Erinnerungen an Karl Baron von Rosenberg während seiner Zeit im KZ Neuengamme

Veröffentlicht von Jörg Penning am

Der Niederländer Albert van de Poel hielt in seinen im Winter 1944/45 niedergeschriebenen Erinnerungen über seine KZ-Haft in Neuengamme über Karl Baron von Rosenberg fest:

Zu den schwärzesten Schafen im Konzentrationslager gehörten die Juden. Und unter ihnen lebte Baron von Rosenberg. Er war Katholik und fühlte sich in dieser Gruppe von Menschen nicht heimisch, mit denen ihn, nach äußerlichen Merkmalen zu urteilen, nur die gemeinsame Abstammung verband. Von Beruf war er Kavallerie-Offizier gewesen. Während des Krieges von 1914 bis 1918 hatte er in der österreichischen Armee gedient und war mit einem gelähmten Bein in das Zivilleben zurückgekehrt. Zunächst bedrückte ihn dieses körperliche Gebrechen über alle Maßen, späterhin dankte er gerade dieser Schwäche die Errettung aus vielen Gefahren und war dem Himmel für diesen Unfall von Herzen dankbar. ‚Gesegnet sei mein Bein!‘ hatte er auch gemurmelt, als er als einziger Jude einen Unterschlupf in der Kartoffelschälküche fand.

Voll guten Mutes – eine Eigenschaft, die er mit vielen anderen Juden teilte – und doch mit einem ins Wanken geratenen Zutrauen zu seinem ‚gesegneten Bein‘ sah er sich im Herbst 1942 in ein Lager in Polen versetzt; denn allgemein argwöhnte man, daß die Judenlager im Generalgouvernement nichts anderes enthielten als Vernichtung.

Von Rosenberg war sehr intelligent. Schon lange, bevor das Kriegsglück in Rußland wendete, vermochte er nachzuweisen, daß der fabelhafte deutsche Vormarsch mit seinen ‚welthistorischen Siegen‘ nichts anderes war als ein Pyrrhus-Sieg und daß die Niederlagen der Roten Armeen mehr von strategischen Rückzügen an sich hatten als für einen Endsieg der deutschen Truppen erfolgverheißend gewesen wäre. Er verstand auch die Kunst, sich inmitten der niederdrückendsten und abstumpfendsten Sorgen und Qualen geistig wach zu halten, ebenso wie er es fertiggebracht hatte, rechtzeitig eine fingierte Scheidung bei Gericht durchzusetzen, um seiner Frau und seinen Kindern das Leid zu ersparen, das sie als Familienangehörige eines jüdischen Häftlings sonst getroffen und ihnen nicht nur die Zukunft vernichtet, sondern auch allen Besitz genommen hätte. Hätte er nicht die Initiative aufgebracht, den Diskriminierungen des Arier-Paragraphen ein Schnippchen zu schlagen, dann hätte der Sadismus der Judenverfolgung die schlesische Baronin gezwungen und gepreßt, diese Verbindung von sich aus zu lösen. Solche Angriffe der Gestapo auf das Familienleben der Häftlinge im Konzentrationslager kamen ziemlich oft vor, selbst wenn es sich um rein ‚arische‘ Ehen handelte.

Den Unsinn der nationalsozialistischen Ideologie vermochte Baron von Rosenberg mit beißendem Spott zu verhöhnen und die Barbarei des nationalsozialistischen Regimes war für ihn nicht weniger als für die anderen ein Greuel, aber er ließ sich trotzdem niemals zu blindem und durchdringendem Haß hinreißen, der durch seinen Mangel an Selbstbeherrschung das Opfer auf das gleiche Niveau von Kulturlosigkeit hinabzieht, das die Tyrannen für immer mit Schande bedeckt. Was konnte es für einen Sinn haben, wenn der Geist gegen diesen Wirbel von Ungerechtigkeiten und brutaler Gewalt rebellierte, der im Konzentrationslager wütete? Die einzige Folge wär der Verlust des inneren Gleichgewichts, eine Einbuße an innerer Würde, ein Sinken in der eigenen Achtung gewesen. Konnte die erhabene Größe der menschlichen Persönlichkeit reinere Anerkennung finden als dadurch, daß man ihre Verletzlichkeit einfach nicht zugab, wenn Unvernunft und brutale Gewalt die Zügel schießen ließen. (…)

Am Tag vor seiner Abreise in das Judenlager in Polen saßen wir nebeneinander in der Kartoffelschälküche, um Kartoffeln zu schälen. Von Rosenberg raffte sich auf und erklärte munter, zwei Dinge müsse er noch vor seiner Abreise vollbringen. Er müsse von Sauer, dem ‚Kapo‘, der anständig genug dafür war, noch eine Extra-Portion Abendsuppe ergattern, um für die schwierige Reise Kräfte zu sammeln. Und dann müsse er sich beim Kartoffelschälen das kurze Gedicht des Ignatius von Loyola gut einprägen, über das wir vor kurzem gesprochen hatten, – ‚am besten auf Deutsch, denn Latein vergißt man leicht bei der Kavallerie.‘ Und so ging es ein paarmal hintereinander im Flüstertone, damit es keinen Krach mit den Wachmännern von der SS gab, von Mund zu Mund:

Sume Domine et suscipe
Nimm Herr und empfange

Omnem meam libertatem
Alle meine Freiheit

Accipe memoriam, intellectum atque voluntatem imnem
Empfange mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen

Quidquid habeo vel possideo mihi largitus est
Was ich auch habe oder besitze, hast Du mir gespendet

Id tibi totum restituo ac tuae prorsus voluntati trado gubernandum
Dies alles reiche ich Dir zurück und überlasse es Deinem Willen zu weiterer Verwaltung

Amorem tui solum cum gratia tua mihi dones
Gewähr mir, nur Dich zu lieben und Deine Gnade

Et dives sum satis
Und ich bin reich genug

Nec aliud quildquam ultra posco
Und mehr verlange ich nicht.

van de Poel, Albert: Ich sah hinter den Vorhang. Ein Holländer erlebt Neuengamme. Hamburg 1948, S. 114-117.