Erinnerungen über das Kriegsende in Quickborn

Veröffentlicht von Jörg Penning am

Der ehemalige Mitarbeiter des NDR-Hörfunks Uwe Storjohann stammte ursprünglich aus Hamburg-Eimsbüttel. Wegen der größeren Zerstörung Hamburgs durch Fliegerbomben verzog seine Familie nach Quickborn in das Wochenendhaus in der Heidkampstraße. Seine Gedanken über die Zeit in Hamburg und Quickborn und seine Befürchtungen, doch noch zur Wehrmacht für den Kriegseinsatz eingezogen zu werden, schrieb er in dem Buch „Hauptsache: Überleben“ nieder. Ein Auszug wird hier wiedergegeben:

3. Mai – Quickborn: Ich habe überlebt!

Das Morgengrauen des 2. Mai beginnt mit dem Beschluss, mich erst einmal zu verstecken. 36 Stunden verbringe ich abwechselnd auf dem flachen Dachboden unserer Laube, wo ich mich nur kriechend fortbewegen kann, und in einem in die Mauer eingebauten Wandschrank, um dort ab und zu Radio zu hören. Das Radio steht neben dem Schrank. Es ist ständig eingeschaltet. Aus dem Wehrmachtsbericht erfahre ich, dass Lauenburg vom ‚vorrückenden Feind‘ besetzt worden ist. Am 3. Mai höre ich Hamburgs Reichsstatthalter Karl Kaufmann mit düster vibrierendem Pathos den Götterabschied zelebrieren:[1]

‚Das Schicksal dieses Krieges kann nicht mehr gewendet werden. Der Kampf aber in der Stadt bedeutet ihre sinnlose und restlose Vernichtung. Mir gebieten Herz und Gewissen in klarer Erkenntnis der Verhältnisse und im Bewusstsein meiner Verantwortung, unser Hamburg, seine Frauen und Kinder, vor sinn- und verantwortungsloser Vernichtung zu bewahren …‘ Ich genieße jedes Wort. Das hat es noch nicht gegeben: ein hoher Nazibonze, der – statt den Mythos der Unbesiegbarkeit zu beschwören – eine Niederlage eingesteht. Zum ersten und zugleich zum letzten Mal im Dritten Reich ertönt die Deutschlandhymne ohne den Horst-Wessel-Wurmfortsatz. Das Ende einer Epoche. Danach ist Funkstille. Der Reichssender Hamburg verschwindet auf Nimmerwiedersehen aus dem Äther.

Am Mittwoch dieses 3. Mai bringt Mutter neue Flüsterbotschaft aus dem Dorf. Die SS-Einheit im Wäldchen sei wild entschlossen, nach Hamburg zurückzukehren und den Feigling Kaufmann mitsamt seinem Duckmäuser- und Verräterpack an den Laternen am Adolf-Hitler-Platz aufzuhängen. Ein junger holländischer SS-Mann hat Mutter unter Tränen erklärt, warum eine Kapitulation für ihn und seine Kameraden überhaupt nicht in Frage käme. Was würde denn mit ihnen geschehen, wenn Deutschland den Krieg verlöre? Er zum Beispiel könne doch niemals nach Holland zurückkehren. Die Leute würden ihn dort lynchen und als ‚Moffenschwein‘ in Stücke reißen. Mutter hat dem ‚armen Jungen‘ Trost gespendet. Doch da das Schicksal der eigenen Kinder ihr nun näher am Herzen liegt, hat sie ihm gleichzeitig begütigend geraten, sich in das Schicksal zu fügen, die Waffen niederzulegen und den lieben Gott um Beistand zu bitten. Weiterzukämpfen habe doch nun wirklich keinen sinn mehr. Aber de ‚arme Junge‘, so berichtet Mutter, habe sie nur trotzig angesehen und sei wieder in Tränen ausgebrochen. Nein, kapitulieren käme nicht in Frage. Er und seine Kameraden würden sich in die Erde einigeln und keinen Zentimeter mehr zurückweichen.

Am Nachmittag des 3. Mai rückt die SS-Einheit kampflos aus Quickborn ab, nach Norden und sehr eilig. Nun hat es auch der Volkssturm eilig. Mit anderen Halb- und Viertelinvaliden dieser ‚Stützkorsett- und Bruchband-Truppe‘ räumt Vater die Panzersperren am Elsensee bis zur letzten Mistforke wieder ab und schüttet den Panzergraben mit Sorgfalt wieder zu, auf dass britische Panzerfahrer Quickborner Straßen in guter Erinnerung behalten.

Den Nazi-Dorfhäuptlingen, nun des geliebten Führers und der SS-Schutzmacht beraubt, ist nun auch der Spaß am Heldentod vergangen. Ich aber beende das Versteckspiel mit einer Riesenportion Rhabarbergrütze.[2]

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