Marija Bondar und Iwan Ilgow – ermordet in den letzten Kriegstagen 1945

Bilsen - ehemaliger Hof von Hermann Clasen, Kieler Straße 9 (Foto: Jörg Penning, 2007)
Der Täter: SS-Unterscharführer Walter Bendt (Bildquelle: Buchwald: 'Endkampf', S. 88)
Das ehemalige Grab der Russin Marija Bondar auf dem Nordfriedhof Quickborn. Die Staatszugehörigkeit ist fälschlich mit Polen angegeben. (Foto: Jörg Penning, 1994)
Mahnmal Nordfriedhof Quickborn (Foto: Jörg Penning, 2013)
Mahnmal Nordfriedhof Quickborn (Foto: Jörg Penning, 2013)
30. April 1945
Kieler Straße 9, Bilsen

In den letzten Kriegstagen am Nachmittag des 30. Aprils 1945 bzw. in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 1945 kamen in Bilsen auf einem Bauernhof  an der Reichsstraße die beiden russischen Zwangsarbeiter Marija Bondar und Iwan Ilgow gewaltsam ums Leben.[1] Die Tat ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als sich das Kriegsende deutlich abzeichnete und das nationalsozialistische Herrschaftssystem am zusammenbrechen war. Tags zuvor hatten die britischen Streitkräfte bei Lauenburg bereits die Elbe überquert.[2] Am Tag selbst erschien letztmalig vor der Einstellung die Lokalzeitung Holsteiner Nachrichten und verkündete die Durchhalteparole „Verteidigung Berlins mit aller Kraft“, während Adolf Hitler um 15:30 Uhr im Berliner Führerbunker Selbstmord begang.[3]

Marija Bondar wurde am 9. September 1922 im russichen Wiskopaha geboren und war zum Zeitpunkt des Todes 22 Jahre alt. Sie war, ebenso wie der 31-jährige Iwan Ilgow, seit dem 25. Januar 1945 in Bilsen bei dem Landwirt Hermann Clasen als Arbeitskraft eingesetzt. Beide hatten zuvor in Quickborn in der Landwirtschaft gearbeitet.[4] Das erwartete nahe Kriegsende wird die beiden russischen Arbeiter sicherlich zu einem selbstsicheren und offeneren Auftreten gegenüber ihrem zwangsweisen Arbeitgeber motiviert haben. Nach Aussagen der Ehefrau des zum Wehrdienst eingezogenen Bauerns Hermann Clasen und des kriegsversehrten Verwalters Schm. sollen sie sich über schlechtes Essen beklagt haben und der Bäuerin einmal das Essen vor die Füsse geworfen haben. Außerdem hätten sie Drohungen ausgesprochen und die Arbeit verweigert. Das Verhalten der Zwangsarbeiter veranlasste die Bäuerin Clasen und den Verwalter Schm. dazu, um auswärtige Unterstützung nachzusuchen. Sie schickten daher am 29. April 1945 die Hausangestellte L. nach Quickborn zur Polizei. Auf dem Weg dorthin traf sie einige Soldaten der Waffen-SS, die die Hausangestellte zum Kommandanten des Stabsquartiers einer in Quickborn liegenden Polizeieinheit brachte, wo sie über das Verhalten der Russen Bericht erstattete. Der Kommandant fuhr daraufhin nach Bilsen und verwarnte Marija Bondar und Iwan Ilgow scharf.

Am Abend des gleichen Tages sollen nach Aussagen der Bäuerin C. und des Verwalters Schm. aus der Nachkriegszeit die beiden Russen mit anderen Ostarbeitern angeblich durch das Dorf Bilsen gezogen sein und erneut die Bäuerin bedroht haben. Daraufhin fuhr der Verwalter Schm. am nächsten Morgen nach Quickborn und beschwerte sich bei auf der Straße angetroffenen Angehörigen der Waffen-SS über das Benehmen der Russen und bat um deren Verlegung.[5]

Diese Mitglieder der Waffen SS waren Angehörige der 7. Kompanie des Ausbildungs- und Ersatzbataillons der 12. SS-Panzer-Division „Hitler-Jugend“, auch kurz Kampfgruppe „Panzerteufel“ genannt, die von Niedersachsen kommend durch das Kriegsgeschehen nach Norden stießen und Ende April 1945 Quartier in Quickborn machten, um in einer Werkstatt 14 Schützenpanzerwagen überholen zu lassen. Die Einheit stand in Verdacht, in den letzten Kriegstagen bereits eine Blutspur hinter sich hergezogen zu haben. So wurden in der Nachkriegszeit die SS-Männer in Verbindung gebracht mit dem Tod eines russichen Ehepaares und deren beider Kindern sowie eines Letten, die auf einem Acker in Lemke verschart wurden. Des Weiteren wurde am 9. April 1945 in Nienburg ein Landwirt umgebracht, nachdem dieser sich kritisch über den Krieg geäußert hatte. Zudem soll in Rodewald ein abgeschossener alliierter Flieger von der Polizei an die Waffen-SS übergeben worden sein, die diesen „auf der Flucht“ erschossen habe. [6]

Am Nachmittag des 30. April 1945 fuhr der SS-Unterscharführer Walter Bendt mit einem PKW und mit sechs SS-Männern, die ihm mit einem Schützenpanzerwagen folgten, nach Bilsen auf den Hof Clasen. Bendt ließ sich von dem Verwalter Schm. Iwan Ilgow zeigen, der sich gerade auf der Scheunendiele aufhielt, und forderte diesen auf, ins Freie zu treten. Als Ilgow anfangs zögerte, der Aufforderung nachzukommen, versetzte Bendt ihm einen Schlag ins Gesicht. Draußen ließ er Iwan Ilgow niederknien und tötete ihn durch einen Schuss ins Genick. Die Leiche ließ er von den SS-Angehörigen hinter der Scheune verscharren. Auf die Nachfrage des Bendt, ob denn der Russe der einzige Unruhestifter gewesen sei, erwiderte der Verwalter Schm., dass noch eine Russin vorhanden sei. Bendt ließ Marija Bondar zunächst in einer Scheunenkammer einschließen und beabsichtigte, zunächst Rücksprache mit Vorgesetzten zu halten. In der Nacht zum 1. Mai 1945 kam der SS-Mann Bendt mit zwei weiteren Angehörigen der Waffen SS und zusätzlich mit seiner Braut auf den Hof in Bilsen und ließ die eingesprerrte Bondar heraustreten und auf den Hof gehen, wo er ihr mit der Pistole in den Hinterkopf schoss. Auch sie wurde von den SS-Männern auf dem Hof verscharrt.[7]

Die Kompanie der Waffen SS zog sich wie alle verbliebenen Truppenteile auf Anordnung des Oberbefehlshabers Nordwest auf die Linie Elmshorn-Barmstedt-Alveslohe zurück und sammelte sich am 2. Mai 1945 in Bad Bramstedt. Am 4. Mai 1945 löste sich die Einheit in Brokstedt nach Vernichtung der Waffen endgültig auf.[8]

Nach der Kapitulation hat eine Gruppe von den befreiten polnischen Zwangsarbeitern den Hof der Familie Clasen, die zu Familienangehörigen nach Bönningstedt geflüchtet waren, in Beschlag genommen und als vorläufige Unterkunft genutzt.[9] Die Leichen von Marija Bondar und Iwan Ilgow wurden  geborgen und am 10. Mai 1945 auf dem Quickborner Nordfriedhof neben dem Grab der Zwangsarbeiterin Maria Skownier beigesetzt.[10] Inzwischen ist dieses Grab aufgelöst. Heute erinnert an einer anderen Stelle des Nordfriedhofes ein 1995 eingeweihtes Mahnmal mit drei drehbaren Steinzylindern an den Mord an diesen beiden Menschen.[11]

Der Täter, Walter Bendt, wurde 1956 vom Schwurgericht in Lübeck verurteilt. Aufschlussreich ist sein im Urteil dargestellter Lebenslauf. Bendt wurde 1912 in der Nähe von Greifswald als Sohn eines Werkmeisters und Tischlers geboren und trat bereits mit 15 Jahren mit einer Sondererlaubnis der NSDAP in die Partei ein. Zeitgleich wurde er Mitglied der SA und trat 1931 zur SS über. Er ging in seiner Freizeit dem Boxsport nach und wurde aufgrund seiner kräftigen Statur und seiner zahlreichen Schlägereien mit politischen Gegnern mit den Spitznahmen „Putsch“ gerufen. Insgesamt soll er nach eigenen Angaben an etwa 40 Saal- und Straßenschlachten teilgenommen haben. Wegen seiner Gewalttätigkeiten wurde er von der Polizei gesucht und soll auf persönliche Anordnung Hitlers ab Sommer 1932 das deutsche Reichsgebiet verlassen haben, um mit anderen SA- und SS-Männern in Oberitalien am Gardasee Unterschlupf zu erhalten. Im Mai 1933 wurde Bendt Hilfspolizist in Greifswald. An seinem 21. Geburtstag, dem 2. Juli 1933, stieß er nach seiner Geburtstagsfeier in der Nähe von Greifwald auf den als Kommunisten bekannten Waldarbeiter Wehrstedt, der im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung in einen Fluss fiel und ertrank. Eine Strafverfolgung blieb auf Grund des Schutzes höherer Parteiinstanzen aus. Nach Kriegsbeginn meldete sich Bendt freiwillig zur Wehrmacht und wurde 1942 zum Waffen-SS-Regiment Germania nach Hamburg-Langenhorn eingezogen. Im gleichen Jahr erhielt er für seinen Einsatz für die NSDAP und die dabei erlittenen Verwundungen durch politische Gegner in der „Kampfzeit“ den „Blutorden“ verliehen. 1944 kam er zur Infanteriedivision „Hitlerjugend“ und wurde am Westwall verwundet. Nach seiner Entlassung aus dem Lazarett stieß er im Oktober 1944 im Raum Nienburg / Weser zu dem Ausbildungs- und Ersatzbataillon der Division „Hitlerjugend“ mit dem Dienstgrad eines Unterscharführers. Als Kampfgruppenkommandeur leitete er am 9. April 1945 im niedersächsischen Nienburg einen Trupp SS-Soldaten, dem der Landwirt Ludwig Höhne mit dem Fahrrad entgegenkam. Als dieser äußerte, sie seien Kriegsverlängerer und es sei eine Schweinerei, dass noch gekämpft werde, schoss Bendt ihn vom Fahrrad. Anschließend schlug ein anderer SS-Angehöriger dem Mann mit einer Likörflasche den Kopf ein.

Nach der Auflösung der Waffen-SS-Kompanie am 4. Mai 1945 schlug sich Bendt nach Hamburg durch. Hier wurde er im Juni 1945 auch wegen der Morde in Bilsen verhaftet. Eine umfassende gerichtliche Aufarbeitung blieb jedoch zunächst aus und Bendt wurde im August 1947 wieder entlassen. Er lebte fortan mit seiner Frau in Mölln und arbeitete hier als Gießer. Anfang des Jahres 1953 wurde er erneut festgenommen. Das Schwurgericht in Lübeck verurteilte ihn am 14. Februar 1956 wegen der Todesfälle des Kommunisten Wehrstedt, des Landwirts Höhne sowie der russischen Zwangsarbeiter Iwan Ilgow und Marija Bondar wegen Körperverletzung mit Todesfolge, versuchten Totschlags und Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren Gefängnis.[12]

 

 

Veröffentlicht von Jörg Penning am

Ein Hinweis zu “Marija Bondar und Iwan Ilgow – ermordet in den letzten Kriegstagen 1945”

  1. Gerald Christopeit sagt:

    Der in Eldena bei Greifswald geborene Walter Bendt hat den Landarbeiter Franz Wehrstedt hinterücks mit einer Eisenstange bwußtlos geschlagen und dann in den Ryck geworfen. Er war auch unter dem Decknamen „Berger“ 1934 an Folterungen im berüchtigten Folter-KZ Stettin-Bredow beteiligt. Mehr dazu hier: Thévoz, Robert: Pommern 1934/35 im Spiegel von Gestapo-Lageberichten und Sachakten: die Geheime Staatspolizei in den Preußischen Ostprovinzen 1934 – 1936, Köln 1971.

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