugt wieder Krieg‘ – ein altes und so wahres Wort! Versuchen wir es doch einmal, dieses Mittel als Lösung für abwegig zu erklären und nach anderen Auswegen zu suchen!“
Militaristen: „Wir greifen morgen wieder zur Waffe, wenn es befohlen wird!“
Sozialist: „Tucholski hat einmal drastisch gesagt: ‚Soldaten sind Mörder‘ Und Mörder wollen nachher die Verantwortung für 6 Millionen liquidierten Juden und unzählige gefallene ‚Helden‘ des eigenen Landes, des heiligen Vaterlandes übernehmen? Was für eine Utopie! ‚Das Vaterland ist undankbar‘, sagt Erich Kästner so richtig, er meint das deutsche – denn ein anderes ist’s, wenn die Heimat der Russen, der Engländer und Franzosen unter Bruch der Verträge verwüstet und besetzt wird – wie es ja die deutschen Horden mit bestialischer ‚Energie‘ wiederholt getan haben. Wir haben zwei imperialistische Kriege erlebt und haben genug von aller Gewalttheorie! Wer versorgt die Witwen, Waisen und Kriegsversehrten, wer baut wieder das Zerstörte auf?“
Militaristen: „Wir. Und – um eine Gegenfrage zu stellen: wer bezahlt die SED-Männer in Berlin?“
Sozialist: „Die Werktätigen können wohl ihre Wortführer bezahlen, denn sie verdienen auch das, was ein Volksentscheid zum Beispiel kostet, der für alle Zukunft unser geliebtes Vaterland vom völligen Untergang retten muss. Einigkeit ist ein Ideal, für das auch ich als Pazifist – wenn es befohlen werden sollte – unter Umständen mit der Waffe in der Hand sterben würde – für das Vaterland der Schaffenden aller Länder! Aber dieser Fall tritt nicht ein, wenn der Deutsche jetzt den Aufruf für gerechten Frieden und Einheit versteht!„[5]
Militaristen: „Kommen Sie mal her – wir machen kurzen Prozess mit Ihnen! Sie Verrückter, Sie Verräter, Sie Drückeberger! Hagenbecks Tieren müsste man Sie vorwerfen! Wenn Sie uns draußen mal begegnen, dann sind Sie aber rasch erledigt, Sie Trottel!“
Schluss der Szene, denn die Endstation war erreicht.